Herrschaftszeiten!

 

„Der Ausruf ‚Herrschaftszeiten‘ hat nichts mit Herrschaftszeit zu tun, sondern heißt ‚Herr schau auf'd Seitn‘, was bedeutet, dass der Herrgott wegsehen soll. Also ‚Herr schau auf die Seite‘.“ https://www.openthesaurus.de/synonyme/edit/38799

Die bösesten Kommentare schreiben mir Leser oft mitten in der Nacht. Ob die Ursache darin besteht, dass man nicht schlafen kann oder sowohl Hauskatze als auch Ehefrau nicht mehr zum Quälen verfügbar sind, weiß ich nicht.

Konkret liegt es eventuell daran, dass wir gestern eine Milonga besuchten, die mit „abwechslungsreicher Musik von traditionell bis modern“ beworben wurde. Selbst „Otros Ritmos“ waren im Angebot. Möglicherweise hat das (und unser Erscheinen) dem Schreiber missfallen.

Obwohl er mit Namen unterzeichnet hat, glaube ich nicht, dass es sein echter ist. Google weiß jedenfalls im Tangozusammenhang nichts von ihm. Eher scheint da die Hunderasse mit dem Fässchen Pate gestanden zu haben.    

Welches „Rumgehopse“ der Autor anfänglich meint, weiß ich nicht sicher. Entweder wohl meines oder das des Tangopaars im vorstehenden Artikel.

Immerhin, das muss man anerkennen, hat sich der Kommentator Mühe gegeben. Daher habe ich ihm nun einen eigenen Text gewidmet und beantworte gerne seine Zeilen. Hier also zunächst die Philippika:

„Solange sie ein solches Rumgehopse in irgend einer Form gut finden oder anstreben brauchen Sie sich nicht wundern wenn auf einer normalen Veranstaltung keiner mit Ihnen tanzen will. Cassiel hatte recht. Es gibt figurenorientierten und bewegungsorientierten Tango. Gehen Sie bitte auf ihre komischen Milongas, wo die Beine wild durch die Luft fliegen und lassen sie uns den Spass, auf unseren Milongas fein auf die Musik zu tanzen. Dort möchten wir keine Typen wie Sie!!! Bin gespannt ob sie es in dieser Inkarnation noch verstehen werden, dass es (mindestens) zwei Tanzstile gibt, welche auf der selben Tanzfläche nicht harmonieren. Herrschaftszeiten. So schwer ist das doch nicht! Es gibt doch genug Neo-non Tango in der Welt. Gehen Sie da hin! Und wenn Sie sich zu uns verirren, dann finden Sie den Cabeceo nur schlecht weil sie Ihn nicht beherrschen. Hätten Sie bei Frau Sedó ein ‚Blinzelseminar‘ besucht, dann würden sie jetzt nicht so blöd aus der Wäsche gucken. Hätten sie einmal erlebt, dass man auf einem Quadratmeter den Himmel auf Erden erleben kann (solange keine Pistenrambos wie Sie anwesend sind) würden sie Ihr lächerliches Geschwurbel sofort einstellen und den Rest ihres Lebens auf Encuentros verbringen. Ich fürchte aber leider, dieses Glück wird Ihnen nie beschieden sein.
Alles gute noch auf Ihrem granteligen Meckerweg,

Bernhard Ihner“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/05/volle-und-leere-tassen.html?showComment=1716079567681#c6922442109124970395

Lieber Herr Ihner,

es ist ja nett, dass Sie sich um meine soziale Vereinsamung im Tango sorgen. Muss aber nicht sein! Bislang konnte ich noch keinen Mangel an Tanzpartnerinnen feststellen. Auch gestern Abend nicht. Allerdings galt meine Aufmerksamkeit vor allem meinen beiden Begleiterinnen. Daher konnte ich nur mit wenigen der anderen Damen tanzen. Ich bin aber sicher, es wäre mehr drin gewesen. Und in meinem fortgeschrittenen Alter kann ich auch nicht mehr jede Tanda auf dem Parkett verbringen. Dafür den Rest mit großem Genuss!

Ob ich mit Cabeceo oder direkt auffordere, geht Sie jedoch einen Schmarren an. Ich habe auch schon eine Menge Leute gesehen, die bei ihren „Fernhypnose-Versuchen“ blöd aus der Wäsche guckten. So verteilen sich halt Glück und Leid gleichmäßig.

Sie sprechen von „unseren Milongas“, auf denen Sie keine „Typen“ wie mich möchten. Darf ich Sie zu den Besitzverhältnissen daran erinnern, dass Tangotanzabende weder Ihr noch mein Eigentum sind, sondern das des Veranstalters? Dass dieser das Musikprogramm bestimmt? Und auch, wen er einlädt?

Ich besuche Milongas schon gezielt und bewusst, statt mich dorthin zu „verirren“. Und Veranstaltungen, wo man nach Ideologie statt nach Noten tanzt, meide ich nach Kräften. Insofern haben Sie doch jede Menge Möglichkeiten, mit Ihren Glaubensgenossen auf einem Quadratmeter „den Himmel auf Erden“ zu erleben. Wenn Sie aber eine Veranstaltung mit gemischter Musik besuchen, müssen Sie meinen Anblick ertragen. Übrigens ich auch Ihren.

Den Rest meines Lebens auf Encuentros zu verbringen, halte ich allerdings für eine heftige Bedrohung. Aber Bange machen gilt nicht!

Vielen Dank also für Ihren Kommentar! Sollten Sie antworten wollen, würde ich aber darum bitten, Ausdrücke wie „Pistenrambo“ oder „lächerliches Geschwurbel“ zu lassen. Sie haben sich nun einmal ausgekotzt, das sollte reichen.

Ich wünsche Ihnen eine pfingstgemäße Erleuchtung!

Gerhard Riedl

Tja, was macht man mit solchen Anwürfen? Ich versuche meist, sie einigermaßen sachlich – mit einer Spur Ironie – zu beantworten. Schließlich möchte man stilistisch unterscheidbar bleiben.

Inhaltlich setzen solche Poltereien natürlich auf Ausgrenzung: Wer im Tango andere Musik liebt oder nicht so tanzt wie die meisten, soll sich gefälligst schleichen! Ihm stehen bestenfalls kleine Exklaven zu, wo er, streng von der „normalen“ Gesellschaft getrennt, die Beine fliegen lassen kann. Angestrebt wird die Lufthoheit über den Milongatischen.

Ich darf nicht ohne Bitterkeit daran erinnern, dass solche „Säuberungen“ dazu geführt haben, dass sich viele, mit denen wir früher tanzten, vom Tango teilweise oder ganz zurückgezogen haben, weil sie die langweilige, ewig gleiche Musik nicht mehr ertrugen. Und ihnen das hierarchische Getue zuwider wurde. Die Herrschaften, welche das mit spitzen Ellbogen hinbekommen haben, fühlen sich nun als Mehrheit.

Und natürlich stellen Kommentare wie der besprochene primitiven Populismus dar: Man spricht im Namen eines „gesunden Volksempfindens“ und lädt seinen Hass auf „Meckerer“ und Quertreiber ab.

Mich erinnert der Duktus an Hubert Aiwanger: „Und es ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende, große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen, ihr habt wohl den Arsch offen da oben!“

https://www.youtube.com/watch?v=V_his4_W2Ck

Was das dann auslösen kann, haben wir kürzlich nicht nur in Dresden erlebt: Erst fliegen die Worte, dann die Fäuste.

Ich stilisiere mich aber überhaupt nicht als „Opfer“. Das liegt mir schon deshalb fern, weil ich genügend Milongas erlebt habe, wo moderne und traditionelle Musik, klassische und „schräge“ Tanzstile hervorragend koexistieren. Wo Buntheit toleriert, ja geschätzt wird. Insbesondere, wenn fast alle Gäste tanzen können.

Vor allem aber kann ich mich wehren. Und das werde ich weiterhin – und mit großem Vergnügen – tun. Auch für Menschen, die sich nicht trauen, öffentlich zu widersprechen.

Was mich dennoch manchmal besorgt: Was wäre, wenn Rechtspopulisten bei uns an die Regierung kämen? Wenn dann schrittweise Presse- und Kunstfreiheit eingeschränkt würden, es eines Tages auch meinem Blog an den Kragen ginge? Würden Leute, die solche Kommentare schreiben, sich dann schützend vor mich stellen und sagen: „Ich bin zwar überhaupt nicht seiner Meinung, aber ich kämpfe dafür, dass er sie sagen darf?“  Oder wäre die Reaktion: „Gut, dass diesem Meckerer endlich das Maul gestopft wird“?

Daher finde ich, wir sollten bei solchen Themen den lieben Gott außen vor lassen. Sähe er bei solchen Entwicklungen weg? Verstehen könnte ich es.

Kommentare

  1. Ich muss Sie enttäuschen. Kein totalitäres System wird sich für Sie interessieren. Erst recht nicht weil sie in Ihrem Antikonservatismus stark konservativ sind.
Wie kommen Sie eigentlich auf Aiwanger? Wegen Ihrer sehr ähnlichen Art die deutsche Hochsprache lokal zu „interpretieren“?
Sollte Ihr Blog Probleme kriegen wäre es mir leidlich egal. Schliesslich zielt er auf Spaltung statt auf Verbindung und gegenseitiges Verständnis ab. Ich verstehe genau, was die Vorteile für Sie an Ihrer WoZiMi sind und unterstütze sie in diesem Sinne. Allerdings ist es Ihnen immer noch nicht gelungen zu verstehen, und das trotz mindesten 96000 Worten alleine im Jahr 2024, weshalb ich und Andere gerne unser Encuentroformat genau so behalten würden wie es ist.
 Ich wünsche weiter viel Erfolg in Ihrem Wald voller Bäumen.
 Spätestens wenn sie die Million-Wörter-Marke geknackt haben werden Sie es auch verstehen.
 Sollten Sie als PERSON Probleme kriegen würde ich mich selbstverständlich in den Weg stellen wenn die Geheime Cabeceo Polizei sie abholt.


    Mit freundlichen Grüßen

    C.Anis

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  2. p.p.s. Herrschaftszeiten. Den Allmächtigen lass ich raus wann ich will.
    C.Anis

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    1. Aber ja, ganz nach Belieben! Entscheidend wird aber sein, ob der Allmächtige Sie rauslässt.

      Und stimmt: Ich bin ein konservativer Antikonservativer. Schöner kann man’s nicht sagen.

      Was Aiwanger betrifft, kann nur ein Nicht-Bayer breites Niederbayrisch mit Oberbayrisch (mit böhmischem Einschlag) verwechseln. Schwach…

      Aha, wenn ich also für musikalische Vielfalt plädiere, betreibe ich Spaltung… logischer Ansatz!

      Selbstverständlich dürfen Sie die Encuentros so belassen, wie sie sind, und diese auch fleißig besuchen. Da bin ich urliberal.

      P.S. Originelles Pseudonym!

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