Das wollen Sie wirklich wissen?

 

Der altgediente Tangokollege Wolfgang Sandt hat 2016 einen Artikel veröffentlicht, im dem er erklärt, nach welchen Kriterien Tänzer die Frauen auffordern. Dabei plaudert er ausführlich aus dem eigenen Nähkästchen. Ich habe den Text auf meinem Blog besprochen, und Wolfgang und ich haben anschließend auf unseren Seiten etliche Argumente ausgetauscht.

Wer die Beiträge nicht kennt – ich finde, das Lesen lohnt sich noch heute:

https://tango-kurs.com/nach-welchen-kriterien-fordern-tnzer-die-frauen-auf/

http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/12/hoch-vom-rosse-komm-ich-her.html

Nun habe ich dazu zu Wolfgangs Artikel den relativ neuen Kommentar einer Tänzerin entdeckt, die sich „Anja“ nennt. Ich zitiere in voller Länge:

„Würde man als Frau bekennen, dass man das Gefühl hat, aufgrund des Alters weniger bis kaum noch aufgefordert zu werden, könnte man sich auch gleich vom Tango verabschieden. Warum? Weil Mitleid wohl kaum das Mittel der Wahl ist. Weil Mitleid die Attraktivität noch mehr schmälert. Und weil es dazu führen kann, dass man nun beobachtet wird und nach Gründen, bzw. Ausreden gesucht wird, warum man diese oder jene Dame nicht auffordert. ‚Ich fühle mich bedrängt durch ihre Blicke‘, ‚Die guckt schon so frustriert, da hat Mann doch keine Lust‘, ‚Nun ja, sie tanzt nicht wirklich gut‘, ‚Wenn ich die jetzt auffordere, erwartet sie das jedes Mal‘ oder ‚Ich tanze auch mit Älteren. Die muss dann aber ganz besonders gut tanzen oder ich kenne sie von früher und sie ist selten da.‘

Kaum ein Mann gibt zu, dass er keine Lust hat, mit älteren Damen zu tanzen. Fast alle behaupten, sie täten es ja und gehen nicht nach dem Alter. Komisch nur, dass dann so viele tolle Damen im höheren Alter die meiste Zeit sitzen. Insofern macht es wenig Sinn, sie drauf aufmerksam zu machen. Sie wissen drum. Haben ja Augen im Kopf. Und ja, bedauern tun sie diese Tänzerinnen schon. Das war’s aber auch. Und dann eben die 1000 Ausreden…

Es ist also wichtig, diese Damen eben nicht vorzuführen und ihnen die Würde zu nehmen. Mit ‚Nun tanz doch mal mit der!‘ geht nun gar nicht! Das funktioniert nicht! Es wurden hier und da schon mal Versuche seitens mancher Veranstalter/innen unternommen, die Männer dazu zu bewegen, auch mehr ältere Tangueras aufzufordern. Mit mäßigem Erfolg.

Ich für meinen Teil habe nun den Tango verlassen. Wie einige meiner Mitstreiterinnen ebenfalls. Ich fühlte mich irgendwann entwertet. Ich bin erst 54. Und ja, nach über 10 Tango-Jahren eine neue, ebenbürtige Leidenschaft zu finden, eine neue Community beider Geschlechter, wo das Alter so gar keine Rolle spielt, ist noch schwieriger. Den Tango kann man auch nicht ersetzen. Nicht nach so langer Zeit.“

Wolfgang Sandt hat darauf ausführlich geantwortet. Nachdem dieses Lamento speziell älterer Frauen im Tango ein Dauerthema ist, möchte auch ich dazu einige Gedanken loswerden:

Ich habe einmal geschrieben, eine Tänzerin dürfe sich zwei Fragen nie stellen:

„Warum tanzt der nicht mit mir?“ und „Warum tanzt der mit mir?“

Beides ist rein spekulativ – eine Antwort wird man kaum erhalten. Schon deshalb, weil der Grund vielleicht nicht mal dem betreffenden Mann bewusst ist.

Umgekehrt gilt das natürlich genauso. Wenn eine Dame mit mir tanzt, nehme ich das schlicht als erfreuliche Tatsache. Ob sie es tut, weil sie von meinen Tanzkünsten entzückt ist, mich persönlich sympathisch findet, gerade nichts Besseres in Aussicht hat oder aus Mitleid mit einem Tattergreis aufs Parkett geht (vielleicht arbeitet sie ja als Altenpflegerin) ist mir piepegal. Ich rate allen Kollegen, es nicht wissen zu wollen!

Merke: Nach Motiven zu suchen macht häufig unglücklich!

Wenn sie nicht mit mir tanzen möchte und mir vielleicht sogar einen Korb gibt, nehme ich das ebenfalls als (nicht erfreuliche) Tatsache. Natürlich muss sie auch das nicht begründen. Allerdings tue ich mich leichter, wenn ich weiß, warum. Ansonsten muss sie damit rechnen, dass ich ihr gegenüber nie mehr aktiv werde. Schließlich will ich mich keinesfalls aufdrängen.

Aus Anjas Text ist abzuleiten, dass Frauen eine Nicht-Aufforderung gerne als menschliches Werturteil sehen. Hallo, geht’s noch? Wir sprechen von einem Gesellschaftstanz und der frugalen Aufgabe, für zwölf Minuten einen Tanzpartner zu finden – und nicht von ethischen Grundsatzfragen! Wo auf der moralischen oder attraktiven Skala mich irgendein Hansel (oder eine Gretel) auf einer Milonga einstuft, geht mir gepflegt am Allerwertesten vorbei!

Viele Probleme im Tango resultieren aus der Unsitte, alles bis zur Besinnungslosigkeit zu überhöhen. Da wird ein simpler Paartanz als Eintrittspforte zum Lebensglück gepriesen – und eine technisch nötige Umarmung als Huckepack-Transport in den siebten Himmel. Das alles kann es durchaus mal geben – es aber zu erwarten ist völlig gaga.

Vertraglich zugesichert liefert der Tango lediglich Musik (welche auch immer), der Rest ist optional.

Um nun auf den Kern des weiblichen Lamentos zu kommen: Natürlich fordern die meisten Männer lieber eine schlanke, exquisit gekleidete Dreißigjährige auf als eine doppelt so alte Tanguera mit Übergewicht und Haferlschuhen. Da kann die Jüngere tanzen wie Waldmeistergrütze in der Kurve und die Ältere wie Nicole Nau – wurscht!

Der Grund findet sich in unseren Genen: Tanz ist ritualisiertes Balzverhalten, und jenseits des Klimakteriums sind Befruchtungsversuche evolutionsbiologisch Banane. Nun kann man natürlich auf den dünnen Firnis über unseren Hominiden-Anlagen hoffen, den man „Höflichkeit“ oder „Anstand“ nennt – Ausgang ungewiss!

Bei Klagen wie der von „Anja“ werde ich immer skeptischer. Die 73 Ausgaben unserer „Wohnzimmer-Milonga“ waren, so gesehen, ein Paradies für benachteiligte Damen: Jede Frau kam bei uns umfänglich zum Tanzen – und wenn nicht immer mit einem Mann, dann eben mit hervorragend führenden Kolleginnen. Nebenbei kostete es nicht mal Eintritt. Man hätte erwarten können, dass es zu einem Massenansturm benachteiligter Frauen gekommen wäre – mitnichten! Im Schnitt traf sich ein Dutzend Leute, meist Stammgäste.

Lag es an der ungewöhnlichen Musik? Mag fallweise sein – aber die spielt bei den Interessen der Mehrzahl nur eine geringe Rolle. Ich glaube eher, es zieht die Menschen auf Milongas, auf denen „viel los“ ist. Wo es jede Menge Modeangebote, Kuchen und Ratschpartnerinnen gibt. Sehen und gesehen werden! Wenn die Damen das alles ausgekostet haben, fällt ihnen auf, dass sie nicht zum Tanzen kamen. Tja…

Ich finde, man sollte sich schon auf das konzentrieren, was einem auf einer Milonga am wichtigsten ist. Standardsatz: „Ich will ja nur tanzen…“ Dann muss man sich aber auch „nahbar“ geben, also signalisieren, dass man an der männlichen Umwelt interessiert ist, Gespräche suchen, tänzerisches Interesse zeigen und den anderen Kram weitgehend ausblenden. Oder sich mit anderen zu einem gemeinsamen Milongabesuch verabreden. Und vor allem die kleinen, unspektakulären Veranstaltungen bevorzugen, auch wenn dort „wenig los“ ist. Außer Tanzen natürlich…

Und wer nicht auch mal alleine oder zu zweit im Wohnzimmer übt, sich auch daheim mit Tangomusik beschäftigt, dessen Gejammer kann ich eh nicht ernstnehmen.

Auch Führen lernen vermag viele Probleme zu beseitigen. In meinem engeren Tangoumfeld machen das die meisten Frauen – und manchmal schnappen sie mir die besten Tangueras weg. Na gut, in meinem Alter kann ich eh nicht mehr alle Tandas tanzen…

Insgesamt aber, liebe „Anjas“, wollen Sie sicherlich beim Tango nicht alles wissen: beispielsweise die herbe Rangordnung, das arrogante Getue, das Frauenbild vieler Tangueros, die Intrigen Ihrer Kolleginnen. Blenden Sie das aus, tragen Sie den Kopf hoch!

Beim Tango kriegt man nie etwas geliefert – nur geschenkt!              

P.S. Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/08/warum-tanzt-der-nicht-mit-mir.html
 

Tangonator * www.tangofish.de

Kommentare

  1. "Merke: Nach Motiven zu suchen macht häufig unglücklich!"

    Wirklich, herzallerliebster Riedl? Wollen nicht gerade SIE wissen warum man mit Ihnen nicht tanzen will?

    Aber jetzt verstehe ich, warum Sie so unglücklich sind - und das sind Sie (auch wenn Sie es natürlich nicht zugeben), denn sonst würden Sie nicht so viel Wirres schreiben - oder ist das jetzt auch nur alles schlechte Satiere?
    Wünsche noch einen fröhlichen Tag!
    T.S.
    Und ab in die Zensur!

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    1. Lieber Herr Schön,
      hier nochmal die entsprechende Passage:

      „Wenn sie nicht mit mir tanzen möchte und mir vielleicht sogar einen Korb gibt, nehme ich das ebenfalls als (nicht erfreuliche) Tatsache. Natürlich muss sie auch das nicht begründen. Allerdings tue ich mich leichter, wenn ich weiß, warum. Ansonsten muss sie damit rechnen, dass ich ihr gegenüber nie mehr aktiv werde. Schließlich will ich mich keinesfalls aufdrängen.“

      Falls Sie es nicht selber lesen können, lassen Sie es sich von einem Betreuer vorlesen!

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  2. Wenn ein "simpler Paartanz" doch ein "ritualisiertes Balzverhalten" darstellt, dann ist die Lage emotional alles andere als simpel. Letztendlich erhält man eine handfeste Antwort auf die unterschwellige Frage, in wie weit man für das andere Geschlecht noch attraktiv ist. Und diese Antwort kann unfreundlich ausfallen, insbesondere wenn das Geschlechterverhältnis ungünstig steht.

    Nun sind die Rahmenbedingungen in diesem Bereich nie auf Gerechtigkeit ausgelegt gewesen. Und nicht jeder Frau "im besten Alter" wird es gefallen, sich mit einer Freundin wieder durch Anfängerkurse zu hangeln und dann auf Milongas mehr schlecht als recht zu tanzen. Auch nicht oder gerade nicht angesichts einiger wirklich gut führender Frauen, welche vielleicht ihr Optimum bei sehr guten Führenden gemischt mit guten Folgenden ihrer Wahl finden.

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    1. Balzverhalten ist so simpel, dass es schon bei Wirbellosen häufig ist. Als Homo sapiens sollte man sich der Ritualisierung bewusst sein.

      Wer zum Tango geht, um herauszufinden, ob er für das „andere Geschlecht noch attraktiv“ ist, programmiert förmlich das eigene Unglück. In Wahrheit geht es schlicht darum, ob man als momentan akzeptabler Tanzpartner angesehen wird.

      Und klar, Gerechtigkeit gibt’s nicht mal vor Gericht, da kriegt man schlicht ein Urteil. Wer gar beim Tango danach sucht, hat sie wirklich nicht mehr alle.

      Auch beim Vergleich tänzerischer Fähigkeiten wäre ich vorsichtig. Man kann sich mit Pablo Verón messen wollen, was ebenfalls ins Unglück führt. Viel wichtiger ist es, seinen eigenen Stil zu finden, also „unterscheidbar“ zu sein.

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  3. Eberhart Schweigner21. Mai 2024 um 22:48

    Aber Herr Riedl,
    Witze auf Kosten von Behinderten Mitmenschen? Ist das Ihr Niveau? Wahrscheinlich ja. Lassen Sie bitte Menschen aus dem Spiel die einen Betreuer brauchen und nutzen sie andere Wege um Herrn Schön kontra zu geben.

    Eberhart Schweigner

    p.s. irgendwann schrieben Sie in ähnlich herablassender Weise über Förderschüler. Bemühen Sie Ihre tolle Suchfunktion. Mir reicht mein formidables Gedächtnis.

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    1. O je, das "formidable Gedächtnis" reicht nicht mal für ein genaues Zitat und eine Quelle... schwach!
      Ansonsten: Herr Schön kann sich sehr gut selber verteidigen - und mir seit Jahren auf den Geist gehen.
      Was Sie betrifft (falls da keine Personalunion besteht): Gehen Sie bei Kommentaren auf den Inhalt des Artikels ein, sonst war das hier Ihr letzter Beitrag. Kapito?

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