Verschwurbeltes aus der Altherren-Liga

Seit Anfang dieses Jahres gibt es einen österreichischen Tango-Podcast: „Cabeceo – Gespräche über den Tango Argentino“ nennt Heinz Duschanek seine Sammlung von inzwischen 10 Beiträgen, in denen er Personen aus der Tangoszene vorstellt.

Durch Zufall stieß ich gestern auf die letzte Folge, in der die Autorin Michaela Reisinger zu ihrem Buch befragt wird: „Milongueros – Tango-Legenden privat“. Seit 2011 hat die studierte Pharmazeutin in Buenos Aires „Kultfiguren“ fotografiert und interviewt, „ohne die der Tango in seiner heutigen Form nicht existieren würde“: die „letzten authentischen Tangotänzer und Tangotänzerinnen von Buenos Aires“.

Obwohl sich bei solchen Behauptungen meine Atmung bereits verflacht: Im Prinzip ein sehr interessantes Projekt – schließlich sterben die Zeitzeugen, welche die EdO und ihre großen Orchester noch erlebt haben, immer mehr weg. Zirka ein Drittel der einstigen Gesprächspartner sind inzwischen nicht mehr am Leben.

38 Euro kostet der 132-seitige Bildband mit 77 Fotos.

https://www.amazon.de/Milongueros-Tango-Legenden-privat-Michaela-Reisinger/dp/3991261782

Aus unerfindlichen Gründen hat sich Moderator Duschanek beim Gespräch noch der Mithilfe des Wiener Tangotänzers Roger Hailwax versichert. Zu zweit versuchen die Herren eine gute Stunde lang, der Autorin Konkretes abzuringen, was sich als Schwerstarbeit herausstellt: Immer wieder eiert sie herum, taucht ins Nebulöse ab oder gesteht, sich mit dem Thema nicht beschäftigt zu haben. Glücklicherweise ist den Herren ein wenig landestypischer Schmäh verfügbar, was für kleine Lichtblicke sorgt.

Hailwax erzählt, er habe vor vielen Jahren nach einem neuen Hobby gesucht, das etwas mit Bewegung zu tun habe. Warum er dabei auf den Tango gekommen ist, erklärt er nicht.

Stattdessen erfahren wir jede Menge Entbehrliches – so werden wir gleich am Anfang mit der Information verwöhnt, einer der alten Milongueros brauche zwei Stunden, um sich für einen Tangoabend schick zu machen, während Hailwax dies in 30 Minuten schafft – allerdings ohne Augenbrauen-Zupfen, wie er zugibt. Gut, dass ältere Herrschaften Schwierigkeiten mit der Toilette haben, ist verständlich.

Schon bei der berechtigten Frage, wieso die Autorin zwar viele Fotos, aber nur kurze Kernaussagen ihrer Gesprächspartner veröffentlicht hat, kommt nur Undeutliches: Die Interviews hätten zwar je eine Stunde gedauert, aber irgendwie sei das mit dem „Layouten“ schwierig gewesen – und das Werk wäre dann viel zu dick geworden. Aha…

Immerhin habe jeder der Tänzer seinen Lieblingstango vorgestellt, den man sich dann mittels QR-Code anhören könne. Sicherlich eine entscheidende Information!

Warum ist das Buch ausschließlich auf die Männer („Milongueros“) fixiert? Auch auf diese Frage hat Frau Reisinger nur die Tinte zu Verfügung, welche sie sich beim Schreiben erspart hat: Na ja, man habe halt nur Männer oder Paare gefunden – und die Damen seien weniger auskunftsfreudig. Und „Milongueras“? Im Argentinischen werde eh nicht gegendert…

Das Lebensgefühl der alten Herren? Gut, für sie ist Tango halt das Höchste – Umarmung, Verbindung und Musikalität entscheiden, nicht Schritte und Figuren. Und natürlich die alte Musik, nicht etwa „Piazzolla et cetera“. Und man warte jeden Abend auf den „gewissen Moment“. Okay, davon habe ich in Pörnbach auch schon gehört, ohne auf Wallfahrt an den Rio de la Plata gegangen zu sein.

Gelernt haben die alten Herrschaften nicht in Kursen, sondern an der „Esquinia“ (?) mit den Kumpels – und die Mädels daheim in der Familie. Und jeder hatte seinen eigenen Stil, mit dem er gegen die anderen konkurrierte. Kritische Parallelen zur heutigen Tango-Wirklichkeit unterlässt man aber lieber.

„Du kannst in der Küche machen, was du willst, aber im Tango musst du dem Mann folgen.“ Auch dieses Zitat eines Zeitzeugen behandelt man als nette Anekdote.

Michaela Reisinger ist mit allen Interviewpartnern auch tanzen gegangen. Ausgerechnet mit einem Alphamännchen stieß ihr auf der Toilette das Missgeschick zu, sich nicht mit Parfüm, sondern mit einem herumstehenden Klo-Luftverbesserer einzusprühen – Duftnote: „Wald“. Das führte bei ihr zu gewissen Verkrampfungen. Okay, ich habe auf hiesigen Milongas auch oft das Gefühl, im Wald zu stehen...

Strenge Regeln gebe es auch für die Schuhe: Schwarzweiße Puschen seien den „Maestros“ vorbehalten, weiß Duschanek. Was ist eigentlich genau ein „Milonguero“? Auch hierzu verliert sich die Autorin im Unklaren. Immerhin: Der Begriff beziehe sich eher auf alleinstehende Männer, die immer „auf der Jagd“ seien. Und für jedes Orchester hätten sie ihre Lieblingstänzerinnen.

Zu dynamisch Tanzende würden von den anderen Paaren „eingekesselt“, damit sie keinen Raum mehr hätten. Solche „Rüpel“ würden gleich einmal ausgeschieden.

Gegen Ende kriegen wird noch den Katechismus des konservativen Tango ab: Ronda, Cabeceo, tralala. Und auf „unseren Encuentros“ sei das Niveau sehr hoch. In Buenos Aires müsse man gewesen sein – man brauche schon „den Segen von dort“. Und die Kommerzialisierung unseres Tanzes sei völlig in Ordnung.

In den Schlussminuten verliert man das Thema endgültig aus den Augen. Wenn sie die Musik höre, so Reisinger, verändere sich in ihr etwas. Genauer wollten wir es auch gar nicht wissen!

Zum Nachhören:

https://cabeceo.at/episoden/episode-10-michaela-reisinger/

Was mich bei fast allen Tango-Veröffentlichungen immer wieder fasziniert: Offiziell gibt es zu den kritischen Themen keine zwei Meinungen. Voraussetzung ist natürlich eine besonnene Auswahl der Gesprächspartner. Hinterfragen ist ja – wer wüsste es besser als ich – recht gefährlich. Daher wird auch kaum kritisch nachgehakt, sondern eher eine vorbereitete Formulierung nach der anderen abgearbeitet.

„Cabeceo“ nennt sich diese Hörreihe. Ich muss gestehen, dass mir das echte Aufforderungs-Nicken sympathischer ist: Es geschieht stumm und nicht mit ellenlangem Geschwafel.

Konkret hoffe ich nur, dass die Originalaufnahmen der Milonguero-Gespräche noch existieren. Vielleicht könnte ein anderer Autor daraus ein interessantes Buch machen.

„Quisiera morir bailando como mi hermano"  - „Ich möchte tanzend sterben wie mein Bruder“. So wird einer der alten Milongueros zitiert.

Ich dagegen möchte nicht während des Anhörens solcher Podcasts sterben – mein Eindruck wäre, sinnlos verblichen zu sein!

P.S. Hier noch die Autorin in einem anderen Interview:

https://www.youtube.com/watch?v=0liE0WNFr34

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