Mit dem roten Band der Sympathie
Derzeit kursiert auf Facebook ein Vorschlag, der noch für etliche Diskussionen sorgen dürfte. Ich habe versucht, das etwas holprige Englisch zu übersetzen:
„TATSACHE: Weltweit gibt es ein Phänomen, das auf den meisten Milongas auftritt: Viele der anwesenden Damen tanzen kaum. Sie investieren in ihre Tanzfähigkeiten, indem sie Kurse besuchen, zu Practicas gehen, an Workshops teilnehmen ... aber dann schlägt die Realität hart zu: Wenn sie auf einer Milonga erscheinen, werden sie kaum ‚cabeciert‘, sie erhalten kaum eine Einladung.
Wir - als World Tango Society – versuchen, die Belastung dieser Tangueras zu verringern. Dafür stellen wir unser ‚Red Ribbon‘ vor.
Eine Welt-Schöpfung!
DAS 'JUST ASK ME' ROTE BAND (…)
Keine Verwirrung mehr, keine Desillusionierung, keine Mauerblümchen mehr.
Wenn du männliche oder weibliche Führende siehst, die ein rotes Band um ihr Handgelenk tragen, kannst du sie einfach verbal zum Tanz auffordern: kein Cabeceo / Mirada nötig!“
Also vereinfacht gesagt: Träger oder Trägerinnen des roten Bands signalisieren, dass man sie auffordern darf. Sie werden keinen Korb geben.
Dieser Schmuck am Handgelenk hat in verschiedenen Kulturen oder Religionen eine besondere Bedeutung:
In China wird er als „Schicksalskette“ verstanden, welche Seelenverwandte zueinander führt – also Menschen, die in unserem Leben eine große Bedeutung haben.
Im Feng Shui gilt die Farbe Rot als Garant für Glück und Reichtum, sie wehrt Böses ab.
Im Hinduismus signalisieren rote Schnüre die Zugehörigkeit zu dieser Religion und die Verbindung der Gläubigen.
In der jüdischen Kabbala schützt dieser Armschmuck vor dem Bösen und bringt Glück.
Auch im Buddhismus bedeuten die Bänder Schutz und Segen. Während der Meditation verwenden Buddhisten rote Schnüre, um sich von weltlichen Reizen zu lösen.
Na gut, Letzteres wirkt dann eher nicht aufforderungsfreundlich. Insgesamt aber bringen die „Red Ribbons“ durchaus positive Energie, welche auch dem Tango guttun könnte!
Über die folgende Quelle kann man die Bändchen auch gleich bestellen:
Soweit ich an den bisherigen Kommentaren auf Facebook sehe, bewirkt die Idee ziemlich gemischte Reaktionen.
So heißt es auf „Tango München“ zum Beispiel:
„Ich kann und will nicht jede Tanda tanzen, einzelne Tangueras, die mich mit ihren Augen fixieren ignoriere ich. Meine Frau möchte auch gerne tanzen, und meine Recoursen sind begrenzt. Für mich ist eine Milonga kein Marathon, sondern Genießen.“
Na klar – gerade, wenn auch die sprachlichen Ressourcen limitiert sind…
Auf dem Account von Tom Opitz schreibt ein Kommentator:
„Den nichtcabeceoierten Damen würde ich eher einen Cabeceo-Empfangskurs empfehlen. Viele tun alles, um nicht aufgefordert zu werden.“
Erst gestern hat der Arme sich nämlich drei Körbe eingefangen – da muss man Verständnis haben!
„Ich glaube nicht, dass man damit das Missverhältnis zwischen den Rollen verändert - und damit das Problem. (…)
Solange aber in Tangocommunities die Leute nur mit ihnen bekannten Leuten tanzen, gibt es keine Lösung für die Überzahl an Followern/Frauen. Und das ist ja immer so. Einige Leute bleiben immer sitzen. Ich gehöre auch zu denen und habe so entschieden an Lust verloren, überhaupt noch irgendwo hinzugehen.“
Ein klares Nein kommt von einer ultimativ traditionsbewussten Dame:
„Vollkommen überflüssig und sogar für die Tangokultur schädlich. Führende werden angefallen von allen Seiten. Der schöne Cabeceo hat keinen Platz mehr. Eine richtige Tanguera signalisiert mit ihrem Blick und Sitzhaltung Tanzbereitschaft. Ein richtiger Tanguero geht im Laufe eines Abends auf mehrere Angebote ein, unabhängig von Alter, Kleidung und Können der Tanguera. Schade, dass wenige Männer in Deutschland dieses praktizieren, und dass Frauen Männer anfallen müssen, um überhaupt zum Tanzen zu kommen. Damit geht ein Stück Tangokultur verloren. Zum Glück erlebe ich es in meiner Heimat Milonga freitags in Bremen so, dass es immer Tangueros gibt, die das Wesen und die unterschiedlichen Rollen beim Tango verstehen. Ich danke euch dafür und danke ebenfalls jeder Tanguera dafür, die Leader nicht anzufallen.“
Okay, falls das noch durchs Brett vorm Kopf dringen sollte: Spätestens seit dem Wiener Kongress ist in Europa ein höfliches „Darf ich bitten?“ Bestandteil der Tanzkultur. Da werden keine „Männer angefallen“ – schon gar nicht dreimal hintereinander!
Quellen:
https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10159898911881186
https://www.facebook.com/groups/tangoargentinohamburg/permalink/10162152387976495
Selber bin ich von der Idee mit dem roten Band ein wenig hin- und hergerissen. Einerseits – na gut, soll es doch der eine oder andere Veranstalter mal ausprobieren. Es gibt auf den Milongas deutlich blödere Einfälle. Die Erfolgsaussichten beurteile ich aber als nicht allzu hoch.
Möglich, dass etliche Männer mitziehen – selber wäre ich dazu gerne bereit. Mich darf man generell auffordern. Meine Voraussage ist aber: Auch dann werden sich viele Damen nicht trauen, solche Angebote umzusetzen.
Ich bin Stammgast auf einer Milonga, auf deren Tischen Kärtchen mit der Botschaft liegen, hier dürften sowohl Männer als auch Frauen auffordern – mit oder ohne Cabeceo. Nach meinen Beobachtungen macht das pro Abend vielleicht mal eine Tänzerin – bestenfalls zwei.
Eine schöne Parallele: Nach einer LinkedIn-Studie haben 41 Prozent der Frauen noch nie ihr Gehalt verhandelt – unter den Männern sind es nur 26 Prozent.
https://www.hrjournal.de/frauen-verhandeln-seltener-ueber-ihr-gehalt/
Ich fürchte, Mädchen werden auch heute noch durch die Erziehung darauf getrimmt, immer hübsch bescheiden und zurückhaltend aufzutreten. Bei den Jungs gilt es dagegen als besonders männlich, Dominanzgebaren zu zeigen. Ich sage daher voraus: Wenn die Damen weiterhin darauf warten, dass die Herren stellvertretend um ihre Gleichberechtigung kämpfen, wird das nichts!
Es offenbart das ganze Elend im Tango, wenn man nun per Handschmuck Probleme lösen möchte, die anscheinend sowohl unüberwindbar als auch lächerlich sind: Mal einfach hinzugehen und jemand um einen Tanz zu bitten. Ohne Befürchtungen und ohne den Cabeceo-Schnack. Und erst recht unter Verzicht auf kulturelles Getütere.
Bei unseren Wohnzimmer-Milongas jedenfalls gab es nie Schwierigkeiten: Auch neue Gäste (und Gästinnen) lernten sehr schnell, dass wir um das Auffordern nicht das tangoübliche Geschiss machten. Vielleicht ein Verstoß gegen die archaische „Tangokulur“, aber ein Fortschritt in der Zivilisation.
Und im Zweifel könnten ja die Tänzerinnen ein rotes Band mitbringen, es dem Kerl ums Handgelenk binden und ihn aufs Parkett schleifen. Ich garantiere: Das ist die Sprache, welche Männer verstehen!
In einem Hit meiner Jugendzeit sollte die Angebetete ein gelbes Band verwenden, um einem entlassenen Zuchthäusler ihre noch bestehende Liebe zu signalisieren. Allerdings war nicht sein Arm das Ziel, sondern eine alte Eiche:
I′m coming home, I've done my time
Now I′ve got to know what is and isn't mine
If you received my letter telling you I'd soon be free
Then you′ll know just what to do if you still want me
If you still want me
Woah, tie a yellow ribbon ′round the old oak tree
It's been three long years, do you still want me? (Still want me)
If I don′t see a ribbon 'round the old oak tree
I′ll stay on the bus, forget about us, put the blame on me
If I don't see a yellow ribbon ′round the old oak tree
Ich komme nach Hause, ich habe meine Zeit
abgesessen
Jetzt muss ich wissen was mein ist und was nicht
Wenn du meinen Brief bekommen hast, indem ich dir schreibe, dass ich bald frei
sein werde
Dann weißt du, was du zu tun hast
Falls du mich immer noch willst, falls du mich immer noch willst
Binde eine gelbe Schleife um die alte Eiche
Es ist drei Jahre lang her, willst du mich immer noch?
Wenn ich keine Schleife um die alte Eiche sehe
Dann bleibe ich im Bus, vergesse was mit uns war, nehme die Schuld auf mich
Wenn ich keine gelbe Schleife um die alte Eiche sehe
Gesungen hat es Tony Orlando:
https://www.youtube.com/watch?v=Z8fhciUojQ0
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