Von Pinschern und Cancel Culture

Vor einigen Tagen hat die Berliner Tangolehrerin und Veranstalterin Ines Moussavi mich als „bissigen Pinscher“ bezeichnet, der „alle auf Korn“ nähme, die es wagten, mit dem Tango Einnahmen zu erzielen. Und das anlässlich eines Artikels, in dem ich kritisierte, dass man einem Münchner Tango-Organisator Eintrittsgelder vorenthält.

Zudem habe ich in einer Anzahl von Texten etliche Tangolehrer, DJs und Veranstalter in den höchsten Tönen gelobt. Vielleicht mal hier nachsehen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Milonga-Berichte

Und selbst Frau Moussavi kam bei mir nicht immer schlecht weg:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/11/moussavi-vs-sartori.html

Auf derselben Facebook-Seite warf mir eine andere Kommentatorin vor, ich bewege mich „haarscharf am Rand der Diffamierung und Geschmacklosigkeit“. Belege hierfür fehlen natürlich.

Hier zum Nachlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/06/das-wort-zum-samstag_30.html

Man beachte: Tango ist bekanntlich ein Tanz, wo es auf höchste Sensibilität und Achtsamkeit ankommt, auf dass die Seelen miteinander verschmelzen. Jedenfalls, so lange man es nicht riskiert, an manchen Erscheinungen der Szene Kritik zu üben, ja gar Satiren zu verfassen. Dann böckelt die Bussi-Empathie ein wenig.

Heute hat der Kabarettist Dieter Nuhr auf seiner FB-Seite einen längeren Text veröffentlicht, der mir aus dem Herzen spricht. Ich erlaube mir daher, daraus zu zitieren:

Immer wieder höre ich: „Cancel Culture gibt es nicht.“ Das ist natürlich Quatsch. Dass sie bei mir nicht erfolgreich ist, bedeutet ja nicht, dass es sie nicht gibt. Die früher häufig gehörte Forderung, meine Sendung einzustellen, ist heute perfideren Mechanismen gewichen. Heute wird versucht, mich durch stete Diffamierung als „rechter Comedian“ aus dem Kreis ernstzunehmender Stimmen auszuschließen. (…)

Teile unserer Medien erzeugen so durch stete Adressierung ein Bild von mir, das mich aus der demokratisch-freiheitlich-liberalen Mitte der Gesellschaft nach rechts rücken soll. Ich werde offensichtlich abgestraft für dauerhafte Regierungskritik, weil es mir an Begeisterung fürs vermeintlich Progressive mangelt. Meine Kritik richtet sich eben zwar auch, aber nicht nur gegen Rechte. Da nun einmal die breite Mehrheit meiner Branche auf dem linken Auge blind ist, nehme ich mir heraus, auch und vor allem die Widersprüche von Linken und Grünen satirisch aufzuarbeiten. (…)

So funktioniert Cancel Culture heute: Wenn der Feind nicht entfernt werden kann, muss man ihn langsam aber sicher durch dauerhafte Bearbeitung nach rechts aus dem Diskursraum hinausschieben…

Wenn ich rechts sein soll, dann muss sich der Begriff in sein Gegenteil verkehrt haben. Und tatsächlich: War es vor 20 Jahren noch links, die Freiheit der Sicherheit vorzuziehen und gegen die Staatsmacht zu sein, hat sich das Ganze spätestens in der Coronazeit gedreht. Plötzlich galt es als links, nach Law und Order zu rufen, Debatten zu unterbinden und stattdessen Experten zu folgen, die nicht infrage gestellt werden durften, individuelle Freiheit der Sicherheit zu opfern, Berufsverbote für Abweichler an Universitäten zu fordern und den Staat als Heilsbringer zu betrachten. (…)

Meiner Erfahrung nach lehnt aber der Großteil unserer Bevölkerung SOWOHL die AfD ALS AUCH manipulativen Journalismus ab, selbst wenn er dem hehren Zweck der links-grünen Gesellschaftsbesserung dient. Diesem Teil der Wählerschaft, den ich jetzt einfach mal als Mitte der Gesellschaft bezeichne, fühle ich mich zugehörig. (…)

In der Mitte der Gesellschaft wird es gerade eng… Immer mehr Menschen bedienen sich inzwischen ausländischer Zeitungen, um sich zu informieren. Meine Erfahrung aus zahllosen Gesprächen, übrigens auch in klassisch grünen und sozialdemokratischen Kreisen, ist: Die Mitte fühlt sich nicht mehr repräsentiert. Nur extrem wenige zweifeln daran, dass unsere Medien mit wenigen Ausnahmen eine politische Schlagseite haben.

Abwägende Töne, liberale oder gar konservative Positionen sind selten geworden und werden allzu oft gleich als faschistisch oder demokratiefeindlich gebrandmarkt. (…)

So geraten die politischen Begriffe völlig durcheinander. Nicht selten sehen sich selbst Liberale absurderweise als Nazis denunziert. Auch ich wurde bereits als Nazi, Querdenker, Klimaleugner diffamiert. Wie irre kann es noch werden?

Der inflationäre Gebrauch einer Vokabel wie „rechts“ als gleichbedeutend mit „rechtsextrem“ oder „rassistisch“, nutzt nur einer Gruppe: den wirklichen Rechtsradikalen, die sich nun freuen können, keine Randgruppe mehr zu sein, ist doch im Grunde jeder rechts, der nicht kritiklos links-grün mitmarschiert in die deindustrialisierte Gesellschaft.

Quelle:

https://www.facebook.com/nuhr.de/posts/pfbid02EMogC7greGr4m5Y2Rf7ZnCxbxHdpm8dYGaq77ptr9QeWu4G2umwpv7wBChBRTo8Vl

Sicherlich wird man Dieter Nuhr nicht zum Schweigen bringen können. In sieben Stunden gab es nahezu 9000 „Gefällt mir“-Angaben und über 1500 fast ausnahmslos positive Kommentare.

Etikettieren aber kann man ihn – wie neulich Jan Böhmermann, der im ZDF eine umfassende Nuhr-Persiflage bot. Der Düsseldorfer Kabarettist erklärte auf Nachfrage, sich die Sendung nicht angeschaut zu haben. Warum? „Nicht relevant“. Recht hat er.

Wenn ich das große Welttheater eines der meistbeschäftigten Wortkünstler mit meiner Bonsai-Tangoenklave vergleiche, fallen mir viele Gemeinsamkeiten auf:

In den Anfängen meiner Autoren-Arbeit versuchte man, mich durch heftige Attacken vom Platz zu fegen. Es gab kaum eine Grobheit, die ich mir nicht einfing. Inklusive Cancel Culture: Veranstalter wurden angeregt, mich nicht mehr reinzulassen, Frauen, meine Tanzangebote auszuschlagen.

Da man mich nicht wegbekam, folgte Phase zwei: Etikettierung.

Oberlehrer, Selbstbeweihräucherer, Provinzler, frustrierter alter Mann, Rentner, der bequem von seiner Pension leben kann – vor allem aber die Aberkennung von Kompetenz: Ich verstünde nichts vom Tango, könne ihn weder unterrichten noch tanzen.

Phase drei: totschweigen. Das verspricht bei mir sicherlich viel mehr Erfolg als beim berühmten Kollegen. Ganz wird man es bei derzeit zirka 500 täglichen Zugriffen auf mein Blog dennoch nicht schaffen.

Auch ich vertrete beim Tango eine „Mitte“, die keine musikalische Sparte, keine Schaffensperiode unseres Tanzes ausschließt. Die zwar sinnvolle Regeln akzeptiert, nicht aber die paramilitärischen Comments, die unsere Milongas teilweise beherrschen. Und die im Zweifel stets der Liberalität statt dem Kommiss-Gehorsam den Vorzug geben, für Gleichberechtigung und nicht für Hierarchien plädieren.

Dennoch wird man weiterhin behaupten, ich wolle beim Tango „alle Regeln abschaffen“, agiere auf dem Parkett rücksichtslos und sei dafür, die Tanzenden wahlweise nur mit Peter Alexander oder Astor Piazzolla zu beschallen. Und ich würde andere beleidigen und diffamieren, verletze Urheberrechte und betrüge die GEMA.  

Gemeinsam mit Dieter Nuhr frage ich da: „Wie irre kann es noch werden?“

Zurück zum Anfang:

Ob Frau Moussavi den Begriff „Pinscher“ noch aus ihrer Jugendzeit kennt? Am 9.7.1965 benutzte ihn Kanzler Ludwig Erhard in einer Rede beim Wirtschaftstag der CDU. Er regte sich darüber auf, dass Schriftsteller und Wissenschaftler zunehmend die Regierungspolitik kritisierten. Das sei zwar ihr gutes Recht, aber sie müssten sich dann auch gefallen lassen, wenn man sie „Banausen und Nichtskönner“ nenne, die über Dinge urteilten, von denen sie nichts verstünden. Der Angriff gipfelte in dem Satz: „Nein, so haben wir nicht gewettet. Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an."

https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/intellektuelle-beschimpfung-ludwig-erhard-wehrdienstsenat-bverwg-rechtsgeschichte/

Wegen zunehmenden Autoritätsverlusts musste Ludwig Erhard am 30. November 1966 als Bundeskanzler zurücktreten.

Also, Frau Moussavi, wenn man aus der Geschichte lernen möchte…

P.S. Auf mich wirken Pinscher ganz sympathisch:

https://www.youtube.com/watch?v=tbNclf6NbsQ

Kommentare

  1. Die folgende Replik schrieb ich auf eine persönliche Nachricht eines Lesers. Leider hat er mir nicht erlaubt, seinen Kommentar zu veröffentlichen. Tja, in manchen Tangokreisen könnte es die Karriere gefährden, mit mir zu korrespondieren…

    Hier meine Antwort:

    Schade, denn ich schreibe meine Artikel nicht als persönliche Botschaften an irgendwen, sondern als öffentliche Meinungsäußerungen.

    Ich weiß nicht, ob du den Text von Dieter Nuhr in voller Länge gelesen hast. Ich habe daraus die Passagen zitiert, bei denen ich Parallelen zu meiner Arbeit erkenne.

    Weiterhin setzt sich der Kabarettist mit einem Beitrag von Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auseinander, in dem gefordert wird, die journalistische Neutralität aufzugeben. Ich habe auch immer mehr den Eindruck, dass in den Medien nicht mehr sauber zwischen Nachricht und Kommentar unterschieden wird. Da kriege ich selbst in Sendungen wie dem „Heute Journal“ oder den „Tagesthemen“ immer mehr erzählt, wie ich ein politisches Ereignis zu finden habe. Ich halte das für gefährlich.

    Mit „Lügenpresse“ oder „False Balance“ hat das nichts zu tun. Auch Dieter Nuhr spricht von „rechten Spinnern aus dem Lager der Lügenpresseschreier“. Ich bin aber mit ihm der Ansicht, Journalisten sollten nach der Wahrheit suchen anstatt zu glauben, sie zu besitzen.

    Ebenfalls eine bemerkenswerte Parallele zum Tango!

    Und was die „Opferrolle“ betrifft: Weder Nuhr noch ich sehen sich als „Opfer“. Dazu müsste man uns erstmal kleinkriegen. Dennoch dürfen wir der Meinung sein, unfair behandelt zu werden.

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