Das Wort kann gehen

Leider wird bei unserem Tanz viel zu viel geredet: Vor dem Tanzen, zwischendurch und unglücklicherweise auch nachher. Tango ist aber eine Körpersprache – und bei dieser fällt Lügen sehr schwer. Im Gegensatz zu verbalen Äußerungen. Die bedeuten oft nicht das, was die Worte besagen.

Daher habe ich einmal, aus dem Erleben in 24 Jahren Tango, die wesentlichen Floskeln zusammengestellt – nebst den häufigen Subtexten, welche zwar nie ausgesprochen werden, der Wahrheit jedoch meist deutlich näherkommen.

Eine der wenigen Äußerungen, die man wirklich ernst nehmen kann, lautet:

„Willst du mit mir tanzen?“

Vor Jahren habe ich einmal gelesen, man solle dies nicht so formulieren, da man sonst den Anderen unter Entscheidungsdruck setze. Lieber sollte man bekennen:

„Ich möchte gerne mit dir tanzen.“

Dem oder der Anderen werde so lediglich die eigene Bereitschaft mitgeteilt. Was er oder sie dann daraus mache, bleibe offen.

Eigentlich eine gute Idee. Nur: Will ich wirklich aufs Parkett? Bei der Musik, die gerade läuft? Bei dem ideenlosen Tanzstil um mich herum? Oder habe ich lediglich die Befürchtung, sonst als asozialer Stoffel rüberzukommen? Für einen Blogautor, der ständig gegen die Benachteiligung von Frauen anschreibt, eine zweifelhafte Reklame!

Besonders schwierig wird es mit dem Wahrheitsgehalt, wenn eine Tanguera zwecks Aufforderung die Methode „dazusetzen und volllabern“ anwendet. Dann bedeutet mein Tanzangebot öfters in Gedanken:

„Okay, bringen wir es hinter uns – du gibst sonst eh keine Ruhe!“

Eine Lieblingsfrage, die mir früher sehr häufig gestellt wurde:

„Schwitzt du nicht in deinem Pulli?“

„Doch, aber ohne würde ich auch schwitzen. Gehört bei mir halt dazu.“

Liebend gerne würde ich so reagieren:

„Hast du eigentlich nicht genug eigene Probleme, dass du dich um meine kümmern musst? Zum Beispiel tänzerisch? Und frage ich dich eigentlich, ob du in deinem dünnen Satin-Fähnchen nicht frierst?“

Aber die Zermürbung hat Früchte getragen: Ich tanze inzwischen kaum noch im Pulli. Schwitzen tue ich trotzdem.

Aktuell wird gerne die Auskunft verlangt:

„Wie lange tanzt du schon?“

Meine Gegenfrage lautet meist:

„Tanzen insgesamt oder Tango?“

Stets interessiert die Fragerin nur die Tangophase. Damit hat sie bereits den Nachweis der Inkompetenz erbracht, denn entscheidend ist, wenn schon, die gesamte Tanzzeit. Wenn ich dann eine Jahreszahl nenne, kommt prompt die Reaktion:

„Oh je, da kann ich ja noch lange warten.“

„Na Mädel, vom Warten wirst du das Tanzen nicht lernen. Ich kenne viele, die schon lange auf den Milongas herumhüpfen, obwohl man es nicht vermuten würde. Und wer sagt dir eigentlich, dass ich vor 10 oder 20 Jahren nicht auch schon ganz passabel Tango tanzen konnte?“

Selbstverständlich sage ich das alles nicht laut.

„Gefällt dir die Musik?“

Obacht, vermintes Gelände! Wenn ich ehrlich antworten würde, dass der Trottel mich mit Tandas erfreut, die ich bei jedem zweiten oder dritten Milongabesuch erdulden muss, könnte ich darauf warten, dass die Dame das weitertratscht – gerne auch an den DJ, falls der mal seine Kopfhörer runternimmt. Also lautet meine Auskunft:

„Ja, passt schon, ist okay.“

„Ich mag ja besonders diese alten Stücke.“

„Meine Liebe, das brauchst mir nicht zu verraten – merke ich an deinem Förderschul-Tanzstil. Aber das ist schließlich dein Problem…“

Natürlich sage ich das nicht wirklich. Wozu auch? Die Welt des modernen Tango dürfte ihr völlig unbekannt sein. Da will ich nichts durcheinanderbringen.

„Ich bin aber noch Anfängerin.“

Die von mir am häufigsten vernommene Selbstbeschreibung von Tänzerinnen! Im Gegensatz zu Männern, welche ihre Kompetenz gerne grundlos überhöhen. Wie gerne würde ich dazu sagen:

„Na, das überrascht mich aber – ich habe gar nicht beobachtet, dass du schon drei Tandas lang übers Parkett geschlingert bist. Wollen wir jetzt tanzen oder unsere Biografien vergleichen?“

In Wirklichkeit reagiere ich natürlich freundlich und gelassen:

„Macht doch nichts – wir probieren einfach, was geht.“

Und nach dem ersten Tanz füge ich öfters hinzu:

„Na also, geht doch!“

Manchmal würde ich lieber bemerken:

„Na schau, jetzt bist du drei Minuten rückwärtsgelaufen, ohne auf den Hintern zu fallen. Wollen wir es beim nächsten Stück mal mit Tanzen versuchen?“

Putzig finde ich auch einen Satz, den ich schon öfters gehört habe, wenn eine Partnerin unbeeinflusst von Führung und Taktstrichen ins Nirwana stopert:

„Huch, jetzt bin ich dir entwischt!“

Was soll man dazu sagen – außer:

„Macht nichts, alles gut!“

Wobei einem eher danach wäre:

„Eigentlich ist Tango ein Paartanz und keine Verfolgungsjagd. Könnten wir es mal gemeinsam versuchen?“

Oft höre ich auch die Bemerkung:

„Diesen Schritt kenne ich noch nicht. Was hätte ich da machen sollen?“

„Tanz einfach, was du meinst. Ich passe mich schon an.“

Was ich natürlich nicht sage:

„Zum Teufel, wie soll ich das wissen? Kümmere dich einfach um deinen Kram – ich hab’s schon schwer genug!“

Oder, bei mir besonders beliebt: Ein ruckartiger Stopp, weil die Dame bei einem Beinschwung mit ihrem Absatz in einem modischen Detail ihrer Tangoverkleidung hängen bleibt. Auch dabei hilft nur, mit einem coolen Spruch die Affäre herunterzuspielen statt ehrlich anzumerken:

„Ja super, das hast du mit deiner Kampfausrüstung wieder sauber hingekriegt! Wie wär‘s mal mit Jogginghose und Sneakers? Wenn du zu Boden gehst und ich anschließend auf dich drauffalle, bin ich nämlich für alle Beobachter die Pflaume. Und so rücksichtslos, wie der Riedl eben tanzt, kann’s ja nicht anders enden…“

Glücklicherweise kann man oft die Musik verantwortlich machen:

„Na ja, das war aber auch ein schwieriges Stück.“

Was im Klartext bedeuten könnte:

„Seien wir froh, dass es kein simpler Titel war. Sonst könnten alle sehen, dass es mit uns überhaupt nicht funktioniert.“

Trotz allem hat sich der Kavalier am Ende des Tanzes natürlich zu bedanken. Zweifel sind angebracht, wenn Ihr Partner lediglich meint:

„Vielen Dank, war schön!“

Übersetzt heißt das häufig:

„Vor allem bin ich dem DJ dankbar, dass er die Tanda schön kurz gehalten hat. Ich hab schon befürchtet, dass er noch ein viertes Stück auflegt.“     

Liebe Leserschaft,

natürlich sind diese Subtexte satirisch maßlos übertrieben. Sie stammen von einem Autor, der sich – analog zu Jekyll und Hyde – den Namen einer harmlosen Privatperson als Pseudonym ausleiht, um seine nicht immer geschmackvollen Scherze zu treiben.

Dennoch meine ich: Es wird im Tango viel zu viel geredet. Das Wort kann also gehen.

Denn tanzen kann es nicht!

 


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