Hardcore mit „Fracanapa“
Was ich letzten Samstag im Puchheimer Kulturzentrum „PUC“ erlebte, hat mich für vieles entschädigt, was ich schon an langweiliger Tangomusik erdulden musste:
Neben der „Hauskapelle“, dem Orchester „ImprovisTango“ trat dort das „Fracanapa New Tango Quintet“ aus Berlin auf.
Unter der Leitung von Susanne Hofmann (Violine) spielten Judith Brandenburg (Bandoneón), Winfried Holzenkamp (Kontrabass), Oli Bott (Vibraphon) und Gabriel Nuñez (Klavier) – für Tangomusik eine nicht ganz alltägliche Besetzung.
Susanne Hofmann war insbesondere meiner Frau bekannt, da die Musikerin auch Violinkurse speziell für den Tango anbietet:
https://www.youtube.com/@susannehofmannvioline-tango
„Fracanapa“ heißt übrigens eine Komposition von Astor Piazzolla und bezeichnet eine Figur des italienischen Straßenkarnevals.
Das erste Set, welches die Gruppe bot, habe ich in dieser Form noch auf keiner Milonga erlebt:
Es erklangen vier Kompositionen von Astor Piazzolla – gleich zu Beginn „Verano Porteño“ in einer filigranen, ausgefeilten Bearbeitung:
https://www.youtube.com/watch?v=a2igGgPGXUs
Als hätte das nicht gereicht, wagte sich das Ensemble an ein hochkompliziertes Stück: „Contrabajisimo“, bei welchem Winfried Holzenkamp seine ganze Virtuosität beweisen konnte. Da es von der Gruppe kein Video dazu gibt, hier eine Aufnahme mit dem Komponisten:
https://www.youtube.com/watch?v=NP3IaK976m0
Ganz ehrlich: Ich hatte mir das zirka zehnminütige Stück einmal angehört und damals das Gefühl, dass es selbst für unsere Pörnbacher Milonga ein wenig „zu abgedreht“ erschien, und es daher von meiner Playlist gestrichen.
Zwei weitere Titel des Tango nuevo folgten – und das Schönste war: Man durfte zu allem tanzen – und zirka zwei Drittel der zahlreich erschienenen Gäste taten das auch.
Allerdings sah ich vom Parkett aus etliche ziemlich grimmige Mienen – und wie ich hinterher hörte, war man in gewissen Kreisen recht sauer: Das sei doch „konzertant“ und daher nicht für eine Milonga geeignet!
Bei solchen – inzwischen seltenen – Gelegenheiten bewundere ich stets die Toleranz derer vom historischen Tango. Na und? Wem es nicht „tanzbar“ erschien, durfte doch sitzenbleiben und das „Konzert“ genießen, oder? Tat aber die Mehrheit nicht und bewies so anschaulich, dass man auch zu solchen Aufnahmen tanzen kann – wenn man es kann und möchte.
Schade, dass Jochen Lüders bei der Veranstaltung fehlte – er hätte dabei etwas zum Nachdenken gehabt!
Und auch die Tradi-Fans kamen durchaus auf ihre Kosten – vom Hausorchester und den DJs gab es zwischendurch genügend braveres Traditionelles.
„Fracanapa“ ist eine reine Tangoformation. In anderen Besetzungen finden sich auch Barockmusik sowie brasilianische Titel und argentinische Folklore.
Auf jeden Fall handelt es sich um Vollblutmusiker, die auf einem sehr hohen technischen und interpretatorischen Niveau spielen. Und sie können sogar historische Tangotitel.
Weiterhin bieten sie auch Eigenkompositionen – besonders gefallen hat mir „Back again“ von der Bandoneónspielerin Judith Brandenburg:
https://www.youtube.com/watch?v=K2hsnKQDAMc
Näheres hier:
https://www.susanne-hofmann.eu/live-musik-buchen
Es war jedenfalls ein toller und inspirierender Abend, für den ich mich bei den Künstlern und auch dem Gastgeber Alfredo Foulkes herzlich bedanken möchte.
Dieser Anlass hat mir wieder einmal gezeigt: Es ist eine Mär, dass man auf viele Stücke Piazzollas (und anderes Ungewohntes aus dieser Kategorie) nicht tanzen kann oder möchte. Im Gegenteil: Die große Mehrheit der Gäste hatte auch an den „abgedrehten“ Titeln großen Spaß und tanzte fleißig mit. Und was mir ebenfalls auffiel: Bei einer solchen Musik löst sich das stilistische Einerlei auf dem Parkett auf und weicht individuellen Interpretationen.
Aber klar: Im heutigen Tango verläuft eine harte Grenze zwischen denen, welche auf der Tanzfläche das Abenteuer suchen und jenen, die sich an eine vermeintliche „Sicherheit“ klammern. Für mich jedenfalls ist es stets eine tolle Herausforderung, zu einem unbekannten, schwierigeren Stück zu tanzen. Dann ist man total im Moment gefangen!
Sicherlich darf jeder sein Glück da suchen, wo er es vermutet. Aber dann bitte alle und nicht nur eine bestimmte Fraktion!
Lieber Gerhard, danke, daß du für und über uns so ausführlich schreibst. Fracanapa Quintets "Tango-Reise" beginnt bei Piazzolla, geht über Judith Brandenburgs und Gabriel Nunez Kompositionen hin bis zu unserem neuesten Event: Tango improvisiert live on stage - natürlich für Tänzer! Es macht einen riesen Spaß, sich darauf einzulassen...
AntwortenLöschenLiebe Susanne Hofmann,
Löschendie Rezension habe ich sehr gerne geschrieben - eure Musik hat mich wirklich begeistert!
Ich bin gespannt auf eure neuen Produktionen und werde sie aufmerksam verfolgen.
Beste Grüße
Gerhard