Kinder und Narren sagen die Wahrheit

 

„Sie geben in Ihren Blogs auch immer vor, kompetenter zu sein als Sie sind. (…) Aber dass gerade Sie von anderen erwarten, sich schön bescheiden zu geben, während Sie Ihre Kenntnisse ständig überschätzen, ist geradezu peinlich.“

(aus der Mail eines Tangolehrers, 7.7.23)

Anlass war natürlich mein gestriges „Wort zum Samstag“. Dass es damit Ärger geben würde, war mir von vornherein klar: Man darf eben im Tango keine hochgestellten Persönlichkeiten kritisieren.

Dabei habe ich das nicht einmal unternommen. Die Idee meiner neuen Reihe, welche sich immer größerer Aufmerksamkeit erfreut, ist schlichtweg: Zitieren, womit sich andere um Kopf und Kragen schreiben.

Mit meiner eigenen Ansicht dazu habe ich mich sehr zurückgehalten. Warum soll ich auf jemanden einschlagen, der sich bereits selber demontiert? Aber sicherlich konnte man ahnen, was ich von dieser Werbung hielt: Was da versprochen wurde, kann niemand einlösen – weder in neunzig Minuten noch in neun Tagen oder Wochen.

Dazu passt dann eine Selbstdarstellung, welche jedenfalls mich atemlos macht. Mich erinnert das an die früher gebräuchliche Eigenwerbung: „Bekannt von Funk, Film und Fernsehen.“ Man konnte davon ausgehen: Wer diesen Spruch nötig hat, ist es meist nicht.

Was ich allerdings nie täte: Den kritisierten Personen Fähigkeiten oder Kompetenzen absprechen. Künstlerische Betätigungen sind ein hartes Geschäft. Man muss dabei ganz schön strampeln, um einigermaßen Erfolg zu haben. Und den gönne ich selbstverständlich jedem und jeder.

Und natürlich darf Werbung ein wenig übertreiben. Die Grenze sehe ich halt da, wo man der Kundschaft Märchen erzählt – beispielsweise, in anderthalb Stunden musikalisches Tanzen erlernen zu können. Da greife ich im Sinne des „Verbraucherschutzes“ ein.

Leider ist Tango eine ernste Sache: Wer es wagt, gewisse Erscheinungen ins Lächerliche zu ziehen, den trifft die geballte Humorlosigkeit. Der Schreiber, so tönt es dann, habe ja keine Ahnung von der Sache. Wie könne er sich dann erlauben, über ein bestimmtes Thema zu urteilen? Gerne werden gleichzeitig Nachweise geliefert, welche die eigene Kompetenz untermauern.

Ich meine, solche Hierarchie-Argumente passen besser in die Zeit des Absolutismus denn in eine offene, demokratische Gesellschaft:

„Mit Absolutismus (auch absolute Monarchie genannt; lateinisch absolutus, „losgelöst“, im Sinne von legibus absolutus = „von den Gesetzen losgelöst“) wird eine Herrschaftsform in Monarchien bezeichnet, die von der Regierung eines aus eigener Machtvollkommenheit handelnden Herrschers oder ohne wesentliche politische Mitentscheidung ständischer oder demokratischer Institutionen bestimmt ist (Alleinherrschaft).“

https://de.wikipedia.org/wiki/Absolutismus

Staatsporträt Ludwigs XIV. von Hyacinthe Rigaud (um 1700)

Der Unterschied ist: Ein absolut regierender Monarch hat qua Amt recht – er muss das weder begründen noch gar rechtfertigen. Und auch beim Tango hat man öfters das Gefühl, man dürfe den Notablen nicht auf die Schleppe treten.

Leider sind auch politisch solche „unangreifbaren“ Persönlichkeiten wieder modern: Wer Erdogan, Putin, Ali Chamenei oder Kim Jong-un kritisiert, bekommt gewaltigen Ärger. Der Wähler liebt den „starken Mann“! Im Tango ist das ähnlich.

Auch wenn meine Kritiker das weiterhin bestreiten: Ich habe in unserem Tanz nie eine „führende Stellung“ beansprucht. Meine Erfahrungen auf diesem Sektor habe ich oft genug öffentlich dargestellt. Und auch, womit ich nicht dienen kann. Daraus darf jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.

Im Gegenteil habe ich alles getan, um eine persönliche „Tangokarriere“ zu verhindern. Hätte ich mich der reaktionären Entwicklung angepasst, könnte ich mich wahrscheinlich längst „Tangolehrer“ nennen und würde auf internationalen Festivals abgebusselt. Stattdessen bin ich zum viel geschmähten Häretiker geworden und musste mich erst gestern wieder als „Stümper“ titulieren lassen.

Ich will darüber aber nicht klagen. Mir gefällt diese Rolle.

Was aber ebenfalls stimmt: „Tangolehrer“ ist hierzulande keine geschützte Berufsbezeichnung, ebenso wenig „DJ“ (war in der DDR mal anders). Kaum jemand kann hierzulande ausschließlich vom Tango leben – trotz der inflationär gebrauchten Vokabel „Profi“. Die meisten, welche Tango unterrichten, haben keinen Abschluss an einer staatlich anerkannten Tanzakademie, und ich kenne keinen Veranstalter mit einer Ausbildung als Veranstaltungsfachwirt/in.

https://www.ihk-muenchen.de/de/Aus-und-Weiterbildung/Weiterbildung/Fortbildungspr%C3%BCfungen/Alle-Fortbildungspr%C3%BCfungen/Veranstaltungsfachwirt-in.html

Nein: Fast alle derartig Tätigen haben sich halt, oft in vielen Jahren, eine Menge Erfahrungswissen erworben – vielleicht sogar manches als Autodidakt erlernt. Das ist auch völlig in Ordnung – jedoch kein Grund, sich als absolutistischer Monarch aufzuspielen.

Und, worauf es mir besonders ankommt: Der berühmte Artikel 5 des Grundgesetzes bestimmt, dass nicht nur Experten ihre Meinung frei äußern dürfen, sondern jedermann (und sogar Frauen). Und natürlich darf man dem widersprechen. Aber im horizontalen und nicht vertikalen Dialog!

Ich halte das für einen gewaltigen zivilisatorischen Fortschritt: Niemand muss sich mit dem Argument kleinkriegen lassen, er habe keine Ahnung und solle daher besser schweigen.

Leider scheint diese Erkenntnis noch nicht im Tango angekommen zu sein. Da ist es immer noch üblich, andere mit dem „Kompetenz-Argument“ kleinzumachen: Wie könne man es nur wagen, eine Meinung zu haben oder gar zu veröffentlichen, wenn man nicht zur selbst ernannten „Elite“ gehört?

Daher werde ich immer wieder daran erinnern: Auch der unbedeutendste Milongabesucher hat das Recht, ein Musikprogramm grottig zu finden – ein Kursangebot nutzlos oder eine Tangolehrkraft arrogant. Und ich rate ferner dazu, dies ernst zu nehmen. Dann kämen wir im Tango weiter.

„Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“ Sicher nicht immer, aber interessant ist es stets. Und zwar deshalb, weil beide keine Opportunisten sind. Das gefällt mir sehr!

Kommentare

  1. Zu diesem und dem vorigen Artikel bekomme ich seit gestern im Stundentakt Mails mit diversen Beschimpfungen. Ich werde sie nicht veröffentlichen. Bei Interesse kann man sich ja beim Schreiber erkundigen: info@klauswendel.info
    Ich bin sicher, das freut ihn. Er braucht dringend Beachtung.

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  2. Zu diesem Artikel habe ich einen Text von Klaus Wendel erhalten, den ich im folgenden Beitrag abdrucke und beantworte:
    https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/07/meinungen-fakten-und-wendel.html

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