Meinungen, Fakten und Wendel

Heute erreichte mich eine Mail des Tangolehrers Klaus Wendel zu meinem letzten Artikel. Wegen des relativ großen Umfangs möchte ich diese nicht als Kommentar, sondern als eigenen Beitrag veröffentlichen und auch hier beantworten. Zudem glaube ich, dass damit ziemlich deutlich die Gegensätze klar werden, die uns nicht erst seit heute trennen. Hier zunächst der gesamte Wortlaut des Wendel-Textes:  

Eine Antwort über eine Googleanmeldung funktioniert auf Ihrer Seite nicht, also hier ein Brief. 

Herr Riedl,

Nach wohl vielen Beschwerden von Ihnen, dass man als Kommentator nicht auf die Inhalte Ihrer Beiträge eingehen würde, möchte ich diesen Beitrag mal inhaltlich kontern. 

Es geht also zusammenfassend um Ihre Meinungsfreiheit, die von Tangolehrern oder Veranstaltern „absolutistisch“ verweigert oder als Inkompetenz bezeichnet wird. Richtig?

Das verstehe ich nicht, denn immerhin schreiben Sie hier frei über Menschen, Tango- und Politik-Themen, ohne dass bisher ein Verbot oder eine Zensur Ihres Blogs von offizieller Seite ausgesprochen wurde.

Und auch in diesem Artikel entdecke ich wieder eine Verwechselung von Meinung und Fakten. 

Erst mal ein Zitat von Immanuel Kant: „Meinen ist ein mit Bewusstsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten.“

Kompetenz beruht also auf persönlicher Erfahrung, Wissen von Fakten.
Bezeichnen Sie sich also auf die Meinungsfreiheit berufen, sind dann Ihre Beiträge nur bloße Meinung, also ein «Fürwahrhalten»?

Dann darf man Ihnen doch widersprechen und Ihre Meinungen als Unsinn bezeichnen; auch wenn’s Ihnen weh tut. Wenn man also Ihre Kompetenz in Zweifelt zieht, weil man Sie eindeutig unmusikalisch tanzen sieht und eindeutig falsche Aussagen von Ihnen lesen kann, ist das doch wohl berechtigt, Ihnen Inkompetenz vorzuwerfen, denn Kompetenz beruht nicht auf Meinung, sondern auf Fakten und Können. Beim Thema Tango ist übrigens auch nicht alles nur Meinung, sondern auch Wissen, auch wenn’s autodidaktisch erworben wurde.

Ist also eine Darstellung Ihrer Inkompetenz Absolutismus?
Diese widersprüchliche Auslegung von Fakten, Meinung, Kompetenz sehe ich in ihrem gesamten Lamento.


Wo sich all Ihre Kritiker einig – also einer Meinung – sind, ist die Beobachtung, dass Sie gern austeilen, aber hypersensibel als Opfer reagieren, wenn Sie einstecken müssen.

 
Wer so gerne austeilt wie Sie, sollte ein dickeres Fell haben und sich nicht in solchen Artikeln über Ihre bösen absolutistischen Kritiker ausweinen. Ihre Hybris, kompetente Leute aus der Tanzszene als absolutistische Obrigkeit mit Vergleichen der DDR darzustellen, weil Sie Ihnen widersprechen, wirkt etwas narzisstisch als Überhöhung Ihrer Beiträge.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel

PS: Dieser Brief wird sowieso veröffentlicht, und wenn auch auf meinem Blog:
www.tangocompas.co

Hier meine Antwort:

Sehr geehrter Herr Wendel,

ich habe mein Blog, wie angekündigt, am 1.7.23 für Kommentare per Google-Konto freigeschaltet. Warum das bei Ihnen nicht geht, kann ich nicht überprüfen. Vielleicht fragen Sie einmal einen Computer-Experten um Rat. Habe ich in meiner über neunjährigen Blogger-Karriere oft genug getan – sonst würde ich heute noch mit diversen Problemen kämpfen, welche die digitale Welt halt leider bietet.

Aber allein die Feststellung dazu zeigt Ihre Argumentationsweise: „Eine Antwort über eine Googleanmeldung funktioniert auf Ihrer Seite nicht.“ Wissen Sie das so genau? Fest steht doch lediglich, dass es Ihnen derzeit nicht gelingt!

Es freut mich, dass Sie nun einmal versuchen, inhaltlich auf einen meiner Artikel einzugehen. Daher antworte ich Ihnen gerne.

Sie fragen: „Es geht also zusammenfassend um Ihre Meinungsfreiheit, die von Tangolehrern oder Veranstaltern ‚absolutistisch‘ verweigert oder als Inkompetenz bezeichnet wird. Richtig?“

Nur zur Hälfte: Niemand kann hierzulande einem anderen die Meinungsfreiheit beschneiden oder gar entziehen. Dieses Grundrecht hat schließlich Verfassungsrang – jedenfalls bei uns.

Ich mache beim Tango aber immer wieder die Erfahrung, dass Ansichten damit gekontert werden, der andere verstünde – im Gegensatz zur eigenen Person ­–  nichts von der Sache. Auf weniger hartgesottene Leute kann das schon abschreckend wirken, mit der Folge, dass man sich nichts mehr zu sagen traut, jedenfalls nicht öffentlich.

Daher plädiere ich für einen Dialog „auf Augenhöhe“ ohne Einschüchterung des anderen. Wenn jemandem eine Musik, ein Tanz oder eine Regelung im Tango nicht gefällt, muss er dazu nicht dreißig Jahre in diesem Metier unterwegs gewesen sein oder mit irgendwelchen Berühmtheiten auf Du und Du stehen. Es ist ein subjektiver Eindruck, den man ernstnehmen sollte. Schließlich sind es die Kunden, welche per Entlohnung von solchen Berufstätigen deren Existenz sichern helfen.

Sie schreiben: „Kompetenz beruht also auf persönlicher Erfahrung, Wissen von Fakten.“

Na ja, sicherlich auch. Vor allem aber auf Leistung und die Anerkennung dritter. In vielen Fällen auch auf der Basis offizieller Prüfungen und Abschlüsse. Kompetenz kann man nie selber beanspruchen, sie wird einem von der Gesellschaft verliehen, indem man möglichst viele überzeugt. Im Tango gibt es staatlich anerkannte „Kompetenzen“ kaum. Das Meiste beruht auf Erfahrungswissen. Schon deshalb ist der Tango ein ziemlich ungeeignetes Feld, über dieses Thema zu streiten. Das gilt übrigens für viele Bereiche der Kunst.

Meinung oder Fakten? Meine Artikel enthalten meist beides. Die Tatsachen, welche ich verwende, sind sorgfältig recherchiert und oft mit Quellen belegt. Sollte ich mich einmal irren, darf man mich gerne darauf hinweisen. Ich korrigiere das natürlich sofort. Aber damit geben sich meine Kritiker meist nicht ab.

Aus diesen Fakten ziehe ich oft Schlüsse, welche dann selbstverständlich eine subjektive Bewertung darstellen. Auch diese Passagen mache ich deutlich kenntlich. Ich weiß nicht, wie oft ich schon betont habe, dass ich im Tango persönliche Standpunkte vertrete, welche häufig alles andere als „Mainstream“ darstellen. Denen darf man natürlich widersprechen – das schmerzt mich überhaupt nicht.

Sie schreiben: „Wenn man also Ihre Kompetenz in Zweifelt zieht, weil man Sie eindeutig unmusikalisch tanzen sieht und eindeutig falsche Aussagen von Ihnen lesen kann, ist das doch wohl berechtigt, Ihnen Inkompetenz vorzuwerfen, denn Kompetenz beruht nicht auf Meinung, sondern auf Fakten und Können.“

Ich glaube, da liegt der Kern des Problems: Wenn Sie feststellen, dass ich oder jemand anders „unmusikalisch“ tanzt, ist das halt auch nur eine subjektive Einschätzung. Oder sind Sie Mitglied einer staatlichen Kommission zur Bewertung des Tango-Könnens? Selbstverständlich dürfen Sie mir „Inkompetenz“ vorwerfen – nur ist das keine „qua Amt“, also absolutistisch vertretene Wahrheit, sondern ebenfalls „objektiv unzureichendes Fürwahrhalten."

Sie schreiben: „Wo sich all Ihre Kritiker einig – also einer Meinung – sind, ist die Beobachtung, dass Sie gern austeilen, aber hypersensibel als Opfer reagieren, wenn Sie einstecken müssen.“

Ich finde es schon einmal anmaßend, wenn Sie „all Ihre Kritiker“ schreiben. Haben Sie denn alle gefragt? Das stelle ich mir schwierig vor! Wenn man sich die fast 4300 Kommentare auf meinem Blog ansieht, ergibt sich ein anders Bild: Ich erfahre viel Zustimmung, und es gibt genug kritische, aber sachliche und konstruktive Beiträge, zu denen ich auch stets Stellung nehme. Übrigens habe ich auch Ihre Zuschriften meist beantwortet, obwohl ich den Tonfall oft unangemessen fand.

Ein Beispiel zu meiner „hypersensiblen“ Reaktion als „Opfer“: In einem Facebook-Kommentar hat mich eine Tangolehrerin als „bissigen Pinscher“ bezeichnet. In einer Mail an mich bezeichneten Sie diese Beurteilung als „völlig berechtigt“. Als ich nochmal auf die Formulierung hinwies, antworteten Sie, ich käme mit dieser Bezeichnung „noch zu gut weg“.

Lieber Herr Wendel, die Dame und auch Sie können froh sein, dass ich darauf nicht „hypersensibel“ reagierte! Ich fürchte, manche wahrhaft empfindlichen Naturen hätten da einmal die Staatsanwaltschaft nach ihrer Beurteilung gefragt.

Ich bestreite nicht, dass ich in meinen Satiren auch einmal hart austeile, aber niemals würde ich eine konkrete Person derartig unflätig beleidigen. Das finde ich absolut stillos und eigentlich ein Indiz von persönlicher Schwäche.

Daher wünsche ich mir, dass sich meine Kritiker zukünftig mit den Inhalten meiner Artikel auseinandersetzen und nicht zu persönlichen Abwertungen greifen. Die bringen uns im Tango nämlich keinen Schritt weiter. Dazu gehört es meiner Ansicht nach auch, auf individuell gemünzte Vokabeln wie „Hybris“ oder „narzisstisch“ zu verzichten.

Mit besten Grüßen

Gerhard Riedl

Kommentare

  1. Herr Riedl,
    eine kurze Reaktion auf ein paar Sätze in Ihrer Antwort:

    […]“Im Tango gibt es staatlich anerkannte „Kompetenzen“ kaum. Das Meiste beruht auf Erfahrungswissen. Schon deshalb ist der Tango ein ziemlich ungeeignetes Feld, über dieses Thema zu streiten. Das gilt übrigens für viele Bereiche der Kunst.“[…]

    Naja, das denken viele. Aber nur, weil sich vieles nicht nachschlagen lässt, ist die Erfahrung dann zweitrangig?

    Erlebtes und Erprobtes unter bestimmten messbaren Bedingungen oder Kriterien ist oft auch neutral faktisch.
    Weil Tango so unglaublich vielseitig und divers ist, jeder Tangos ist anders, erscheint Wissen darüber oft auch beliebig. Darauf ruhen sich oft Dilettanten aus und wollen auf Augenhöhe mitreden.

    Ich kann aber nicht mit Anne Sophie Mutter über das Violinkonzert von Beethoven diskutieren, weil mir die Expertise dazu fehlt. Dieses Konzert ist auch Kunst.

    Mit „Auf Augenhöhe“, meinen sie offensichtlich respektvoll im Umgang, aber wenn Wissens- und Erfahrungslücken klaffen, ist man einfach nicht fachlich mit jedem auf Augenhöhe.

    Kompetenz ist Kompetenz, egal ob staatlich geprüft. Bei staatlichen Prüfungen wird nur ein Mindestwissen für die weitere berufliche Laufbahn und Titel vorausgesetzt, damit wenigsten die Absolventen danach bei wissenschaftlichem Arbeiten auf Augenhöhe sind.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na, kann man jetzt doch per Google-Konto kommentieren? Ich hatte schon Befürchtungen…

      Niemand bezweifelt, dass Erfahrung gerade im Tango wichtig ist. Jedoch ist sie schwierig klassifizierbar – jeder kann andere Erfahrungen machen.

      Auch eine Anne-Sophie Mutter ist darauf angewiesen, „normale“ Konzertbesucher zu überzeugen. Und nicht etwa ihnen mitzuteilen, dass sie nicht mitreden könnten, weil ihnen die „Expertise“ fehle. Aber ich meine, gerade große Stars lassen sich gerne auf Kontakte mit „einfachen“ Menschen ein. Allüren findet man eher bei Künstlern der unteren Kategorien.

      Und man könnte seine Kompetenz ja auch dazu nutzen, andere zu informieren, statt sie beeindrucken zu wollen.

      Ich fürchte, da werden wir nicht einig: Ich diskutiere auf Augenhöhe oder gar nicht. Wer das nicht hinnehmen will, soll sich andere Gesprächspartner suchen!

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.