Tango-Passionsspiele

„Wir trafen Jesus in der Mittagspause kurz vor der Kreuzigung“ (Wolf Schneider, Journalist und Sprachkritiker)

In der Facebook-Gruppe, aus der man nicht zitieren darf, schilderte eine Tänzerin jüngst ihre Leiden. Ob sie dabei ein Kreuz getanzt hat, bleibt offen. Jedenfalls schockt sie uns mit der Abbildung ihres nackten Fußes. Schäden konnte ich auf den ersten Blick nicht erkennen – eventuell einen beginnenden Hallux, aber da bin ich kein Fachmann.

Auffallend waren jedoch ein gelber und zwei türkise Pfeile mit folgender Bedeutung: An der einen Stelle habe „ein Tänzer seine Dame quer zur Ronda in uns hineingeführt“, wodurch die andere Tänzerin ihr mit dem Absatz auf den Fuß trat. Entschuldigt habe sich zwar die Kollegin, nicht jedoch deren Partner. „Als ich ihn darauf ansprach, sagte er, er habe mich nicht gesehen. Wir waren quer vor ihm??? Ich fragte ihn, ob er das beim Autofahren auch so macht.“

Die türkis markierten Leidenspunkte habe ihr ein Tanzpartner bei einer verunglückten Barrida beigebracht, welche er zu hoch ansetzte. Scheinbar war er in Gedanken noch beim Fußball.“ Anscheinend wohl auch.

In ihrem flammenden Appell schreibt die Dame unter anderem:

Liebe Tänzer, denkt bitte daran, die Füße eurer Tanzpartnerin und der anderen Tänzerinnen sind nahezu ungeschützt. So ein Fuß ist meha empfindlich und komplex aufgebaut. Wäre die Dame fester auf meinen Fuß getreten, hätte ich einen größeren Bluterguss und 14 Tage Schmerzen bei jedem Schritt. Auch Ihre Zehen sind ungeschützt, und ein unvorsichtiger Schritt kann ihr den Nagel umknicken oder abreißen.“

In der Mehrzahl der Beiträge wird das Wehklagen fortgesetzt. Wie ich schon mal im „Die Zwei-Schnodderdeutsch“ formulierte: eine Rücklichtslosigkeit sondershausen.

http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/06/eine-rucklichtslosigkeit-sondershausen.html

Altblogger Cassiel lässt sich das fette Sado-Thema natürlich nicht entgehen: In einem Rückblick auf seine letzten Tanzwochen berichtet er von drei gewaltsamen, teils blutigen Entfernungen weiblicher Großzehennägel. Als Ursache sieht er (nicht überraschend) die Missachtung der Códigos sowie „hochenergetische Musik“ (keine Angst, war von Anno dunnemals!).

Später betont er noch, er habe zwar Verständnis für ungeschickte Anfänger, nicht aber für seine Lieblingsfeinde:

Die Rücksichtsloden erkennt man an den großen Schritten und dem rücksichtslosen Raumgreifen. Die haben halt eben den ganz großen Tangokeks gegessen und dürfen mehr als alle anderen. Von diesen ‚Exemplaren‘ braucht man nur zwei oder drei, um eine 100-Personen-Milonmga richtig aufzumischen. Leider wird den Kandidaten nicht entsprechend Bescheid gegeben.“

Vielleicht sollte man doch betonen, dass es sich auch bei diesen um Menschen und nicht um „Exemplare“ handelt…

Der Verfasserin des Threads fällt nun ein, ihr linker Zehennagel sei „auch schon fast weg“. Abgebildet hatte sie allerdings ihren rechten Fuß. Oder – in femininem Deutsch: „den anderen linken“.

Ein Tänzer berichtet, dass auf einer Milonga in Bremen „durch einen Voleo der Unterschenkel brach“. Gleich Schien- und Wadenbein durch – o Jessas! Was wäre da erst bei einem Boleo passiert?

Die Publizistin ihres Fuß-Fotos betont noch einmal: „Du hattest Socken und Schuh dazwischen. Die Frauen haben nichts.“ Hinzuzufügen wäre: Dies gilt bei der üblichen Tangokleidung oft auch für höhere Sphären!

Ein weiterer Tanguero schlägt vor, die „10 Gebote des Tango Tanzens” niederzuschreiben und bei Einladungen quasi als „AGB“ einzusetzen:

Cabeceo und Mirada – Tanzen  in der Ronda – Abstand und Anstand – Hygien – etc pp“

Und er denkt über Gelbe und Rote Karten nach.

Gefordert wird auch: Auf den Toiletten die Regeln aushängen.“ Ja, wo sonst?

Theresa Faus weist zum wiederholten Mal darauf hin, dass sie auf ihrer Milonga mit Ermahnungen arbeite (ich hoffe, nicht auf dem Klo). Aber durch ihr ständiges Propagieren „rücksichtsvollen Tanzens“ kämen „bestimmte Leute“ erst gar nicht. Ob es auch an der Musik liegen könnte, sagt sie nicht.

In Buenos Aires, so wird berichtet, gelten strengere Sitten:

Ich habe erlebt, dass ein Tänzer tatsächlich gepackt und vor die Tür gesetzt wurde.“

„Im günstigsten Fall wird man von den Damen übersehen und kommt nicht mehr zum Tanzen. Im ungünstigeren Fall bekommt man was in die Fresse (und wird dann rausgeschmissen).“

Ja, Uff erstmal… Manche Äußerungen erinnern mich schon sehr an BILD-Schlagzeilen, die ein Satiriker einmal so persiflierte: „Vater drehte Tochter durch den Fleischwolf – BILD sprach mit den Klopsen!“

Was mich zunächst wundert: Die Schreiberinnen und Schreiber besuchen doch offenbar „traditionelle Milongas“ – und da passieren trotz der ganzen Ideologie solch schlimme Dinge? Nach meinen Erfahrungen stimmt das jedoch: Ich habe die – generell sehr seltenen – gröberen Sachen fast stets auf solchen Veranstaltungen erlebt, dagegen kaum einmal bei Events, wo man eher liberal mit Musikauswahl und Reglements umging.

Bei unseren 73 Wohnzimmer-Milongas in Pörnbach ist mir – außer gelegentlichen Berührungen – kein gravierender Rempler erinnerlich. Und das, obwohl sich auf dem 20 Quadratmeter-Parkett bis zu sieben Paare tummelten und die Musik, na ja, öfters ziemlich energetisch ausfiel! Ich meine, es lag daran, dass unsere Gäste navigieren konnten.

Eine einzige Kommentatorin in der obigen Diskussion kommt dem anderen zentralen Problem nahe:

„So lange wir Frauen gerne in offenen Stilettos tanzen, bleiben wir eine Gefahr für uns selbst und für andere. (…) Auf sehr vollen Milongas zum Beispiel tape ich meine großen Zehen. Das schützt die Zehennägel… und ja, manchmal verzichte ich sogar auf offene Schuhe und tanze in Halbschuhen, wenn es gar zu wild wird.“

Wir werden es beim Paartanz nicht ganz vermeiden können, die Füße einzusetzen – noch dazu oft in sehr geringer Entfernung. Da kann man Berührungen oder sogar mal einen Tritt nicht völlig ausschließen.

Falls es auf dem Parkett recht eng zugeht, werde ich nervös, wenn meine Partnerin an den nackten Füßen nur eine Sohle sowie einige Riemchen trägt. Mit geschlossenen Tanzschuhen könnte man die Risiken deutlich verringern. Erst recht natürlich mit Sneakers.

Selber habe ich lange Jahre mit den üblichen Tanzschuhen aus dem Fachhandel gearbeitet – niemals allerdings mit den rahmengenähten Ballentretern aus Business Aires. Wenn da der Sohlenrand einen weiblichen Knöchel trifft, tut es kräftig weh. Vor längerer Zeit suchte ich dann wegen Fußproblemen eine Alternative. Nach mehreren Fehlversuchen fand ich Tanz-Sneakers, die für mich ideal sind.

Laut Rechnung nennt sich das Modell „Sneaker 1572 / Wildled./Mesh CL-So. schwarz“. Geliefert wurden sie vom „Tanzladen Dresden“ – ein Geschäft, das ich sehr empfehlen kann:

http://www.tanzladen-dresden.de/

Gut, die Dinger sehen ebenso elegant aus wie meine Füße, passen aber perfekt zu Jogginghosen…

Aber, meine Damen – wenn Sie denn auf Füße mit viel Luft drumherum bestehen, gilt die alte Weisheit: Wer schön sein will, muss leiden!

Aus langjähriger Erfahrung gebe ich daher folgende Tipps zur Vermeidung von Tanzunfällen:

·         weiches, geschlossenes Schuhwerk

·         Tanzflächen mit genügend Platz

·         umsichtiges Navigieren

·         Verbesserung der Tanztechnik – vor allem Verringerung des Krafteinsatzes

Dennoch: Shit happens… Was hilft, ist eine sofortige, freundliche Entschuldigung. Und kein Geschrei nach strengen Regeln oder gar Rausschmiss von Veranstaltungen.

Aber man kann natürlich auch Passionsspiele veranstalten – das lohnt sich nicht nur in Oberammergau!

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangoforum/permalink/2440261772807945

Kommentare

  1. Das Wort, Voleo ist vollkommen korrekt und kommt vom spanischen Wort Volar für fliegen. In Lateinamerika neigt man dazu eine Mischung aus B und V bei der Aussprache zu benutzen. Man erkennt die weniger Sprachbegabten leicht daran, dass sie das Wort „Boleo“ schreiben. 
Interessant, dass Sie auch dazu gehören.
 Ihre Sprachfähigkeiten scheinen im Deutschen und Spanischen verdreht zu sein. Im Hochdeutschen hapert es beim Sprechen, im Spanischen am Schreiben.

    Sie fällen ein hartes Urteil über die Probleme von Frauen obwohl sie keine sind. Dies ist unprofessionell und sogar grenzwertig frauenfeindlich. In meiner Heimat nehmen wir, trotz eines gewissen Machotums, die Frauen sehr ernst, verehren und bewundern sie. Im Traum würde es uns nicht einfallen eine verletzte Frau zu verspotten. Wir verlieren auch jeglichen Respekt vor einem Mann der dies tut. Dass sie dies auch noch in eine lächerliche Verbindung mit den Leiden Jesu bringen, würde zum Beispiel Menschen wie meine Mutter sehr verletzen.

    Vielleicht schreiben sie das nächste mal über Frauen mit präklimaktären Beschwerden. Sicherlich haben Sie auch dazu irgend einen wertvollen Tipp.

    

Auf den Milongas die ich besuche sind die Pistenrambos meist die, welche sich beim DJ Beschwerden, dass nur traditionelle Musik gespielt wird. Zum Glück regelt sich das Problem oft von alleine durch den wundervollen Cabeceo. Wenn ein Mann keine Blicke fangen kann sollte er zuerst einmal seinen Tanzstil reflektieren und bei Bedarf den örtlichen Gegebenheiten anpassen. Wenn man es als Frau geschafft hat den Blicken eines solchen Rowdies auszuweichen und dieser dann auf einen zu stapft ist dies ein Alptraum- so wurde mir von weiblicher Seite berichtet. Fazit: wenn man halbwegs gut tanzen kann und eine gute Kinderstube hatte muss man den/die potentielle Tanzpartner:in gar nicht verbal auffordern. Wenn man es doch muss, sollte man sich Gedanken machen.
Im Zweifel gilt die schöne deutsche Weisheit: „wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt es an der Badehose“ gell. 


    Rainiero Ruiz

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    1. Lieber Herr Ruiz,

      in der Mehrzahl der Tangolexika, die ich kenne, findet sich die Schreibweise „Boleo“. Hier ein Zitat:
      „Boleo | Kommt von den Boleadoras . Diese Boleadoras halfen den Indios und Gauchos zum Viehfang. Drei Kugeln, wie ein Stern an einem Lasso angeordnet. Sie werden geschleudert und wickeln sich um die Beine des Tieres. Diese drehende Bewegung macht im Tanz das freie Bein.“

      Das Wort leitet sich nicht von „volar“ („fliegen“) ab, sondern von „bola“ (Ball).
      https://www.tango-sencillo.de/tango-glossar
      https://en.wikipedia.org/wiki/Bolas

      Mit meinem Artikel wollte ich weder Frauen allgemein noch Ihre Mutter verletzen. Konkret halte ich jedoch das Wehklagen vor allem der Kommentatoren für stark übertrieben – und das müssen sich Männer wie Frauen vorhalten lassen. Für beide Geschlechter gibt es keinen satirischen „Welpenschutz“.

      Weiterhin habe ich durchaus ernsthafte Tipps gegeben, wie sich meiner Ansicht nach Verletzungen beim Tango weitestgehend vermeiden lassen.

      Na ja, und sollte Ihre Heimat Südamerika sein: Dort ist Gewalt gegen Frauen ein größeres Problem als hierzulande. Auch darüber habe ich Artikel geschrieben, zum Beispiel diesen hier:
      https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/10/ni-una-menos-nicht-noch-eine-weniger.html

      Auf Ihre Ansichten zum Auffordern möchte ich nicht näher eingehen, da sie nicht Thema meines Artikels sind. Immerhin schön, dass Sie sich nun auch mit den Problemen von Frauen befassen, obwohl Sie keine sind!

      Gestatten Sie mir abschließend noch einen Hinweis: Sollten Sie hier nochmal kommentieren wollen, rate ich Ihnen dringend, verbal abzurüsten. Ihren latent aggressiven Tonfall lassen Sie dann stecken. Ich habe Ihnen keine mangelnden Fähigkeiten unterstellt, und dies erwarte ich auch für meine Person. Sonst warten Sie vergeblich auf Veröffentlichung Ihrer Zuschriften.

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  2. Das Thema Fußverletzungen sehe ich nicht unbedingt nur frauenspezifisch. So ein hoher, spitzer Absatz kann auch Männer ziemlich verletzen, da schützt ein geschlossener Schuh nicht wirklich.
    Wenn (wie es mir mein argentinischer Lehrer beigebracht hat) der Fußballen am Boden und die Fersen zwischen den Schritten zusammenbleiben, sehe ich die Verletzungsgefahr geringer. Bei höheren Fußaktionen zeigen sich dann die Rambos, die es durchaus unter Männern UND Frauen gibt.
    Nach meinen Erfahrungen sind die Fuß- (und Knie-) probleme durch Fehlstellungen allerdings häufiger als durch Verletzungen. Und nein, die meisten Fehlstellungen, wie X- oder O-Beine, Hallux oder Plattfuß sind nicht "angeboren", sondern durch untrainierte Muskeln entstanden...könnten also durch entsprechendes Muskeltraining verbessert oder verhindert werden.

    Mein Spruch, wenn ich getreten werde, ist meistens: "Beim dritten Mal trete ich zurück, und zwar gezielt!"

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  3. Klar gibt es Rambos beiderlei Geschlechts - wegen der unterschiedlichen Kraftverhältnisse und der oft sehr robusten Schuhe richten Männer eher größere Schäden an.

    Frauen rate ich immer, flache Schuhe zu tragen. Die haben keine spitzen Absätze.
    Das Verletzungsrisiko ist dennoch bei unserem Tanz viel geringer als im Sport, z.B. beim Skifahren. Dort findet aber nicht halb so viel Gedöns statt wie beim Tango...
    Und ja: Fehlstellungen im Fußbereich sind häufiger und entstehen oft durch ungeeignetes Schuhwerk.

    Bei hohen Fußaktionen muss man halt aufpassen. Da der Mann meistens größer ist und in die "Flugrichtung" schaut, ist es vor allem seine Verantwortung, dass nichts passiert.

    Glücklicherweise ist es mir in 24 Jahren Tango noch nie passiert, dass ein hoher Boleo anderswohin als in die Luft ging. Aber vielleicht hatte ich einfach nur Glück...

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    1. Dann bin ich wohl auch ein Glückskind.
      Mit entsprechender Spannung und aufgerichteten Fußgewölben sind die Verletzungen übrigens geringer.
      Man kann auch High Heels ohne größere Schäden tragen, indem man zum einen für Ausgleich sorgt (d. h. Sie nicht permanent trägt) und zum anderen eben die Muskulatur trainiert und auf die Haltung achtet.
      In halbhohen Schuhen ist die Belastung für den Mittelfuß sogar größer als in hohen, wo der Fuß insgesamt stabiler steht.

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