Blessuren vom „Tanzkönig“

 Wenn's dem Esel zu gut geht,

dann trabt er aufs Eis,

um zu tanzen, wie jeder weiß,

und er wiehert und trampelt

und dreht sich im Kreis,

sucht Applaus um jeden Preis

(Kai Rautenberg / Hildegard Knef)

https://www.hildegardknef.de/Texte/wennsdemesel.htm

Im konservativen Tango wird immer wieder über die „Rücksichtslosigkeit“ geklagt, mit welcher Anhänger eines freieren Tanzstils unterwegs seien. Psychische Beklemmungen und auch körperliche Verletzungen blieben nicht aus.

Trotz intensiver Suche ist es mir nicht gelungen, beim Tango argentino einen Fall zu finden, bei dem ein Geschädigter den Täter zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen hätte. Schlimmere Unfälle sind anscheinend bislang ausgeblieben. Das gilt übrigens für den Paartanz ganz allgemein. Offenbar stellt er – im Gegensatz zum Fußball oder Skifahren – eine äußerst verletzungsarme Betätigung dar.

Bei anderen Tänzen existieren aber tatsächlich einige höchstrichterlich bestätigte Entscheidungen zur Haftung bei Tanzunfällen.

So hatte das Oberlandesgericht Hamm folgenden Fall zu verhandeln:

Bei einer Geburtstagsfeier in einem Lokal überredete der Gastgeber die Klägerin, vor dem Nachhausgehen noch einen Discofox mit ihm zu tanzen, obwohl er schon einige Gläser Bier sowie eventuell einen „Jägermeister“ konsumiert hatte. Er war aber offenbar nicht stark angetrunken, da er auch nach dem Unfall noch gut zwei Stunden munter weitertanzte.

Es kam, wie es kommen musste: Aus Gründen, die nicht aufzuklären waren, geriet der Tänzer ins Stolpern, brachte seine Partnerin zu Fall und landete schließlich auf ihr. Die Tänzerin erlitt einen Schlüsselbeinbruch und war mehrere Monate arbeitsunfähig. Sie forderte eine Entschädigung wegen Verdienstausfalls sowie Schmerzensgeld.

Glücklicherweise war der Tänzer haftpflichtversichert – von dieser Seite erhielt die Geschädigte pauschal 3000 Euro. Die Verletzte meinte aber, ihr stünden mindestens 20000 Euro zu. Ihr Tanzpartner habe sie nicht fest genug gehalten, so dass sie stürzte.

Wie schon das Landgericht zuvor wies auch das OLG Hamm die Klage ab. Tenor:

„Da der Disco Fox grundsätzlich recht schnell und wegen der verschiedenen üblichen Figuren und Drehungen auch raumgreifend ausgeführt wird, kommt es dabei immer wieder zu kleineren Zusammenstößen mit anderen Tänzern und vereinzelten Stürzen. Dies ist den Teilnehmern bewusst und wird in Kauf genommen. Es verstieße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und wäre deshalb unbillig, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das den Teilnehmern drohende Risiko realisiert hat, gegenüber den anderen Teilnehmern Ersatzansprüche geltend machen könnte. In dem einverständlichen Paartanz auf einer Tanzfläche mit mehreren Tanzpaaren liegt eine bewusste Risikoübernahme, ein Handeln der Klägerin auf eigene Gefahr.“

https://jcniemeyer.com/bgb-zpo-zivilrecht-prozessrecht/zivilrecht/6142/olg-hamm-sorgfaltspflichten-beim-paartanz-discofox-auf-eigene-gefahr

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2020/7_U_90_20_Beschluss_20201229.html

Das ist die gängige Rechtsprechung in diesem Bereich: Abgesehen von krassen Ausnahmefällen verwirkliche sich beim Paartanz ein „allgemeines Lebensrisiko“, das die Teilnehmenden konkludent (aus dem Verhalten schlüssig ableitbar) eingingen, indem sie das Parkett beträten.

Oder einfacher: Wenn’s dem Esel zu wohl wird und er aufs Eis marschiert, darf er über Stürze nicht jammern!  

Noch drastischer beweist es dieser Fall, welcher in der juristischen Fachliteratur häufig zitiert wird:

Bei einer Geburtstagsfeier tanzte die Klägerin kurz nach Mitternacht allein auf der Tanzfläche. Der Beklagte, welcher sich gerne als lokaler „Tanzkönig“ bezeichnete und den sie kannte, fasste sie an den Händen und lud sie so zu einem gemeinsamen Tanz ein. Obwohl die Dame äußerte, sie könne nicht wirklich tanzen und das Ganze sei zu schnell für sie, ließ sie sich doch zur paarweisen Bewegung drängen. Bei einer schwungvollen Drehung wollte der Herr wohl eine Soloaktion ausführen und stornierte den Handkontakt. Die Tänzerin flog logischerweise auf den Hintern und brach sich den Oberschenkelhals.

Sie begehrte vom Beklagten Schadenersatz und Schmerzensgeld. Wie schon zuvor das Landgericht Darmstadt wies auch das Oberlandesgericht Frankfurt die Klage ab. Die Gründe:

Obwohl das Vorgehen des Herrn alles andere als rücksichtsvoll gewesen sei, hafte er dennoch nicht für die Folgen. Im Endeffekt habe seine Partnerin doch – wenn auch widerstrebend – in den gemeinsamen Tanz eingewilligt. Jedenfalls habe sie nicht erklärt, keinesfalls mit dem Aufforderer tanzen zu wollen. Schlimmstenfalls hätte sie das Parkett verlassen oder schlicht stehenbleiben müssen.

„Die Gefahr eines Sturzes beim Tanz besteht grundsätzlich und war für alle Beteiligten, insbesondere für die Klägerin aufgrund ihrer fehlenden Paartanzkenntnisse, gleichermaßen erkennbar."

Der Beklagte habe auch keine Gewähr durch seine Rolle als „Experte“ übernommen. Sich selber als „Tanzkönig“ zu bezeichnen, reiche hierfür nicht. (Na ja, im Tango manchmal schon...)

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/olg-frankfurt-am-main-freiwillig-ausgefuehrter-paartanz-loest-keine-haftung-des-tanzpartners-aus

https://www.haufe.de/recht/deutsches-anwalt-office-premium/olg-frankfurt-am-main-beschluss-vom-02082017-13-u-22216_idesk_PI17574_HI11287626.html

Ich habe mich mehrfach öffentlich gewundert, dass Frauen sich beim Tango auf begabungsfreie Grobiane einlassen, welche sie dann wie eine Gummipuppe herumwerfen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/uber-den-physiologischen-masochismus.html

Also, meine Damen: Wenn Sie Derartiges mitmachen (wie widerstrebend auch immer), dürfen Sie nicht darauf hoffen, bei einem Unfall entschädigt zu werden. Es gilt: mitgegangen, mitgefangen. Was hilft, ist nur eine unzweideutige Absage!

Problematisch könnte es höchstens werden, wenn ein Tangolehrer seine Expertenrolle ausspielt: „Bei dieser Hebefigur kann nichts passieren!“ Möglicherweise wäre da etwas Geld zu holen! Aber vielleicht kommen die Richter auch zum Ergebnis, dass es sich bei dieser Spezies um keine anerkannte Berufsbezeichnung handle...

Veranstalter jedoch gehen gewisse Risiken ein, wie der Fall einer Club-Betreiberin zeigt:

Eine Besucherin war am Rand der Tanzfläche auf einer Getränke-Pfütze ausgerutscht und hatte sich Knochenbrüche zugezogen. Die Krankenkasse verklagte die Gastronomin auf Erstattung der Behandlungskosten. Nachdem das Landgericht Mosbach die Klage abgewiesen hatte, gab das OLG Karlsruhe ihr statt. Die Gründe:

Die Betreiberin sei den Nachweis schuldig geblieben, dass sie oder ihre Angestellten das Parkett regelmäßig und ausreichend kontrolliert hätten. Es reiche nicht, sich von der Bühne aus einen Überblick zu verschaffen, zumal in diesem Club die Mitnahme von Getränken auf die Tanzfläche gestattet war.

Also, liebe Tangoveranstalter: Nur mit glasigem Blick hinter der Kasse zu sitzen könnte teuer werden!

Übrigens gilt diese „Verkehrssicherungspflicht“ auch für Supermärkte und ähnliche Geschäfte – wobei hier Klassiker das Ausrutschen auf einer zermatschte Banane und der gerade gewischte, feuchte Fußboden sind.

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olgkarlsruhe7u2521-club-tanzflche-verletzung-schadensersatz/

Wie gesagt: Beim Tango argentino scheint kaum etwas Justiziables zu passieren. Dennoch rate ich ganz allgemein dringend zum Abschluss einer privaten Haftpflichtversicherung. Die erstattet im Ernstfall rechtlich zustehende Kosten bzw. wehrt unbegründete Forderungen ab. Man kann den ganzen Ärger also delegieren. Weiterhin anzuraten ist der Abschluss einer Unfallversicherung, welche dafür sorgt, dass man bei Spätfolgen finanziell nicht abstürzt.

Im Nachhinein haben Stürze beim Tanzen einen beträchtlichen Unterhaltungswert – falls jemand die Videokamera draufgehalten hat. Bei der Analyse der nachfolgenden Beispiele wird klar, wo bei Tanzunfällen die Hauptursachen liegen:

-        schnelle und dynamische Musik

-        Sprünge und Hebefiguren

-        Alkohol

-        mangelnde Bewegungsbegabung

Beim „traditionellen“ Tango fehlen glücklicherweise drei der vier möglichen Risiken!

https://www.youtube.com/watch?v=6AKBF-D5olk

Kommentare

  1. haha, ich habe mal bei "Hessen tanzt" zugeschaut. Da ging es zu fast wie im Fußball: ständig stießen Paare aneinander, oft fiel jemand hin. Das schien niemanden irgendwie zu stören, sie standen wieder auf und weiter ging's.

    Als Eltern waren wir mal eingeladen zu einer Tanzstunde, um uns auf den Abschlussball unseres Sohnes vorzubereiten. (Bei dem bekanntlich die Mamas mit den Söhnen und die Papas mit den Töchtern Wiener Walzer tanzen sollen, was die wenigstens Eltern können. Mein Mann wollte dort nicht hin (er hatte jahrelang Wettkampfstanzen als Sport betrieben, u.a. auch bei Hessen tanzt, wo er mal auf dem Siegertreppchen stand, vor meiner Zeit.) Er meinte, er habe das nicht nötig Aber ich habe mir von dieser Tanzstunde Spaß versprochen, den wir dann auch hatten. Der Lehrer erzählte uns, dass die Kinder viel fitter wären als wir alten Knacker, was die schnelle Aufmerksamkeit angeht, um schnell auszuweichen und Zusammenstöße zu vermeiden. Die Reaktionszeit von uns "alten" Herrschaften sei dagegen viel langsamer. Da könne man nichts machen, aber mit Zusammestößen müsse man leben. Die gab es dann auch zuhauf auf dem Abschlussball. Die Kinder waren einerseits genervt über uns Eltern, andererseits natürlich stolz auf ihre Künste.

    LG Annette aus Offenbach

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    1. Liebe Annette,

      in unserer Standardtanz-Zeit erlebten wir auch mehr Zusammenstöße auf der Tanzfläche. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sportives Tanzen dynamischer und raumgreifender ist. Und klar, ältere Leute reagieren nicht mehr so rasch wie die Jungen. Zu irgendwelchen "ideologischen" Debatten hat das aber nicht geführt.

      Danke und liebe Grüße
      Gerhard

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