Liebes Tagebuch… 72

Neulich auf einer Milonga ergab sich wieder einmal eine Situation, die ich nur zu gut kenne: Zwei weibliche Singles beschlossen, nebeneinander zu sitzen (sie waren wohl auch zusammen zur Veranstaltung gefahren). Klar, ist lustiger, wenn man sich unterhalten kann! Ich ahnte schon, dass dies nicht gutgehen würde.

Ging es auch nicht: Meist ist eine davon ein wenig jünger und schlanker – und wirkt auch vom sonstigen Erscheinungsbild her so, als würde sie schon besser und länger Tango tanzen. Die Folge: Die Attraktivere wird öfters aufgefordert, ihre Freundin bleibt sitzen. Auch an dem Abend, von dem ich berichte, lief das genauso.

Bei solchen „Paaren“ gilt für mich der eherne Grundsatz: Ich fordere ausnahmslos zunächst die Ältere / weniger Schlanke / weniger Erfahrene auf. Keinesfalls möchte ich als hormongesteuerter Trottel dastehen, der sich aufs Frischfleisch stürzt. Die meisten meiner männlichen Kollegen scheint diese Befürchtung nicht zu belasten…

Dieses abartige Vorgehen ist nicht mal immer von Erfolg gekrönt: Öfters habe ich es erlebt, dass die ältere Dame sich als eine ganz ansprechende Tänzerin entpuppte. Ich sehe es dann mit großem Vergnügen, wenn mein Kollege sich mit einer bockbeinigen jungen Blondine abquält. Das Leben ist auch beim Tango nicht immer ungerecht

Nachdem ich an besagtem Abend eine Stunde zugesehen hatte, dass die eine Dame ständig herumsaß, während ihre Freundin schon mehrere Tanzrunden hinter sich hatte, beschloss ich, dem Treiben ein Ende zu machen. Ich wollte schon aufstehen, als ich bemerkte, dass ein Altersgenosse von mir auf die beiden zusteuerte: Er würde doch nicht… Nein, natürlich: Er forderte die Begehrtere auf.

Im Geiste äußerte ich eine nach § 185 StGB strafbare Bezeichnung des Kollegen – und eine Sekunde später stand ich vor der anderen Tänzerin und forderte sie auf. Na gut, sie tanzte wirklich ziemlich anfängerig, und ich musste die Bewegungen gelegentlich stabilisieren. Aber, und das überwiegt vieles: Sie war nett und hatte spürbar Freude am Tanzen.

Die Musik dieser Tanda war ziemlich schnell und rhythmisch – und als drittes Stück erklang der Cáceres-Kracher „Tocá Tangó“:

https://www.youtube.com/watch?v=mQTVPWwTFYU

Und das mit einer Anfängerin im Arm? Ich muss gestehen, dass mich bei solchen Gelegenheiten der Hafer sticht: Man kann auch – wenn man’s kann – eine wenig routinierte Tänzerin gut aussehen lassen. Das erfordert allerdings viel Erfahrung im „Krisenmanagement“. Das heißt nichts anderes, als dass man sich öfters bewusst in solche Situationen begeben muss. Das schult die Reflexe.

Mich amüsieren bei dieser Gelegenheit manche höchst verblüffte Blicke aus meiner Umgebung: „Wie kriegt der es hin, dass die plötzlich tanzen kann?“ Ich kann nur raten: Einfach mal probieren!

Dieser „Erfolg“ sollte bei den Tangueras allerdings nicht die Einstellung bewirken: „Wenn mich ein Mann gut führt, kann ich ja tanzen.“ Ich meine aber, den meisten ist schon klar, dass ihr Partner beim Ausbügeln einiger Schwächen behilflich war. Viel wichtiger ist aber die Botschaft: Wir schließen beim Tango niemanden aus – auch wenn er oder sie noch am Anfang steht. In meinen ersten Tangojahren verdankte ich meine Fortschritte auch einigen Tanzpartnerinnen, welche schon viel weiter waren und es dennoch akzeptierten, mit einem Beginner zu tanzen.

Daher, liebe Männer: Sich mit einer erfahrenen Partnerin zu bewegen ist sehr einfach. Wenn ihr aber mal wirklich zeigen wollt, was ihr draufhabt: Fordert eine weniger begnadete Dame auf – sie wird es euch danken! Und euer Ruhm wird sich ins Unermessliche steigern.

Auf der besagten Milonga saß diese Frau nach meinen Beobachtungen auch danach weiterhin unbetanzt herum.

Ja, die männliche Tapferkeit… Es ist ein Trauerspiel!

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