Das ging ins Auge!

Meine bislang erfolgreichste Satire schrieb ich am 27.4.2015. Ich saß damals mit meiner Illustratorin an der Druckdatei eines unserer Bücher, als Manuela Bößel mich auf eine Facebook-Einladung aufmerksam machte. Die bekannte Münchner DJane und Veranstalterin Theresa Faus bot vor Beginn ihrer Milonga ein „Cabeceo-Training“ an.

Spontan fragte ich Manuela: „Könnten wir mal für eine Stunde unterbrechen? Das ist unglaublich gutes Satire-Material – dazu muss ich sofort was schreiben!“ Nach knapp 60 Minuten war ein Text fertig, welcher zu dem führte, was Tango-Historiker später den „Münchner Cabeceo-Krieg“ nennen sollten.

(Manuela hat - nach Rückfrage - noch eine zusätzliche Äußerung von mir im Gedächtnis: „Jetzt ist sie fällig!")

Zugegeben: Wie immer setzen große Erfolge keine besondere Qualität voraus. Meine etwas überzogene Version einer Einladung unter dem Titel „Das geht ins Auge“ war eine simple Parodie, angereichert mit etlichen leicht verzerrten szenetypischen Zitaten und Wendungen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Parodie

Was aber offenbar glänzend funktionierte: Wer über sowas lachen konnte, fand es saukomisch – und wer nicht, dem verpasste der Text einen kräftigen, aggressiven Adrenalinschub.  

Hier zum Nachlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/04/das-geht-ins-auge-einladung-zum-blinzel.html

Den Stein ins Rollen brachte der Berliner Kollege Thomas Kröter, der damals noch Artikel von mir verlinkte – noch dazu auf der Facebook-Seite der Veranstalterin. Seine Einschätzung:

„Wie meistens ist mir der Pfaffenhofener Tangograntler ein wenig zu geschwätzig. aber der Beitrag ‚Das geht ins Auge: Einladung zum Blinzel-Workshop‘ in Gerhards Tangoreport' hat was, finde ich - besonders die Passage über den Burka-Blogger C., und etwas mehr (Selbst)ironie könnte uns allen nicht schaden. Also zum Nachlesen: (…) Ich hoffe, die Empfehlung ist hier nicht tangopolitisch inkorrekt."

Da kam er bei Theresa Faus aber an die Falsche! Mit ihrer folgenden Replik gab sie mich ihren zahlreichen Fans zum Abschuss frei:

„Ich bin offensichtlich humorlos und nicht zur Selbstironie fähig. Mit diesem Beitrag kann ich nämlich überhaupt gar nichts anfangen, nicht mal ein bisschen lachen wie sonst manchmal bei Gerhard Riedls Artikeln, auch wenn ich sie total daneben finde.“

Obwohl ich im obigen Artikel keine Vertreter der Münchner Tangoszene mit Namen genannt hatte, wurde ich nun mit einer Fülle von persönlichen Angriffen überzogen. Wie fast immer in solchen Fällen reagierte ich auf Facebook nicht darauf, denn gegen diese tobende Meute hätte ich keinerlei Chance gehabt, sondern wäre nur mit zusätzlichen Beschimpfungen eingedeckt worden.

Stattdessen ließ ich einen weiteren Artikel auf meinem Blog folgen: „Der Cabeceo und das Grummeln im Netz“. Darin veröffentlichte ich die ärgsten Zitate meiner Kritiker – diesmal mit Namensnennung:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/04/der-cabeceo-und-das-grummeln-im-netz.html

Bei der Nachschau stellte ich gerade fest, dass einige Personen ihre Äußerungen inzwischen gelöscht haben dürften – natürlich ohne Kundgabe jeglichen Bedauerns…

Mein Blog erlebte damals einen gigantischen Anstieg der Zugriffszahlen – und auch langfristig blieben sie auf diesem Niveau.

In einem weiteren Beitrag versuchte ich, die Debatte auf den sachlichen Inhalt zu lenken – schließlich hatte ich bereits vorher das Thema „Cabeceo“ ziemlich ernsthaft und ohne persönliche Attacken besprochen – damals ohne einen gesteigerten Leserzulauf zu verzeichnen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/04/jetzt-mal-im-ernst.html

Auch dieser Artikel fand wenig Resonanz. Na gut – wenn man nicht ernsthaft diskutieren mag, bleibt nur die Provokation! Daher ließ ich einen weiteren Artikel folgen: „Unterwegs zum Vollkasko-Tango“. Darin beschrieb ich das ängstliche „Sicherungsverhalten“ in der heutigen Tangoszene, das auf Regeln statt Abenteuer setzt:

„Kurz gesagt: Wir gingen damals zum Tango, weil er uns Risiken und Abenteuer versprach – die heutige Population wählt diesen Tanz trotz dieser Begleitumstände.

Unsere Einstellung war damals: Schade, dass wir nicht mit allen tanzen können!

Die heutige Maxime dagegen lautet: Wie kann ich es vermeiden, mit allen tanzen zu müssen?“

Zudem stellte ich Theresa Faus öffentlich einige Fragen, welche sie in der Folge sogar beantwortete.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/05/unterwegs-zum-vollkasko-tango.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/05/zitate.html

In einem abschließenden Artikel zog ich eine ziemlich bittere „Nachkriegs-Bilanz“:

Für mich steht daher fest: Die andere Seite möchte nicht versöhnen, sondern spalten. Kompromisse werden als Zeichen von Schwäche betrachtet. Wichtig ist vor allem, eine Veranstaltung nach der anderen in den Griff zu bekommen – nicht nur hinsichtlich der ‚Pflicht zum Cabeceo‘. Es geht nicht um Códigos, noch nicht einmal um Tango, sondern um Kontrolle und Herrschaft. Wenn man das so betrachtet, passt alles zusammen.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/05/nachkriegs-bilanz.html

Wenn ich die inzwischen nicht mehr rauchenden Trümmer betrachte, welche vor über sieben Jahren zurückblieben, bin ich nicht mehr so pessimistisch. Klar, der „traditionelle“ Trend hat sich im Tango fast flächendeckend durchgesetzt. Allerdings erlebe ich die gnadenlose Humorlosigkeit, mit welcher man damals Witze machende Neuerer verfolgte, nicht mehr sehr häufig. Ob als Taktik oder aus Überzeugung? Auf jeden Fall möchte man den Eindruck allzu großer Borniertheit vermeiden – und das ist ja auch schon was!

Meine persönlichen Erfahrungen – auch auf konservativen Milongas – zeigen mir, dass man von einer „Cabeceo-Pflicht“ abrückt und auch den restlichen Regelungs-Sums eher lockerer sieht. Ich habe jedenfalls noch keine Verwarnung wegen „verbaler Aufforderung" oder Ronda-Spurverletzung“ erhalten. Und auch ziemlich konservative DJs sind zumindest hinsichtlich moderner Orchester, welche die alten Titel einspielen, nicht mehr so vernagelt wie früher.

Auf jeden Fall aber – so finde ich – war es damals richtig, vor pseudoreligiöser Empörung nicht einzuknicken, sondern mutig dagegenzuhalten. Verhaltensnormen sowie Musik- und Tanzstile sind zeitbedingt und vor allem dem persönlichen Geschmack unterworfen. Und der kann sich ändern – und glücklicherweise tut er dies auch im Tango. Bußprediger, welche den Rücksturz in vergangene Zeiten und gesellschaftliche Normen verlangen, wirken selbst im Tango zunehmend lächerlich – was sie oft ein Stück weit sogar selber einsehen und nun fleißig am Relativieren sind.

Die Mode mit den „Cabeceo-Workshops“ ist damals übrigens im Laufe eines Jahres zunehmend abgeflaut. Aktuell redet im Tango kein Mensch mehr darüber. Sie wurde dann durch viele „Musikalitäts-Seminare“ abgelöst. Doch auch diese Masche ist nach meiner Wahrnehmung am Zurückgehen. Der Grund ist klar: Beides hat zur Qualitäts-Verbesserung in unserem Tanz genau nichts beigetragen.

Zu all den Versuchen, dem dafür völlig ungeeigneten Großhirn das Tanzen beizubringen, passt ein schöner Spruch, der damals im Bildungsmilieu kursierte:

„Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ ich einen Arbeitskreis.“

Zauberer haben diese Erkenntnis ein wenig modifiziert:

„Wenn ich nicht mehr weiterweiß, greife ich zu Trockeneis."

Kommentare

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