Koffer-Kontrolle

 Genau genommen handelt es sich sogar um vier Koffer nebst ihren Trägern. So zeigt es jedenfalls ein Foto. Die dazugehörende Verheißung lautet:

Wir haben sie in die Hand genommen! Unsere Koffer!

Denn die sind gefüllt mit guten Ideen für deine Ausbildung zur Tangolehrerin / zum Tangolehrer. Das Tangostudio La Yumba in Hamburg ist überzeugt: Gut unterrichten kann man lernen, mit uns und im Team der Teilnehmenden.

Interesse? Dann schau hier:“

https://www.facebook.com/groups/13265391185/user/100000605941719/ (1.7.22)

Na, da gucken wir doch gerne nach!

Im schönsten gegenderten Hispano-Denglisch heißt es auf der zugehörigen Website:

„La Yumba go teach - Tangolehrer*in werden im Herzen von St. Pauli

Das Hamburger Tangostudio bietet immerhin 120 Stunden intensives Lernen in 7 Wochenendseminaren mit den Schwerpunkten Tanztechnik, Tanzerlebnis und Unterrichten, individuelles Coaching und Beratung über einen Zeitraum von 12 Monaten.“

Die Unterrichtsziele werden so formuliert:

„Wir vermitteln gesichertes und vertieftes tänzerisches Können und das Wissen um die Bewegungen des Tangotanzens, denn das sind die Grundlagen für deinen eigenen Unterricht. Wir nutzen diese Basis für die Entwicklung deiner Kompetenz, sachlich, methodisch, didaktisch und persönlich sicher und gut unterrichten zu können.“

Die Lerninhalte:

„7 Wochenendseminare mit tänzerischen Themen vom Gehen bis zur Improvisation, über die Bedeutung der passenden Musik, mit stimmigen Übungen und dem Wissen um die motorischen Prozesse. In allen Seminaren ist die gemeinsame Planung, Realisation und Reflexion des eigenen Unterrichtens in Kleingruppen wichtiger Baustein der Ausbildung. Zudem bieten wir individuelle Beratung und Unterstützung für deine Entwicklung.“

Eigentlich sind es nur sechs je dreitägige Wochenend-Seminare. Beim siebten handelt es sich um ein zweitägiges „Einführungsseminar“ zum Kennenlernen, Ausprobieren und als Entscheidungshilfe“.

Die Kosten des Gesamtpakets (respektive der Koffer-Inhalte): schlappe 2400 Euro. Das Einführungsseminar schlägt bereits mit 200 Euro zu Buche, welche angerechnet werden, falls man weitermacht. Ob es sich um Netto- oder Bruttopreise handelt, wird nicht angegeben.

Man kann überschlägig schätzen, dass für einen Seminartag um die 120 Euro fällig werden bei einem Stundenpreis von 20 Euro. Ob es dafür wenigstens freie Getränke oder was zum Knabbern gibt, bleibt offen. Eher wahrscheinlich, dass damit ein weiterer Umsatz fürs Studio reinkommt.

Detailliertere Informationen über das Ausbildungsprogramm hält man zunächst nicht für nötig – man darf die Lehrkräfte zu den Details aber „ansprechen“. Übrigens liegen die Seminarphasen jeweils etwa zwei Monate auseinander. Man muss sich's halt merken können.

https://www.layumba-tangohamburg.de/go-teach/

Wer unterrichtet überhaupt? Wir erfahren zunächst nur die Vornamen vom Koffer-Foto. Sucht man auf der Website, kriegt man heraus: Das Inhaber-Paar, wobei den Chef ein Foto zeigt, auf dem er im Bademantel auf einem Wildschweinfell mit einem Besen tanzt. Die Inhaberin und Tanzlehrerin können wir auf einem Bild bestaunen, auf dem sie in Lockenwicklern und Bademantel telefoniert und gleichzeitig ein Bügeleisen schwingt. Dargestellt werden sollen Milonga-Vorbereitungen. Na gut, St. Pauli…

Einen weiteren Inhaber und Tanzlehrer können wir mit seinem Nachwuchs bestaunen. Nach der vierten Person habe ich vergeblich gefahndet.

Über Ausbildung und tänzerischen Werdegang der vier Lehrenden findet man kein Wort.

https://www.layumba-tangohamburg.de/das-team/

Ich finde solche Offerten schon ziemlich dreist: Mit ein paar wolkigen Sätzen und sonstigen Informationen in Globuli-Verdünnung soll man gefälligst zweieinhalbtausend Flocken löhnen. Selbst fürs Hamburger Vergnügungsviertel ein ambitioniertes Angebot!

Wie werden dort die üblichen Tangokurse verkauft? Man erfährt: „Wir holen euch genau dort ab, wo ihr steht.“ Für den heutigen Tanzstil eine tränentreibende Metapher!

Und bei solchen Sätzen könnte ich mich weinend auf dem Teppich wälzen: „Der Basiskurs begleitet euch etwa 18 Monate, aber schon nach wenigen Stunden könnt ihr auf einer Milonga tanzen. Dafür braucht ihr nämlich gar kein ausgefeiltes Können. Ihr werdet schnell lernen, die Musik zu hören und das ‚Tangogefühl‘ zu entwickeln.“

https://www.layumba-tangohamburg.de/tango-lernen/

Ich finde, wer solchen Schmus verbreitet, sollte keine Kurse geben. Als Alternative bleibt da wohl nur, Tangolehrkräfte auszubilden…

Und, eh klar: Auf den dortigen Milongas wird man „mit ihrer Musik in eine scheinbar längst vergangene Zeit entführt“. Es muss allerdings „anscheinend“ heißen.

Damit man mir nicht wieder vorwirft, ich würde nur vom Hörensagen urteilen: Wir haben vor vielen Jahren einen Tangourlaub in Hamburg verbracht und waren einen Abend lang im „La Yumba“. Für die damaligen Tangoverhältnisse bereits extrem traditionell und exklusiv. Das „zauberhafte Ambiente“ und die „engagierten, herzlichen Gastgeber“ erlebte ich auf Gefrierfach-Temperatur. Meine Frau wurde kein einziges Mal aufgefordert – da hatte ich dann auch keine Lust, mit den dortigen Damen zu tanzen. Nach zwei ähnlichen Erfahrungen auf anderen Hamburger Tango-Treffs fuhren wir die restliche Zeit lieber nach Lübeck, wo wir freundlich empfangen und mit tollen Tänzen verwöhnt wurden.

https://www.layumba-tangohamburg.de/schnupperstunde/

Das Ergebnis meiner Koffer-Kontrolle lautet daher: Nichts Verbotenes enthalten – eigentlich auch sonst nur sehr wenig.

Da lobe ich mir doch ein Chanson, welches konkretere Auskünfte erteilt:

„Luna Park und Wellenbad, kleiner Bär im Zoo

Wannseebad mit Wasserrad, Tage hell und froh

Werder, wenn die Bäume blüh'n, Park von Sanssouci

Kinder, schön war doch Berlin, ich vergess' es nie

Ich hab' noch einen Koffer in Berlin

Deswegen muss ich nächstens wieder hin

Die Seligkeiten vergangener Zeiten

Sind alle noch in meinem kleinen Koffer drin“

Den Text verfasste 1961 Aldo von Pinelli, die Musik kein Geringerer als Ralph Maria Siegel. Populär wurde das Lied durch die Interpretationen von Marlene Dietrich und Hildegard Knef:

https://www.youtube.com/watch?v=Lp-eQqo__Ks

Kommentare

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