Offene Klappe – geschlossene Gefängnistür

 Kürzlich sprach das Amtsgericht München ein Urteil, das mir sehr gefallen hat. Worum ging es?

Angeklagt war ein 35-jähriger Mann, der sich auf der Basis eines Blutalkohol-Wertes von 2,5 Promille einiges erlaubt hatte. Ausgangspunkt war wohl ein Streit mit seiner Schwester, in den anschließend auch die Nachbarn einbezogen wurden: Er hämmerte gegen ihre Wohnungstüren und drohte, er werde jemandem „die Kehle aufschneiden“.

Als die von den Angesprochenen benachrichtigte Polizei erschien, verbesserte sich das Benehmen des Herrn kaum: Er titulierte die Beamten als „Scheißbullen“, „dumme Bullenschweine“, „Wichser“ und „dumme Juden“. Schließlich fuchtelte er noch mit einem Messer herum und fragte die Polizisten: „Was wollt ihr jetzt machen?“ Als die Auskunft lautete, man würde Pfefferspray einsetzen, warf er das Stichwerkzeug denn doch weg und wurde zu Boden gebracht und gefesselt. Er versuchte dann noch, die Polizisten zu treten, es fielen weitere Ausdrücke wie „Scheiß-Kanaken“. Auf dem Weg zur Wache ließ er dann noch wissen, er lasse sich nicht von einem „Kanaken“ festnehmen, sondern nur von einem deutschen Staatsbürger. (Na gut, müssen Beamte eh sein.)

Erschwerend kam noch eine Parallele auf die eingesetzten Polizisten zu, auf die der Mann ebenfalls nicht verzichten wollte: Diese „Wichser“ gehörten genauso erschossen wie die „Bastarde“ vergangene Woche. 

Gemeint waren eine junge Polizeianwärterin und ein Polizeikommissar, die in der Nähe von Kusel von einem Jagdwilderer erschossen wurden – so jedenfalls die Anklage der Staatsanwaltschaft in Kaiserslautern, wo der Betreffende und sein Kumpan derzeit vor Gericht stehen.

Die Angehörigen der beiden jungen Polizisten stellten daraufhin Strafantrag gegen den Besoffenen.

Putzig finde ich die Verteidigung des Münchner Übeltäters, der nach Presseberichten „einschlägig vorbestraft“ sein soll: Er schob seine Entgleisungen auf Alkoholprobleme. Seine Verfehlungen gab er zwar zu und entschuldigte sich, er sei allerdings kein Rassist. Immerhin sei sein Cousin auch bei der Polizei, und er habe ausländische Freunde. Er erklärte seine Taten mit seiner Herkunft: In Thüringen sei er halt mit solchen politischen Inhalten aufgewachsen, habe sich von dieser Ideologie aber längst abgekehrt.

Klar, als sein Anwalt hätte ich ihm auch geraten, das alles zu sagen. Ob man es ihm glauben sollte, steht auf einem anderen Blatt.

Das Gericht tat es jedenfalls nicht und verurteilte ihn zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Ohne Bewährung.

Neben den Beleidigungen (und wohl auch dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) fußt das Urteil auf den Paragrafen 140 und 189 des Strafgesetzbuches: „Belohnung und Billigung von Straftaten“ sowie „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. Höchststrafen: drei bzw. zwei Jahre Haft.

https://dejure.org/gesetze/StGB/140.html

https://dejure.org/gesetze/StGB/189.html

Ich nehme an, die Verteidigung wird in Berufung gehen, dann gibt es möglicherweise doch noch Bewährung. In nördlicheren Bundesländern hätte man die wohl gleich haben können.

Dennoch finde ich das Urteil eindrucksvoll. Ich habe vor vielen Jahren bereits ohne großen Erfolg vor der zunehmenden Verrohung der Sprache nicht nur im Internet gewarnt. Bis heute bin ich immer wieder entsetzt, welche furchtbaren Kommentare Facebook-Nutzer auf ihrem Account stehen lassen – und habe dies auch in Blogartikeln immer wieder moniert.

Nur ein Beispiel: Ein Facebook-Freund fand nichts dabei, folgende Äußerung des Münchner Tango-Aktivisten Joachim Beck gegenüber einem anderen Schreiber stehen zu lassen:

Ich bete jeden Tag, bevor ich an den Computer gehe: Herr, gib mir Geduld und Demut - aber keine Kraft. Hätte ich Kraft, würde ich ihnen in die Fresse hauen. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie mich diese querulanten ahnungslosen Besserwisser ankotzen, die ohne langes Nachdenken irgendeinen Mist raushauen, der keine Sekunde Denken überlebt.“

Ich schrieb damals dazu:

„Ich finde, hier ist nun endgültig eine rote Linie überschritten. Solche Gewaltfantasien zu bedienen, kann man auch mit Satire nicht mehr rechtfertigen. Ich bin froh, nicht zum persönlichen Umfeld von Herrn Beck gehören zu müssen – da hätte ich wirklich Angst um meine physische Unversehrtheit.

Was mich dabei aber ärgert, ist nicht der Urheber solch unsäglicher Ausdrucksweisen, mit denen der nun schon jahrelang das Internet verwüstet. Es gibt halt Menschen, für die ‚Würde‘ lediglich ein Konjunktiv ist. Nur muss man denen nicht auch noch eigene Accounts für ihre Hetzereien zur Verfügung stellen.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/04/liebes-tagebuch-61_27.html

Ich finde die jetzige Botschaft wichtig: Man kann sich wegen mancher Sprüche schon mal eine Anklage einhandeln.

Zu oft wird weggesehen, wenn solche (und weit schlimmere) Tabubrüche stattfinden. Und nicht jeder oder jede hat das Fachwissen sowie das Rückgrat einer Renate Kühnast, welche gegen Beleidigungen im Netz konsequent vorging und sich im Endeffekt via Bundesverfassungsgericht juristisch durchsetzte.

https://taz.de/Renate-Kuenast-und-Internet-Beleidigungen/!5829723/

Hätte man diese schleichende verbale Verrohung nicht jahrelang verschlafen, müsste man den horrenden Folgen nun nicht hinterherlaufen: Am 31. Januar 2022 wurden in der Pfalz zwei junge Polizeibeamte regelrecht hingerichtet, junge Leben sinnlos ausgelöscht.

In der Folge herrschte in rechten Internetgruppen Jubel über diese Untat. Diesmal griff der Staat durch: Es laufen über 500 Ermittlungsverfahren, im Juni dieses Jahres wurden die Wohnungen von 75 Verdächtigen durchsucht. Die vermutlichen Täter waren – kaum überraschend – zu 90 Prozent männlich. Ich darf hinzufügen: zusätzlich wohl völlig charakterlos und saudoof.

https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%B6tung_zweier_Polizisten_im_Landkreis_Kusel

Als ich vor über 10 Jahren das Blog eines gewissen Cassiel entdeckte, war ich völlig fassungslos, dass im Internet jeder jeden – und auch noch unter Pseudonym und ohne Impressumpersönlich herabsetzen durfte. Damals stieß meine Kritik daran auf weitgehendes Unverständnis.

Dabei hätten wir doch aufgrund unserer deutschen Geschichte wissen können: Aus Worten werden irgendwann Taten. Über die grenzenlose Naivität im Umgang mit dieser Gefahr staune ich heute noch.

„Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.” (Heinrich Heine: „Almansor“, 1823)

Inzwischen werden die Staatsanwaltschaften tatsächlich aktiv:


https://www.youtube.com/watch?v=ue4bY44NqLQ

Quellen:

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/getoetete-polizisten-in-kusel-prozess-gegen-mann-wegen-hassrede-18156849.html

https://web.de/magazine/regio/bayern/jahr-haft-hassrede-getoetete-polizisten-37087786

https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/prozess-um-hassrede-gegen-in-kusel-getoetete-polizisten-18156405.html

Kommentare

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