Das Hobby zum Beruf machen?

 

Derzeit habe ich mal wieder eine heftige Debatte über professionelle Tangolehrer zu bestehen: Ohne die hätte es den Tango-Hype in Deutschland nicht gegeben. Meint ein professioneller Tangolehrer.

Das ominöse Wort „Profi“ wird in diversen künstlerischen Nischenbereichen inflationär verwendet. Ich kenne das von einer meiner anderen Leidenschaften, der Zauberkunst. Auf meinem Magie-Blog habe ich das einmal näher untersucht: 

Auf der Internetseite www.allesklar.de findet man zirka 250 „professionelle Zauberer“, während es ganze 16 Kollegen wagen, sich als „Hobby-Zauberer“ zu bezeichnen (etliche ordnen sich dafür gar neben Siegfried, Roy & Co. unter „berühmte Zauberer“ ein…). Da fällt es einem schon schwer, keine Satire zu verfassen: Deutschland quillt offenbar über von ruhmreichen Berufsmagiern, während die „Amateure“ ein Schattendasein fristen… Die dahinter stehende Aussage ist natürlich klar: Was man beruflich betreibt – ob nun Zaubern, Bau von Großflughäfen oder unterirdischen Bahnhöfen – kann man sicherlich viel besser als einer, der nur einem Hobby nachgeht, na eben!

https://diemagiedesgr.blogspot.com/2015/02/profis-ein-geisterwort.html

Was ich damals vergessen habe: Gilt natürlich auch für den Tango. Mehr Häuptlinge als Indianer.

Klar, wäre doch toll, das zum Beruf zu machen, was einen eh als Leidenschaft antreibt, oder? 

Auch mich befiel das eine oder andere Mal die Idee, doch den Beruf des Tanzlehrers, des Profi-Zauberkünstlers oder Schriftstellers zu ergreifen. Ernsthaft versucht habe ich es aber nie. 

Warum? Weil ich mir nicht mein ganzes Leben lang Sorgen darüber machen wollte, ob meine Einkünfte für eine halbwegs ordentliche Existenz reichen würden. Daher habe ich nach meinem Studium einen Beruf ergriffen, den ich durchaus interessant fand, an dem aber nie mein Herz hing. Dafür garantierte er mir einen sicheren Arbeitsplatz, ein ausreichendes Gehalt und eine gute Altersversorgung.

Das Schönste aber: Ich konnte meinen Leidenschaften ohne jegliches materielles Interesse nachgehen. Natürlich unter Verzicht auf einen Achtstundentag. Auch die „Paralleluniversen“ erfordern ja Zeit. In der Spitze waren das an die 60 Zauberauftritte pro Jahr. Zusätzlich natürlich Tanztraining und erste Versuche als Autor. 

Das hindert andere nicht an der Tendenz, mir immer wieder mal eine „Neiddebatte“ anzuhängen, indem man andeutet, ich hätte beispielsweise mit meinem Tangobuch ebenfalls „kommerziell“ gearbeitet: Ich möchte Ihnen mit dem Buch auch keine gewinnmaximierenden Interessen unterstellen, sondern ein wenig provokant zeigen, wies es mit dem Vorwurf der Kommerzialisierung auch Leute treffen kann, die nicht viel daran verdient haben.“

Nein, sorry, da gab es nichts zu maximieren: Null Gewinn, ich habe daran überhaupt nichts verdient!

Ich weiß nicht, wie sich manche Leute die Produktion eines Buches vorstellen. Schreiben kann man sicherlich gratis, aber die Herstellung einer vernünftigen Druckdatei (mit den Illustrationen) kostet einige tausend Euro. Bei meinem Tangobuch darf man dies wegen der drei Ausgaben mit dieser Zahl multiplizieren. Dann hat man aber noch keine Werbung bezahlt, nichts für den professionellen Aufbau einer Website und vieles mehr.

Daher: Nein, ich war schon froh, dass ich dank der vielen Verkäufe auf eine „Null-Bilanz“ kam. Die anderen drei Bücher waren dagegen reine Zuschussprojekte. 

Man kann den Blödsinn aber durchaus steigern. So erlebte ich mit einer durchgeknallten FB-Kommentatorin den folgenden Dialog:

Astrid Weiske: „Sagt mal, Leute, macht ihr eueren Beruf auch für umme??“

Gerhard Riedl: „Nein, aber ich hab auch noch was Gescheites gelernt...“

Astrid Weiske: „Gerhard Riedl, gebt ihr euere Einnahmen der Hobbyausübung auch korrekterweise beim Finanzamt an, als nebenberufliche Tätigkeit?? Das dann in euerer Einkommenssteuer mit berechnet wird??? Zahlt ihr Gema für euere Hobby-Tangoaktivitäten? Das machst du doch auch nicht unbezahlt, oder?? (...)
Du bist verpflichtet, jeden Cent, der rollt, egal ob in den Hut geschmissen oder im Wohnzimmer, aufzuzeichnen und dem Finanzamt mitzuteilen. Ob du daraus Gewinne erwirtschaftest oder nicht, ist erst einmal nicht von Belang. Machst du deine Veranstaltungen im heimischen Wohnzimmer und nimmst kein Geld????? Spielst du gemafreie Musikstücke???? Von wem hast du Tango gelernt????"

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/die-tango-mafia-lasst-dissen.html

Nein, auch für die Milongas, die wir veranstalteten, gilt: null Gewinn. Den Eintritt unserer Pfaffenhofener Milonga bekam die Tanzschule, in der sie stattfand, und im eigenen Wohnzimmer haben wir nie Gebühren verlangt. Das Perfide an solchen Anfragen ist halt: Es bleibt immer was hängen.

Gagen gab es allerdings meist für meine über tausend Moderations- und Zauberauftritte. Die leite ich aber seit 35 Jahren als Spende an die Deutsche Welthungerhilfe weiter. Wer jedoch die Preise kennt, die man in dieser Branche im Schnitt erzielen kann, weiß: Auch davon hätte ich nie und nimmer leben können. Oft wären damit lediglich meine Kosten für Kleidung, Fahrt, Requisiten und technisches Equipment ausgeglichen gewesen. 

Wie wird man hierzulande „professioneller Tangolehrer“? Nach meinen Kenntnissen so gut wie nie durch eine Ausbildung an einer staatlich anerkannten Tanzakademie (z.B. für Ballett, Musical etc.). Bestenfalls hat man vorher auf Amateurniveau Standard, Flamenco oder sonst etwas getanzt. Meist wird der Tango nach einer ersten Begegnung zu einem leidenschaftlich ausgeübten Hobby. So erreicht man, Begabung vorausgesetzt, schnell einen vergleichsweise hohen tänzerischen Level (was beim Tango auch relativ leicht fällt). 

Bei einer boomenden Szene kommen dann früher oder später Anfragen, ob man seine Fähigkeiten nicht weitergeben könnte – ob man das nun Übungsstunde, Unterricht oder Kurs nennt. Klar, wer würde nicht gerne mit anderen seine Faszination für diesen Tanz teilen (und freut sich, wenn die eigenen Fähigkeiten bewundert werden)?

Bald hat man aber den „Point of no Return“ erreicht: Belässt man es beim Hobby, indem man halt gerne mit anderen übt und sich austauscht – eher für lau oder eine kleine Spende, mit der man Tango-CDs für die nächste Milonga erwirbt oder sogar mal eine ordentliche Musikanlage kauft? Oder bildet man sich ein, nun eine „Tangoschule“ eröffnen zu sollen – mit dem ganzen Drumherum von Raummiete über GEMA-Gebühren sowie Werbung bis hin zur steuerlichen Gestaltung? Zusätzlich Veranstalten von Prácticas und Milongas, Workshops, Tangowochenenden oder gar Reisen? Gastlehrer aus Argentinien verpflichten?

Ich fürchte, die Versuchung ist dann besonders verlockend, wenn man sich schon bisher jobmäßig irgendwie durchgewurstelt hat, vielleicht ohne eine solide Ausbildung oder einen krisensicheren, zufriedenstellenden Beruf. Doch gerade in dem Fall ist die Gefahr groß, dem Elend lediglich eine neue, wenngleich anfangs glitzernde Variante hinzuzufügen. Ich durfte in meinem Tangoleben solche vergeblichen Ansätze oft genug erleben. 

Was argentinisches Lehrpersonal anbetrifft, ist meine Skepsis noch größer. Nach meinem Eindruck fehlt – im Gegensatz zu den alten Milongueros – oft die Phase, wo man noch selber die Nächte durchgetanzt hat. Vielmehr ließ man sich von vornherein zu dem Zweck ausbilden, möglichst bald im besser bezahlenden Ausland als Tangolehrkraft tätig zu werden. Das eigene Tanzen als Faszination bestand somit nicht mal zu Beginn. Bezeichnenderweise sitzen solche Lehrerpaare auf Milongas meist die ganze Zeit herum – außer bei den paar Showtänzen, welche sie vertragsgemäß aufführen.

Dennoch sage ich es gerne nochmal: Von mir aus darf am Tango jeder so viel verdienen, wie er kann oder möchte. Es ist nicht unmoralisch, kommerziell zu arbeiten. Nur sollte man nicht jammern, wenn es schiefgeht – und Corona ist nicht an allem schuld. Zudem darf man Leistungen auch kritisieren, gerade, wenn sie professionell daherkommen. Das ist keine Majestätsbeleidigung, wird aber im Tango gerne so gesehen.

Persönlich rate ich aber jedem ab, sich seine Leidenschaft durch berufliche Betätigung zu versauen. Doch dazu gehört viel Realismus – und die selbstkritische Einsicht, dass es natürlich verlockender erscheint, nächtens als „bekannter Tangolehrer“ durch die Salons zu streifen als in der Früh bei Edeka Regale einzuräumen.

Der Potsdamer Tango-Satiriker Kevin Seidel hat das einmal wunderbar veralbert:

 „Also wenn ich da so anfange zu unterrichten, dann mach ich da gleich am Anfang so ne Figur, die so richtig fetzt. Also so mit ner Volkskada und nem Planeto.
Das kann niemand außer mir. Und das mach ich 2 mal vor. Und dann sollense das mal fix nachmachen.
Dann lass ich die so ne Zeitlang probieren durch Rumstolpern.
Das ist so ein Kniff von mir, den ich mir ganz allein ausgedacht hab.
Da kommt niemand so schnell drauf.
Weil erstens mal die Zeit schneller rumgeht, ohne das die was lernen. Da müssense nähmlich nochmal wieder kommen und nochmal bezahlen.
Und zweitens sollense merken, dass Tango halt furchtbar schwierig ist. Und das den kaum jemand kann. Außer mir eben.
Und dann sindse ganz klein. Und gedemütigt. Das ist prima. Weil es dann im Unterricht keine Widerworte mehr gibt, wenn ich kommandiere.
Und drittens wollense dann alle wissen, wie ich diese Figur hinbekommen hab.
Deshalb bin ich dann King im Ring. Kuhl!
Dann schnapp ich mir jede von den Lernmiezen einzeln. Und mach mit denen halt die Figur oder sowas ähnliches.
Danach haben alle Miezen Schmacht auf mich. Und bezahlen müssen die dafür auch noch.“

http://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/kevin-seidel-el-che-nie.html

"Wir lernen schwimmen mit der Haifischkatze" www.tangofish.de

Kommentare

  1. Robert Wachinger27. Januar 2021 um 21:42

    Nettes Thema. Ich habe mal ein Motorradtraining gemacht, da hat der Trainer zum Thema etwas Passendes gesagt. Ich gebs mal sinngemäss aus dem Gedächtnis wieder:
    Er hat sein Hobby (Motorradfahren) zum Beruf gemacht, einigermassen erfolgreich. Er hatte dann als Hobby mit dem Fliegen angefangen und sich etwas später überlegt, dann auch noch Fluglehrer zu werden. Dabei sei ihm dann klar geworden: Damit habe ich ja dann schon wieder kein Hobby mehr ...

    Meine Interpretation:
    Es ist offenbar ein großer Unterschied, ob man etwas aus Hobby macht (da kann man dann quasi sein "Herzblut" reinstecken) oder als Beruf. Selbst wenns einen noch so sehr mitgerissen hat, durch den Beruf wirds zum "müssen", was dem Ganzen dann doch sehr viel Faszination nimmt. (Das ist meine Erklärung dafür, wenn die Tanzlehrer-Profis auf den Milongas rumsitzen und nur Tanzen, wenn sie müssen ;-) ).
    Ist aber wohl auch individuell verschieden, es gibt wohl auch Leute, die nur ein einziges Interesse haben, das zum beruf machen und sich dann nur mit diesem einen Thema beschäftgien.


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    1. Ein schönes Beispiel und eine zutreffende Einschätzung des Trainers!

      Und klar, als Beruf bringt ein früheres Hobby eben auch alle Schattenseiten und mühsamen Aspekte. Dann lässt die Begeisterung oft ziemlich nach.

      Das einzige Hobby zum Beruf machen - o je - kenne ich von den "24-Stunden-Lehrern"...

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