Copes – als sie es noch krachen ließen
Am 16.1. verstarb im Alter von 89 Jahren einer der berühmtesten Tangotänzer: der Argentinier Juan Carlos Copes.
Natürlich ein Anlass für Tango-Autoren, den „besten Tangotänzer aller Zeiten“ (so seine langjährige Partnerin Maria Nieves) zu preisen oder gar als „journalistische Resteverwertung“ alte Artikel zu aktualisieren und nochmal zu bewerben:
Gerne schreibt man sich dabei um einige Gesichtspunkte herum, die ich für bemerkenswert halte:
Copes ist an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben – hat also mit seinem Alter den „Letalitätskorridor“ des Tangodanza-Autors Dr. Stefan Senger bestätigt. Da dürfen wir schon mal beruhigt sein.
Weiterhin war Copes das Urbild eines argentinischen Machos: Seine Tanzpartnerin und erste Ehefrau Maria Nieves (die zur Karriere des Paars mindestens die Hälfte beitrug) litt privat sehr unter ihm. Die nur neunjährige Ehe wurde 1973 wieder geschieden, da Copes sich neu orientiert hatte – als Künstler blieben sie zusammen: Für mich ein Musterbeispiel, welche persönlichen Opfer es kosten kann, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Bis heute haben Partnerschaften von Tangopaaren eine kurze Halbwertszeit.
In einem sehr gelungenen Film hat der Regisseur German Kral dem Leben der beiden ein Denkmal gesetzt. Wer meine Besprechung noch nicht kennt:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/04/ein-letzter-tango.html
Die spanische Originalversion von „El último Tango“ kann man auf YouTube finden:
https://www.youtube.com/watch?v=CqkTYOklCJ8
Als ich den Film 2016 sah, war ich hingerissen von der Musik: Keine historischen Aufnahmen, sondern moderne Versionen, für die vor allem das „Sexteto Mayor“ und Luis Borda sorgten. Und erst recht die wunderbaren tänzerischen Interpretationen – nicht nur in Originalszenen von Copes und Nieves, sondern auch von jungen Talenten – und dem Tangostar Pablo Verón.
Erst jetzt entdeckte ich eine Fernsehaufnahme, die aus den 1970-er oder 80-er Jahren stammen dürfte. Copes und Nieves tanzen zur Musik des 1973 entstandenen „Sexteto Mayor“ – ganz vorne sitzen die beiden Gründer am Bandoneón: José Libertella und Luis Stazo. Was die Kerle aus dem Villoldo-Klassiker von 1903, „El Choclo“, machen, ist atemberaubend – und auch der Tanz, welcher Lichtjahre vom heutigen „Salon-Geschleiche“ entfernt ist:
https://www.youtube.com/watch?v=aOyauS2X2aY
Wenn ich das mit dem vergleiche, was ich seit vielen Jahren auf den meisten Milongas erlebe, packt mich der nackte Zorn: Musikgruppen wie das geniale argentinische Sextett stehen dort weiterhin auf dem Index, und Klassiker wie „El Choclo“ bekommt man, wenn überhaupt, lediglich so zu hören:
https://www.youtube.com/watch?v=DadmXdp0wY0
Da fällt mir nur ein Spruch ein, den ich einmal von Feuerwehrleuten gehört habe: „Tofu kann man dadurch genießbar machen, indem man ihn kurz vor dem Essen gegen Schweineschnitzel austauscht.“
Und was würde eigentlich die konservative Tangoszene hierzulande von einem Tanz wie diesem halten?
https://www.youtube.com/watch?v=IprU2BqivCw
Wenn die Devotionalien-Verwalter nicht wüssten, dass es Maria Nieves und Juan Carlos Copes sind, fiele das Urteil wohl vernichtend aus: Welch schreckliches Gehampel, wild und gewaltsam – und erst recht die Musik: Soll das etwa Tango sein?
Tja, wie auch immer – aber das waren halt die tänzerischen Vorbilder aus dem Jahr 1962. Und was viele nicht wissen dürften: Die beiden waren maßgeblich an der Renaissance des argentinischen Tangos im Lauf der 1970-er Jahre beteiligt. Copes choreografierte eine Reihe von großen Tangoshows sowie auch Piazzollas Tangooper „María de Buenos Aires“ und wirkte an einer Reihe von Filmen mit. Zu seinen Schülern gehörten Persönlichkeiten wie Mikhail Baryshnikov und Liza Minelli.
https://en.wikipedia.org/wiki/Juan_Carlos_Copes
Wie gesagt: Man kann über Tangostile urteilen, wie man will. Wenn man sich eine Aufnahme wie die folgende ansieht, merkt man aber auf jeden Fall den Spaß, welchen die Tango-Leidenschaft bereiten kann:
https://www.youtube.com/watch?v=t7S9VvzR-d8
Und ich darf noch anmerken: Wenn man die geölten Salonschleicher, welche heute ihre „Tangoshows“ präsentieren, dazu zwingen wollte, das nachzutanzen, was die Ollen da auf die Piste brettern – sie würden nach drei Takten aus den schwarz-weißen Galoschen fliegen wie die Römer nach einem Uppercut von Obelix.
Daher nehme ich die Belehrung zu den deutschen Tango-Neuanfängen gefasst entgegen, die mir neulich ein altgedienter Tangolehrer auf Facebook erteilte:
„Die jedoch auf diese Piazzolla-Musik getanzten tänzerischen Ergebnisse waren entsetzlich. Es hatte mit Tango nichts zu tun, entsprach der reinen Phantasie der Protagonisten mit teilweise stümperhaft zusammengestellten Elementen, die man allerdings von uns geschulten Tänzern abschaute, aber weder in Funktion noch Musikalität nach heutigen Maßstäben von flüssigem Zusammenspiel im Tango übereinstimmten. (…)
Die ersten Tangoschüler, die bei diesen Showtänzern Unterricht nahmen, machten sich z.B. in München auf den Milonga-Pisten mit ihren ausladenden Tangoshowfiguren sehr unbeliebt, es herrschten Anarchie und Chaos. Das hat sich dann erst Mitte der 90er Jahre gelegt, als die ersten Tänzer aus B.A. zurückkamen und, vom vorbildlichen Zusammenspiel der Milongueros beeindruckt und genervt vom hiesigen Chaos, die Etikette, die ‚codigos‘, die Sie so belächeln, durchsetzen konnten.“
Na ja, ich habe Anfang der 2000-er Jahre in München durchaus noch etwas vom „Chaos“ mitbekommen, welches offenbar von moderner Musik sowie Leuten wie Copes und Nieves ausgelöst wurde. Bevor dann die Tango-Ordnungshüter sich „durchsetzten“ (man beachte allein die Wortwahl).
Daher
darf ich sagen:
Ja, manche tänzerischen Piazzolla-Interpretationen waren schrecklich, aber sehr lustig, und man musste schon gut navigieren können, um nicht mal einen Rempler abzubekommen. Aber ich kenne auch viele Tanzende, welche sich durch diese Musik weiterentwickelten und Spannendes zu bieten hatten. Vor allem aber: Was hatten wir für einen Spaß!
Wenn ich in den letzten Jahren das lasche und freudlose Herumgeschiebe zu den knisternden Klängen der „großen Orchester“ aus versunkenen Zeiten erleben muss, habe ich oft den Eindruck: Die Tanzpaare hat man nach der „Cumparsita“ in einen Gefrierschrank geschoben und zur nächsten Milonga rechtzeitig wieder aufgetaut. Null Weiterentwicklung, die wird ja auch musikalisch nicht eingefordert. Die Tänze sind mindestens genauso schrecklich, machen aber überhaupt keinen Spaß.
Daher freue ich mich über die „alten Säcke“, welche es noch ungestraft krachen lassen konnten. Die meisten – von Piazzolla über Stazo plus Libertella bis Copes – sind inzwischen tot. Darf man sie daher auch mal zur „Tradition“ rechnen?
Ich bin jedenfalls Juan Carlos Copes sehr dankbar.
Und im Gegensatz zu den Konservativen im Tango weiß ich auch, warum.
Thomas Kröter konnte es nicht lassen, auch diesen Artikel aus Werbegründen auf seiner Facebook-Seite zu verlinken, was natürlich wieder einen meiner Langzeit-Kritiker auf den Plan rief.
AntwortenLöschenJoachim Beck verfasste etwas, das er für einen inhaltlichen Kommentar hält, und schreibt unter anderem: „Zumindest ist mir jetzt klar, wo Riedl diese Bocksprünge her hat, die er für seine unbeliebten PistaQuerungen benutzt.“
Nein das geht wirklich zu weit: Meinen Tanzstil mit dem von Juan Carlos Copes zu vergleichen, verbietet mir meine Bescheidenheit.