Feuerwerk für Annabelle
Bei meinen letzten Artikeln habe ich erstaunlich viel Zuspruch erfahren. Nicht, dass er mich allzu sehr irritiert hätte – nur: Ich will nun wirklich jeden Verdacht vermeiden, dem Mainstream anzuhängen. Daher möchte ich das Neue Jahr mit einem Text beginnen, welcher die Sympathien für mich wieder auf ein erträgliches Maß reduzieren dürfte!
Um es gleich zu bekennen: Ich habe es in der Silvesternacht wieder getan – trotz der behördlichen Warnungen. Was? Ein Feuerwerk abgebrannt. Dieses Jahr mit besonderem Vergnügen. Warum? Dazu muss ich etwas weiter ausholen:
Nach meinen Erfahrungen gibt es zwei Sorten von Chemielehrern: Die eine hat die Freude am Experiment zu diesem Beruf geführt, und die anderen brauchen schon drei Streichhölzer und viel Mut, um einen Bunsenbrenner anzuzünden…
In meinem Fall trat das Pyromanen-Gen schon ab dem Kleinkindalter in Erscheinung, wenn ich auf dem Volksfest das Feuerwerk bestaunte. Ab 11 war Silvester der Höhepunkt des Jahres. Eine älterer Freund und ich waren schon Wochen vorher damit beschäftigt, daheim Streichholzschachteln zu klauen und die Zündmasse abzuschaben sowie zu pulverisieren. Zündschnüre gab es reichlich bei den kleinen China-Krackern, die wir uns irgendwie besorgten. Na ja, wirklich gekracht haben unsere selbstgebauten Böller aus Pappe eher selten – und die Raketen hauchten zumeist am Boden kokelnd ihr Leben aus. Nur einmal stieg eine auf die lichte Höhe von zirka sechs Metern und detonierte dort. Als Beweis prangte an der Hauswand meines Kumpels noch monatelang ein schwarzer Fleck. Wir waren stolz, seine Eltern not amused.
Ab 14 erhielt meine Entwicklung einen deutlichen Schub, da der ältere Bruder eines anderen Freundes ein ziemlich gut ausgestattetes Chemielabor eingerichtet hatte, welches er nicht mehr benötigte. In kurzer Zeit hatte ich – auf der Basis eines Kosmos-Chemiekastens – in unserem Keller ein „Paralleluniversum“ aufgebaut. Chemikalien waren damals noch leichter erhältlich, wenn man den Apotheker kannte… und notfalls wurden halt die Eltern hingeschickt mit dem Argument, dass es ja für die Schule sei…
Jeden Samstag trafen wir uns abwechselnd bei meinem Freund oder mir, um uns naturwissenschaftlich auszutoben. Reihenweise brannten auf unserer Kellertreppe Pulver-Testmischungen ab und zogen als stinkende Schwaden auf Nachbars Terrasse, wo sie deren samstäglichen Kaffeeklatsch etwas spannender gestalteten. Diverse GAUs produzierten wir auch bei meinem Kumpel – einmal mit einer Überdosis selbst hergestellten Tränengases, welches dafür sorgte, dass die Kellerräume für einige Tage unbenutzbar waren.
Bevor
man nun das Notarzt-Argument ins
Feld führt: Richtig schlimme Dinge
sind uns nie passiert. Wir führten ja vorwiegend „ernsthafte“ Versuche durch
und orientierten uns stets an den Anleitungen diverser Experimentierbücher, die
wir geradezu verschlangen. Das Prinzip der Volumenausdehnung bei Explosionen
wurde mir allerdings eindrucksvoll klar, als ich einmal auf die Kateridee kam,
einen Erlenmeyerkolben mit Knallgas zu zünden und mir so die Glassplitter um
die Ohren flogen. Ein anderes Mal sorgte ein Windstoß bei einem abbrennenden
Pulvergemisch für eine heftige Brandblase am Zeigefinger, welche die Mutter eines Freundes mit Mehl bestäubte. Ich überlebte es dennoch.
Auf jeden Fall hatten mein Freund und ich dadurch nicht nur viel Spaß, sondern lernten auch eine Menge Chemie, bevor wir mit diesem Fach im Unterricht konfrontiert wurden. Und das nicht passiv vor dem Computer, sondern bei unseren selbstgestalteten Experimenten, wo wir ziemlich oft – wegen des begrenzten Materials – improvisieren mussten und lernten, mit Misserfolgen umzugehen. Und unsere Eltern ließen das – trotz verständlicher Bedenken – zu. Ich fürchte, heute ist eine solche Herangehensweise an die Naturwissenschaften eher selten. Die Resultate kann man landesweit besichtigen.
Klar, dass ich in meinen eigenen Stunden stets darauf aus war, die Schüler durch eindrucksvolle Versuche so zu faszinieren, dass sie sich mit der „lästige Theorie“ beschäftigten. Und natürlich gab es zu besonderen Anlässen Schauvorführungen – eine Tradition, welche auf die Großen unseres Faches zurückgeht, beispielsweise die Weihnachtsvorlesungen von Michael Faraday. Auch dabei richtete ich kaum Schäden an – bis auf den temporären Tinnitus eines mitwirkenden Kollegen bei einer Knallgasexplosion. Vielleicht haben wir ja trotzdem den einen oder anderen Schüler dazu motiviert, dieses Fach zu studieren.
Ja, und Silvester – ich muss es zugeben – brannte ich auch in der Vergangenheit das eine oder andere Feuerwerk ab. Wobei ich mich entschieden von dem derzeit modernen Nicht-Synonym „böllern“ distanziere. Schnöde Kracherzeugung hat nichts mit dem Himmelszauber zu tun, den man mit Sternen, Funken und Farben chemisch erzeugen kann. Um es in Tangovokabular zu gießen: Ein Kracher verhält sich zur Feuerkunst am Himmel wie das Orquesta Tipica Victor zu Piazzollas Octeto Buenos Aires.
Insbesondere die neuen Batterie-Feuerwerke, die ja im Prinzip wie ihre „großen Brüder“ funktionieren, produzieren fulminante Effektfolgen. Gut, der Abschuss und die Zerlegerladungen arbeiten nicht völlig geräuschlos. Ja, ich weiß: die armen Haustiere! Zirka 25 Millionen Raubtiere hält sich der Deutsche – Katzen und Hunde. Über deren Kohlendioxid-Bilanz reden nicht mal Umweltschützer – und auch nicht über den Krach, den die Tölen oft nicht nur an Silvester, sondern 365 Tage im Jahr veranstalten, von den geschätzten 20000 Hundebissen pro Jahr hierzulande ganz zu schweigen. Mein schlechtes Gewissen hält sich daher in Grenzen, obwohl ich weiß: Man sollte sich nicht mit Hundebesitzern anlegen – die reagieren oft noch aggressiver als ihre Köter.
Völlig
ohne Lärmerzeugung ging es heute Nacht in unserem Garten zu: Meine liebe Frau
hatte ihrem Pyromann – in Ermangelung der üblichen Requisiten – eine Schachtel
mit „Kinderfeuerwerk“ geschenkt –
Sternwerfer und Fontänen frei ab 12 Jahren. Daher musste für mich auch kein
Platz in der Notaufnahme reserviert werden. Und bei zwei Personen aus einem Haushalt und im eigenen Garten lag die Infektionsgefahr exakt bei Null.
Spaß gemacht hat es auf jeden Fall – erstens sowieso und zweitens, weil zwar nun die Hundebesitzer nicht mehr aufjaulen konnten, wohl aber die Moralwächter von der Umweltfront: Ja, aber das Kohlendioxid und der Feinstaub – wie kann man nur?
Yes, I can: Da ich in meinem ganzen Leben (im Gegensatz zu grünen Abgeordneten) noch nie geflogen bin, habe ich mir zum Jahreswechsel erlaubt, meinen Vorsprung in der Kohlendioxid-Bilanz ein wenig zu verringern.
Und, liebe Grüninnen und Grüne (m/w/d) – es hat mir ein riesiges Vergnügen bereitet, ein wenig gegen das bierernste Gebaren von Weltverbesserern anzustinken, die letztlich erst zufrieden sind, wenn der Rest der Bevölkerung ebenso scheiße drauf ist wie sie!
Daher habe ich das Feuerwerk der Kunstfigur eines Reinhard Mey-Chansons gewidmet: Annabelle. Der Sänger beschreibt diese Spaßverhinderungs-Frau derartig genial, als ob er heute gerade von einem fortschrittlichen Parteitag käme:
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich unkonventionell,
Du bist so herrlich emanzipiert
Und hast mich wie ein Meerschweinchen dressiert.
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich intellektuell,
Und zum Zeichen deiner Emanzipation
Beginnt bei dir der Bartwuchs schon.
(Wem’s zu schnell geht: Den weiteren Text findet man unter dem Video!)
https://www.youtube.com/watch?v=iFdOKc_9Wu0
Sicherlich nicht die Wahrheit, aber halt auch eine… Ich male mir lieber nicht aus, was einem Chansonnier heute zustoßen würde, wenn er ein solches Lied herausbrächte – glücklicherweise ist der Text 48 Jahre alt und dürfte nur noch alten, weißen Männern geläufig sein.
Daher wäre mein Neujahrswunsch: Gönnen wir einander die kleinen Verrücktheiten – viele tun Dinge, die sie rational nicht begründen oder gar rechtfertigen können. Und die sind oft Voraussetzung dafür, dass ansonsten ziemlich Brauchbares herauskommt. Die schlimmsten Katastrophen in der Menschheitsgeschichte wurden fast stets von verbiesterten, triebgestauten Hanselinnen und Hanseln (d/w/m) verursacht.
Daher ist es mein fester Vorsatz, 2021 möglichst viel politisch Unkorrektes zu veröffentlichen. Ein Anfang dürfte gemacht sein!
Ich befürchte ja, wenn man heute seinen "Kosmos Chemiekasten" wieder auffüllen will, dann tritt einem im Morgengrauen ein maskentragendes SEK die Tür ein.
AntwortenLöschenReinhard Mey hat es ja geahnt:
https://www.youtube.com/watch?v=c8NbUBb1438
Problematisch fand ich das "Böllerverbot", weil es ein auf Corona gekochtes Interessen-Süppchen ist. Arbeit machen den Notaufnahmen zu Silvester ganz überwiegend Schnaps-"Leichen". Und da dürften die Kontatkeinschränkungen hinreichend für Entlastung gesorgt haben.
Na ja, die „Kosmos-Chemiekästen“ gibt es immer noch: https://www.kosmos.de/experimentierkaesten/chemie/10310/chemielabor-c1000
LöschenDie Befüllung war schon früher ziemlich harmlos, aber die Apotheken agierten noch freigiebiger. Und es gab andere Quellen, die inzwischen versiegt sind und eventuell heute die Sprengstoffexperten angelockt hätten.
Dass Männer in der Regel weder kochen noch backen können, hat damit nichts zu tun.
Was das „Böllerverbot“ betrifft: Hätte man den Feuerwerksverkauf erlaubt, wären wohl die Deppen trotz des Ausgangsverbots haufenweise auf die Straßen geströmt. Die Begründung mit den Notaufnahmen ist diesbezüglich aber Quatsch. Dennoch dürfte es etliche häuslich entstandene Schnapsleichen gegeben haben.
Hier ein „Leserbrief“ meiner Tangofreundin Anette aus Offenbach:
AntwortenLöschenFrohes Neues Jahr, lieber Gerhard,
mir geht es da ähnlich! Habe eine pyromanische Ader. Als Kind habe ich
bei uns im Keller experimentiert, viel mit dem wunderbaren Buch von
Hermann Römpp: "Chemische Experimente, die gelingen". Ich hatte eine
alte Ausgabe aus den 60ern, als man noch nicht so zimperlich war. Die
neuen Ausgaben sind nicht mehr das gleiche. Einmal habe ich einen
Maschendrahtzaun mit Pyrit umgenietet, einmal (angeblich), den Fußboden
durch eine Explosion von "Blitzlichtpulver" zum Vibrieren gebracht, so
dass (angeblich) oben die Kaffeetassen geklirrt haben. Hatte dann etwas
Stress mit den Eltern. Später wurde das Wischwasser im Keller immer lila
von Kaliumpermanganatresten. Schwarzpulver war da noch harmlos, aber
kleine Böller in Gullis haben auch immer schön geknallt. Habe auch gelbe
Stickoxide produziert, Spiegelchen durch Silberabscheidung selbst gemacht
und Kristalle gezüchtet. Ich weiß aber, warum mein Sohn nie einen
Chemiebaukasten bekommen hat, sondern eher elektronisches Zeugs. Die
Beschaffung war auch manchmal aufwendig, O-Ton einer Apothekerin, der
ich naiverweise meine Einkaufsliste gezeigt hatte: "Um Himmels willen,
Kind, Sie haben doch so ein hübsches junges Gesicht!"
Inzwischen denke ich sehr ökologisch, vermeide möglichst Autofahren und
nehme das Fahrrad ....
Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal seit fast 2 Jahrzehnten keine Party
mit unseren lieben Freunden gefeiert, sondern waren zu dritt im
Wohnzimmer. Sohn (21) hat darauf verzichtet, mit seinen Kumpels durch
die Stadt zu ziehen, weil er uns nicht anstecken will. Im November war
ich 5 Tage auf einer Corona-Station, zwar nur mit Lungenentzündung, aber
damit ist man in diesen Zeiten erst mal verdächtig. Nie wieder, das
Personal war hoffnungslos überfordert, weil wir Hotspot waren und es
täglich immer mehr Neueinlieferungen gab. Ist immer noch so. Und meiner
Lunge möchte ich nicht zumuten, doch noch die echten Viren abzukriegen.
Sylvester hat unser Sohn auf unserem Hof zur Freude der Nachbarn, die
aus dem Fenster geschaut haben, Reste vom Feuerwerk vom letzten Jahr
abgebrannt.
Ich beschäftige mich mit neu erschienenen Tangos und freue mich schon
auf das Ende der Pandemie. In der Zwischenzeit sind mein Mann und ich
damit beschäftigt, eine gemeinnützige GmbH zur Förderung von
(Tango-)Musik und Kultur zu gründen: www.tonguss.de
LG Anette
Liebe Anette,
Löschenja, der "Römpp" war damals auch unsere Bibel. Inklusive der "Stunts", die damals noch möglich waren. Aber wir haben dadurch auch eine Menge Chemie gelernt.
Die Feiertage haben wir auch weitgehend zu zweit verbracht. Ich kann es schon verstehen, dass den Menschen die ganzen Schutzmaßnahmen inzwischen immer schwerer fallen.
Eurem Förderprojekt wünsche ich viel Erfolg - klingt spannend.
Herzliche Grüße
Gerhard