Eine argentinische Wutrede

 Thomas Kröter hat schon wieder etwas geteilt – Gott sei Dank nicht von mir! Interessant ist es dennoch:

Die berühmte Tangotänzerin Nicole Nau veröffentlichte auf Facebook die Fertigstellung eines neuen Tangostudios. Nach Corona würden die „heiligen Hallen“ die Basis für ihre „goldenen reifen Jahre“. Alles in Eigenleistung – mit ihrem Mann Luis Pereyra und einigen Freunden. In ihrer schwärmerischen Darstellung rutscht dem Bühnenstar der Satz heraus: „Schüler lernen das wahre Tanzen.“ 

Als Thomas Kröter diesen Post am 8.1. auf seiner FB-Seite verlinkte, stieß das einer bekannten Berliner Tangolehrerin und Veranstalterin sauer auf: 

„Schüler lernen das wahre Tanzen“... ah ja...“, so ihr leicht spöttische Reaktion, gefolgt vonDie ‚nasse-Asphalt-Optik‘ ist sehr gemütlich“. 

Dies wiederum mochte sich Nicole Nau nicht sagen lassen:

„Wie schade, so viel Missgunst. So trist. Zum Boden: Ist halt grad frisch gestrichen. Soll ich die Fotos nächste Woche nochmal machen? Und Bühnen sind wegen Beleuchtung rein technisch nun mal schwarz...“

Die Berliner Tangoexpertin blieb jedoch dabei:

„Ganz gewiss bin ich nicht missgünstig – ich finde den Boden einfach hässlich.“ 

Der deutsch-argentinische Tangostar schickte nun eine Philippika über den großen Teich, die sich gewaschen hatte. Als Rhetorik-Junkie sage ich schon mal: Gut gebrüllt, Löwin! Hier der fast vollständige (von mir sprachlich leicht überarbeitete) Wortlaut: 

„Nein, nicht Du bist missgünstig, hab ich nie behauptet, würde ich auch niemals wagen. Ich kenne Dich nicht. Sicher aber ist deine Bemerkung nicht wohlwollend...

Es hatte Dich ja nicht nur der Boden gestört. Das typische Facebook Genörgel halt. Man kennt sich nicht, aber man kritisiert. Ich mag das nicht, mochte das noch nie und finde es trist. Immer schon. Aber gerade jetzt! Die Situation ist extrem hart und ernst für alle. Anstatt sich mal zu freuen, dass einer, statt zu schließen, seine Kunst vielleicht noch eine Weile schafft zu retten, und etwas FÜR seine Räume tun kann, geht das Gehacke wieder los. Dann haltet doch einfach mal den Mund. Als koste das alles gerade nicht genug Kraft. Und Geld.

Glaubst Du, wir bauen um, weil es so viel Spaß macht?

Natürlich nicht.

Abstand!

Lüften!

Da müssen Wände eingerissen werden! Alles neu gebaut werden.

Sonst musst du komplett schließen.

Dass Luis auf das Ergebnis stolz sein kann, steht außer Frage. Dass es schöner ist als zuvor, aleluya! Das alles allein machen zu müssen, war eine Zumutung.

Hast Du Mal darüber nachgedacht wieviel Unterstützung Künstler in Argentinien bekommen haben seit März? KEINE!

Seit wann man dort nicht arbeiten kann? Seit 15.3.2020.

Insbesondere in Zeiten von Covid sollten inzwischen alle wissen, dass viele Künstler ihre Existenz eher verlieren, also ihre Orte schließen statt zu vergrößern. Keiner hat grad Geld übrig. Insbesondere in Argentinien gibt es für Künstler keinerlei!!!!! Unterstützung. Jetzt einen Umbau machen zu müssen, da kannst Du Dir vielleicht vorstellen, was das an persönlichem Einsatz kostet, körperlich und an Absparen vom Mund. An Sorgen, ob man sich das leisten kann.

Aber entweder geht man den Schritt oder muss ganz dicht machen.

Aber posten wir mal lustig, der Boden ist hässlich. Abgesehen davon, dass wir nicht mal wissen, welche Böden in einem Profistudio verlegt werden müssen. (…) 

Aus dem sozial sicheren Deutschland kann man freilich schon sehr nett lächeln über die etwas billig ausgestatteten Argentinier. In Deutschland ist nicht nur alles qualitativ besser und günstiger, da hilft ja auch der Vater Staat, wenn es eng wird. Fixkosten, Betriebskosten, Alg2, November Hilfe, Soforthilfe, Starthilfe, Stipendium etc. In Argentinien hilft kein Mensch!

Nein, ich fand Deinen Post in der heutigen Situation nicht passend, sondern sehr daneben. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung. Insbesondere finde ich, sollte eine solche Unfeinfühligkeit nicht Menschen passieren, die an argentinischer Kultur ihr Geld verdienen, also SEHR WOHL wissen könnten und sollten, wie es um Argentinien und die Argentinier steht. Nehmt ihr, also z. B. Du, auch Verantwortung Argentinien gegenüber wahr? Wohl kaum. Aber vielleicht demnächst zumindest etwas mehr, indem Du weniger demütigend bist beim nächsten nörgeligen Post. Die Wände sind übrigens auch nicht gerade, falls das noch nicht aufgefallen ist...“

(Im Endeffekt haben sich die Damen dann, mit vielen Relativierungen, wieder halbwegs vertragen) 

Das kann man nicht mehr toppen, nur noch erklären:

Mir geht es, wie Nicole Nau, gigantisch auf den Senkel, wie man in den sozialen Medien Dinge, die anderen Menschen gefallen, mit einem kurzen Spruch heruntermacht. Da postet jemand ein Foto seiner Katze, ein lustiges Eichhörnchen-Video oder seinen Brotzeitteller. Und was folgt? Irgendwelche Hirnis fühlen die heilige Pflicht, unverzüglich mitzuteilen, wie wenig sie davon halten.

Von Ludwig Thoma stammt für solche Gelegenheiten der bayerische Satz: „Weils dich einen Dräg angeht.“ 

Echt, äußern sich solche Leute im sonstigen Leben auch so? Stellen die, wenn sie irgendwo eingeladen sind, auch gleich mal laut und deutlich fest, der Fußboden gefalle ihnen nicht? Werfen solche Tangolehrerinnen ihren Schülern ebenso knallhart an den Kopf, dass sie deren Tanzstil grottig fänden?

Die Vorgehensweise dieser Tangolehrerin kenne ich auch als Betroffener. Vor über einem Jahr bekam ich von ihr diesen Spruch ab: Er ist für mich der Obertroll, nichts was er schreibt, findet meine Zustimmung, und sein Stil ist mir zutiefst zuwider. (…) Mir wäre eine Antwort darauf schon zu viel der Würdigung.“ Und das ausgerechnet zu einem Artikel, in dem ich die Emanzipations-Bewegung argentinischer Tänzerinnen lobte!

http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/10/wo-der-mann-noch-macho-sein-kann.html

Dazu kommt, dass die meisten Leute auf FB lediglich fremdes geistiges oder künstlerisches Eigentum posten. Die Wahl-Argentinierin berichtet wenigstens von eigenen Leistungen

Um der Schnappatmung meiner Kritiker zu begegnen: Ich bin wahrlich der Letzte, der sich gegen Kritik, Ironie oder Satire wenden kann. Ich habe beispielsweise vor einigen Jahren das Buch von Nicole Nau in meiner Rezension nicht gerade gelobt – ebenso ihre Bühnenshows. Und nein, auch der Tangostil der beiden begeistert mich nicht. Es gibt aber viele Leute, denen er gefällt, die vor allem ihren Unterricht in den höchsten Tönen loben – und die historischen Verdienste von Nicole Nau für das weltweite Ansehen des Tangos sind völlig unbestreitbar.

Und wenn ich dann etwas kritisiere, sollte es schon mehr als ein hingerotzter Satz sein – besser ein Artikel von etwa tausend Wörtern, in dem ich verschiedene Gesichtspunkte gegeneinander abwäge. Das ist jedenfalls mein Besprechungsstil.

Was den Unterschied der Verhältnisse in Argentinien und Deutschland gerade zu Corona-Zeiten betrifft, rechtfertigt die Wutrede von Nicole Nau vollends. Wie empathielos kann man eigentlich sein, dann an der Farbe des Fußbodens in einem Tanzstudio herumzumäkeln?

Ich habe schon mehrmals moniert, dass sich die deutschen „Kämpfer fürs Weltkulturerbe“ derzeit kaum um das Mutterland des Tango scheren. Selber kann ich da aus eigener Anschauung kaum etwas beitragen, aber wir waren doch bis Anfang des letzten Jahres von unzähligen Experten umgeben, die uns ständig genau wissen ließen, wie es denn in Buenos Aires zuginge, uns die „heiligen Traditionen“ erklärten. Die sind nun plötzlich ganz still geworden…

Wenn ich auf einem Video sehe, wie ein gefeierter Tango-Bühnentänzer wie Luis Pereyra beim Renovieren eigenhändig mit dem Vorschlaghammer einen alten Fensterrahmen herausschlägt, kann ich mir vorstellen, wie es in seinem Land weniger bekannten Tangoleuten geht. Und habe größten Respekt für das Bemühen, nicht zu jammern, sondern trotz allem an die Zukunft zu glauben.

Tanzvideos der beiden gibt es jede Menge. Daher zum Abschluss noch eines der Berliner Kritikerin;

https://www.youtube.com/watch?v=rvaE8Qdb6eQ

Ja, tatsächlich: Der Boden ist heller.

Kommentare

  1. ... dafür aber mit schwarzen streifen im bild.

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  2. Besten Dank für die intellektuell anregende und themenbezogene Analyse meines Artikels!

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  3. Herr Kröter konnte es wiederum nicht lassen, zumindest die ersten zwei Sätze meines obigen Artikels auf Facebook zu zitieren. Das offenbart seine Unfähigkeit, zwischen einer Tatsachenbehauptung und Selbstironie zu unterscheiden.

    Natürlich eine Steilvorlage für Michael Paul, mich – auch per Bild – mit einer sudetendeutschen Kinderschreckfigur zu vergleichen.

    Eigentlich hatte ich vor, mal einen Artikel über die Facebookseite dieses Herrn zu verfassen. Geht leider nicht – da steht praktisch nur geistiges Eigentum anderer. Da sage ich mit Christian Drosten: Herrn Paul kann man nicht kritisieren, dazu müsste er zuerst etwas publizieren.

    Ob es Thomas Kröter eines Tages noch auffallen wird, welches Niveau seine Seite fallweise erreicht? Man darf gespannt sein!

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    1. Inzwischen sind die Beiträge des Herrn Paul von der Seite verschwunden. Von ihm selber gelöscht oder vom Hausherrn? Ich werde es wohl nie erfahren. Ja, diese Offenheit und Transparenz im Tango!

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