Tangotexte ohne Klischee

 

Per Zufall stieß ich auf eine Tangoseite, die ich sehr interessant finde: „Art.13 TANGO“ nennen Chantal Imboden und Sebastian Tkocz ihr Tangoprojekt in Berlin-Kreuzberg. Untertitel: „Das Recht auf Bewegungsfreiheit“. Das lässt hoffen!

Das Credo ihrer Tangoschule lautet: Schüler kommen nicht zum Lehrer, um den Lehrer zu sehen, sie kommen, weil sie selber tanzen wollen.” Auch das sehr beruhigend!

https://www.tango-blog.at/seminar-colgadas-volcadas-ein-erfahrungsbericht/

1996 begannen die beiden mit dem Tango argentino, den sie seit 2006 unterrichten.

Es gibt auch ein kleines Blog, das mit spannenden Themen aufwartet.

Gleich der erste Beitrag stellt die Frage: „Wie soll das eigentlich gehen auf diesen Milongas?“ Die anfängliche Feststellung hat mir sehr gefallen:

„Im Prinzip ist ja alles klar, denn seit einigen Jahren gibt es auf vielen Milongas Flyer, die das Verhalten auf einer Milonga sehr genau erklären. Es geht um die Tanzrichtung, Abstände, Bahnen und Rückwärtsschritte. Wenn sich alle an diese Regeln halten, kann niemandem etwas passieren.

Aber ist das wirklich das einzige Ziel, dass niemandem etwas passiert? Persönlich wünschen wir uns, dass uns auf einer Milonga viel passiert – viel Besonderes, viel Einzigartiges, viel Schönes! Und wir finden es besonders schön, wenn auch Einsteiger*innen und Menschen, die zu Gast in Berlin sind, nicht die Erfahrung machen, keinen Partner oder keine Partnerin zu finden, sondern aufgefordert und integriert zu werden.“

Im Anschluss schlägt der Autor einen etwas anderen Flyer mit originellen Anregungen vor:

https://www.art13tango.de/milongaregeln/

„Wie kann ich mich beim Tango mental entspannen?“ ist eine weitere, sehr wichtige Frage. Am besten ohne Leistungsdruck:

Auf keinen Fall! Tango war ja ursprünglich gar keine Prüfung. Weder die Folgenden ‚bewerten‘ die Führenden danach, mit wie schwierigen Sequenzen die Führenden die Folgenden überfordern, noch tanzen die Führenden mit den Folgenden, um diese zu testen oder herauszufinden, was die Folgenden alles nicht können! Trotzdem fürchten viele genau diese Prüfungssituation. Das können wir wieder loslassen, wenn wir uns auf das Wesentliche besinnen.

https://www.art13tango.de/2-wie-kann-ich-mich-beim-tango-mental-entspannen/

Tango früher und heute…eine Frage des Stils?“

In den letzten Jahren bezog sich diese Frage zunehmend auf den Unterschied zwischen ‚traditionellem Tango‘ einerseits und ‚Tango Nuevo‘ oder ‚Neotango‘ oder ‚gar kein richtiger Tango‘ andererseits, leider oft verbunden mit Wertungen verschiedenster Art“, so der Autor.

Er bietet dazu eine sehr interessante historische Betrachtung: Eindeutig unterscheiden lasse sich der Tango argentino vom europäischen Standardtanz. Doch auch die Variante vom La Plata wurde nach dem Export zu einer Salon-Version, welche beim Reimport dann vom argentinischen Bürgertum akzeptiert wurde – allerdings waren die altgedienten Tanzenden von der nunmehr „gezähmten“ Variante alles andere als begeistert.

Das führte bereits ab 1930 zur Spaltung in den „Tango de Salón“ der großstädtischen Clubs und dem wilderen „Tango con Cortes“ der Vorstädte.

In den letzten Jahrzehnten bildete sich dann der „Neotango“ heraus – und ab zirka 2005 aus den Wurzeln des Salonstils der „traditionelle Tango“. Inklusive der Meisterschaften, die man ja auch vom Standardtanz kennt.

Man sieht also: Die Debatten über den „echten“ Tango sind so alt wie dieser Tanz!

https://www.art13tango.de/3-tango-frueher-und-heute-eine-frage-des-stils/

Mit einem ähnlichen Thema beschäftigt sich der Artikel Was ist eigentlich ‚authentischer‘ Argentinischer Tango?“

Besonders gefallen hat mir die Einleitung:

Um die Jahrtausendwende, als Chantal und ich anfingen, Tango zu tanzen, sprach noch niemand von ‚traditionellem‘ Tango. Damals suchten wir den ‚authentischen Tango‘, ein geheimnisvolles Geschöpf, welches nach Aussage von Zeuginnen auftrat, sobald man von einem Argentinier zum Tanz aufgefordert wurde. Authentischer Tango war wundervoll und nicht zu beschreiben.

https://www.art13tango.de/4-was-ist-eigentlich-authentischer-tango/

Den Text „Was ist ‚traditioneller Tango‘, und warum wird er so getanzt?“ finde ich besonders aufschlussreich. Sein Fazit lautet:

„Traditioneller Tango ist nicht besser, schlechter, echter, authentischer, verbundener, musikalischer, intensiver, schöner oder kängurutauglicher als anderer Tango. Auch innerhalb dessen, was wir dem ‚traditionellen Tango‘ zuordnen, gibt es Unterschiede, in der Form der Umarmung und im Umsetzen der gesuchten Ästhetik. (…)

Letztlich ist „traditioneller Tango“ auch nicht wirklich traditioneller als anderer Tango. Er ist einfach durch seine spezifische Ästhetik und der aus ihr folgenden choreographischen Beschränkung von außen einfacher erkennbar und damit benennbarer als ein individuellerer Tangostil. So kommt es schnell zur Kategorisierung in ‚traditionell‘ einerseits und ‚nicht traditionell‘ andererseits.

Weder der Vorgänger des ‚traditionellen Tangos‘, der ‚Tango Salón‘, noch der traditionelle Tango, der Neotango oder der Tango con Corte waren jemals DER Tango oder werden es sein. Tango darf vielfältig sein. Tango darf verändern, sich und die Menschen, die ihn tanzen.“

https://www.art13tango.de/5-was-ist-eigentlich-traditioneller-tango/

„Was verbirgt sich alles hinter dem Begriff ‚Neotango‘?“ – so lautet die Fragestellung eines weiteren Artikels. Kostprobe:

„Neotango ist anspruchsvoll. Nicht umsonst konnte er sich nur entwickeln, als zunehmend professionell ausgebildete Bühnentänzerinnen und -Tänzer in die Tangoszene kamen. Aber nicht nur die choreographische Vielfalt stellt eine Herausforderung dar. Da in der offenen Umarmung der Reiz der Nähe fehlt, müssen Bewegungserlebnis, Dynamik und Kreativität allein umso faszinierender sein. Ein Paar in offener Umarmung benötigt nicht unbedingt mehr Platz als ein nah tanzendes Paar. Trotzdem stellt die Koordination des Paares mit allen anderen Paaren eine größere Herausforderung dar, wenn man dazu auch noch frei und kreativ tanzten möchte.

https://www.art13tango.de/6-neotango/

„Wie würden wir unseren eigenen Tangostil beschreiben?“ Ich finde diesen Text besonders aufschlussreich. Am Schluss heißt es:

Last but not least: Lernen, Entdecken, Entwickeln und Verändern

Diese vier bedeuten für Chantal und mich sehr viel. Ein Grund für unsere andauernde Begeisterung für den Tango, die Bereitschaft, ihm gewissermaßen unsere Leben zu widmen, liegt in dieser ständigen Bewegung. Für uns ist der Tanz auch ein Ausdruck der Person. Er spiegelt uns, und indem wir ihm zuhören, seine Veränderung und Entwicklung beobachten, können wir uns selbst besser verstehen.“

https://www.art13tango.de/6-was-fuer-einen-stil-tanzen-wir-eigentlich-selbst/

In einem weiteren Artikel werden die verschiedenen Tanzweisen im Tango in einer Vielzahl von Videos dargestellt. Ergebnis:

„Ich finde es sehr spannend, anhand von Videos die unterschiedlichen Entwicklungen des Tangos nachzuverfolgen. Für mich wird dabei klar, dass die Trennung zwischen traditionellem Tango und Neotango, argentinischem und europäischem Tango oder alle anderen Trennungen, die über die Jahre versucht wurden, tänzerisch nicht wirklich sinnvoll sind.“ 

https://www.art13tango.de/8-die-geschichte-des-tangos-in-youtube-videos/

Fazit:

Sebastian Tkocz betrachtet den Tango ohne ideologische Scheuklappen und Klischees – ein kritischer Geist, der sich dennoch mit Wertungen zurückhält und alle Entwicklungen unseres Tanzes mit Respekt betrachtet. Ich kann die acht Artikel wärmstens zur Lektüre empfehlen.

Schade, dass ich die beiden erst jetzt kennenlerne – ich hätte mir in früheren Zeiten durchaus vorstellen können, bei ihm und Chantal Imboden Unterricht zu nehmen!

Lassen wir die beiden zum Schluss noch ein wenig tanzen:

https://www.youtube.com/watch?v=Sy0fiXpWnhk

Kommentare

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