MeToo im Ilmtal
Schon oft mussten wir uns in unserer beschaulichen oberbayrischen Umgebung „hinter den sieben Bergen“ vorhalten lassen, von den großen deutschlandweiten Entwicklungen – nicht nur im Tango – isoliert zu sein.
Meilenweit fühlten wir uns entfernt von progressiven Regionen wie Berlin, wo gerade eine weibliche parteieigene Soldateska den Ruf eines langjährigen grünen Abgeordneten in Grund und Boden befördert. Abwahl als Bundestagskandidat inklusive. Na gut – auch mit Hilfe einer gefälschten eidesstattlichen Versicherung, in der es offenbar um KO-Tropfen und sexuelle Übergriffe ging, welche nie stattfanden. Aber, seien wir getröstet, irgendwas wird schon dran sein! Vielleicht hat Stefan Gelbhaar einer grünen Genossin mal fünf Sekunden zu lange auf den Busen geguckt – und schlimmer noch: Er kann sich heute nicht mehr erinnern, warum…
Der offenbar einzige massive Vorwurf ist jedenfalls vom Tisch. Na und? In einer Partei, so die Sprecherin der grünen Jugend, habe die Unschuldsvermutung keinen Platz. Schließlich sei man nicht bei Gericht. Man glaube halt den Betroffen*innen. So einfach ist das.
Ich weiß nicht, ob ich der jungen Dame wünschen soll, dass sie einmal selber Opfer eines schlimmen, aber erfundenen Verdachts wird. Und ihr dann gesagt wird, sich parteiintern zu wehren habe keinen großen Sinn. Man würde eh der Gegenseite glauben. Zur Reife-Entwicklung würde es sicher beitragen…
Bei uns in der Holledau konnten wir natürlich solch moralische Höhen noch nicht erklimmen. Aber immerhin tut sich was! Offenbar schon seit letztem Dezember schwelt in der 3000 Seelen-Gemeinde Jetzendorf im Ilmtal ein immerhin ganz netter Sexismus-Konflikt, den ich leider nicht von Anfang an mitbekommen habe.
Opfer von Attacken ist wohl die 24-jährige grüne Gemeinderätin Emily Rumpf, die aktuell ihre Nöte im „Pfaffenhofener Kurier“ darlegt:
Sie hatte sich als Sprecherin der Grünen Jugend mit den Worten beworben, es sei schwer, „gegen den Widerstand der alten weißen Männer“ etwas durchzusetzen. Das verdross die Herren im Gemeintenrat. Einer gab zu Protokoll, „sich zu Lasten anderer profilieren zu wollen, empfinde ich als widerlich und beschämend peinlich“.
Na gut, wir wollen nun nicht darüber nachdenken, ob das eventuell zu den Grundfertigkeiten eines bayerischen Politikers gehört…
In Leserbriefen hagelte es nun Kritik an den Aussagen der jungen Grünen. Die konterte, wer nichts getan habe, fühle sich auch nicht angegriffen. Die Debatte biete Männern die Möglichkeit, „sich selbst und ihr Verhalten zu reflektieren“. Und wer wissen wolle, ob er gemeint sei, dürfe sie jederzeit fragen.
Ihre Erfahrung im Gemeinderat sei, wenn man als Frau etwas sage, kriege man sofort Gegenwind.
Schlimmer noch sei es auf der kommunalen Weihnachtsfeier zugegangen: Eine Reihe älterer männlicher Gemeinderäte habe es sich dort zur Aufgabe gemacht, nach einem Mann für sie zu suchen – worum sie keinesfalls gebeten habe. Man habe sie auch gefragt, ob sie kochen könne – ansonsten werde die Suche nach einem Partner schwerfallen. Wobei sie durchaus über solche Fähigkeiten verfüge – aber ein Mann könne doch auch selber in der Küche aktiv werden! Und das im Ilmtal…
Ein anderer Gemeinderat verstieg sich sogar zu dem Bekenntnis: „Ich würde dich ja heiraten, aber ich hab schon eine Frau.“ So sei es fröhlich weitergegangen.
Das bewog den parteilosen Bürgermeister, in einem Offenen Brief an seine Kollegen festzustellen, dass Sexismus nicht geduldet werde. Es gebe nun einen Verhaltenskodex für den respektvollen Umgang. Und das Thema geriet auf die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung. Eine Frau und einen Mann in der Verwaltung benannte der Gemeindechef als Ansprechpartner für solche Konflikte. Selber wolle er sich „nur im Notfall“ weiter einmischen. Es sei besser, wenn eine Frau solche Gespräche führe.
Ja, was soll man dazu sagen? Einerseits
gehört natürlich das „Getratze“ zwischen den Geschlechtern zum
Kernbestand bayerischer Folklore. Wer darauf humorlos reagiert,
hat schon verloren. Aber auch den älteren Herren – nicht nur im
Gemeinderat – könnte allmählich die Erkenntnis aufgehen, dass die Zeiten männlichen
Dominanzgebarens selbst auf dem sehr flachen Land zu Ende gehen – und man
sich widrigenfalls gewaltig in die Nesseln setzen kann. Und eine junge Gemeinderätin
darf sich ebenso auf das Mandat ihrer Wählerinnen und Wähler berufen wie ihre
älteren Kollegen. Sollten die in die glorreiche Vergangenheit abtauchen wollen,
sei ihnen der Tango empfohlen! Das Alter würde ja passen.
Die Lokalzeitung hat nun den immerhin 82 Frauen, welche die Geschicke der Gemeinden im Landkreis mitbestimmen, eine vertrauliche Umfrage geschickt, wie das mit der Benachteiligung weiblicher Mitglieder der Gemeinderäte aussehe. Noch in dieser Woche sollen die Ergebnisse feststehen – ich werde natürlich berichten!
Quelle: Pfaffenhofener Kurier vom 22.1.2025, S. 19
Wollen wir hoffen, dass den älteren Gemeindevertretern manche Einblicke in die neue Zeit gelingen – und junge Damen zur Erkenntnis gelangen, dass beleidigte Leberwürste nicht nur in der Politik einen schweren Stand haben.
Mit Vergnügen habe ich mich gefragt, wie eine selbstbewusste (und erfahrene) Frau, beispielsweise die Kabarettistin Monika Gruber, auf solches maskulines Gedöns reagiert hätte. Im folgenden Video kann man es erahnen (Übersetzung ins Preußische auf Anfrage):
https://www.youtube.com/watch?v=5yPRrdkRkAk
P.S. Letzte Meldung: Der Bürgermeister und die Grüne scheinen auf Einigungskurs zu sein!
Update 24.1.25:
Heute hat der „Pfaffenhofener Kurier“ seine Umfrage bei Gemeinde-, Kreis- und Stadträtinnen veröffentlicht: „Wie sexistisch ist die Lokalpolitik?“
Angeschrieben wurden 82 Politikerinnen, was einer Frauenquote von 21,6 Prozent entspricht. Genau die Hälfte der Damen hat geantwortet. 12 Frauen berichten von Sexismus-Vorfällen, die übrigen 29 können nur Gutes sagen.
Klar, manchmal fielen bei der „Nachbesprechung“ im Wirtshaus derbe Sprüche – nicht nur von Männern. Wenn etwas zu weit gehe, spreche man das an.
12 Mandatsträgerinnen aber schreiben durchaus von störendem Verhalten, das oft darin bestehe, dass man ihre Kompetenz anzweifle. Männer mit weniger Fachwissen, beispielsweise im Baurecht, dürften da auf mehr Gnade hoffen. Die Tendenz, Frauen ins Wort zu fallen oder ihre Beiträge herunterzumachen, sei groß. Viel hänge davon ab, ob der Bürgermeister Grenzen setze.
Es gebe Kolleginnen, die sich dann lieber nicht zu Wort meldeten. Auch sexuelle Anspielungen gebe es, die man lieber nicht zitieren wolle, weil sie zu leicht rückverfolgbar wären.
Frauen werden auch gerne gefragt, ob sie ihr Ehrenamt mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter vereinbaren könnten. Männern würden solche Fragen nie gestellt.
Man sieht also: Auch im Ilmtal gibt es in Sachen Emanzipation noch Handlungsbedarf. Und: Selbstbewusst auftretende Damen haben es im Endeffekt leichter, weil sie den Kerlen mal kräftig Bescheid geben. Die brauchen das dringend!
Quelle: Pfaffenhofener Kurier vom 24.1.25, S. 19
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