Neues Jahr – mit Tangoglück?

 

Ich hoffe, es ist nicht zu spät für einige Anregungen und Wünsche zum Tango 2025 – manchmal passen ja verspätete Gedanken besser als verfrühte…

Ich habe im letzten Jahr einige positive Veränderungen erlebt – und wir sind in der oberbayrischen Provinz mit Avantgarde deutlich weniger verwöhnt als in Berlin, im Rheinland oder gar in Darmstadt…

Selbst an Orten unserer Region, wo man auf vielen Milongas jahrelang kein einziges modernes Tangostück hörte, beginnen nun Aufweichungs-Erscheinungen: Zumindest im letzten Drittel des Abends spielt der DJ öfter mal eine Runde mit modernen Orchestern, einen Non-Tango oder – immer noch sehr selten – sogar eine Piazzolla-Tanda. Das lässt doch hoffen!

Erst kürzlich erlebte ich in einer süddeutschen Großstadt, die viele Jahre als EdO-Hochburg fungierte, ziemlich randvolle Milongas mit „gemischter“ Musik – und siehe da: Fast alle tanzten dazu, und ich sah am Mischpult keine Beschwerde-Komitees Ewiggestriger. Das steigert meinen Optimismus beträchtlich!

Dabei geht es mir – ich wiederhole es gerne – überhaupt nicht darum, das werte Publikum flächendeckend mit Tango nuevo vollzupflastern. Daran fände nicht mal ich Gefallen. Mich würde es schon freuen, nicht jeden Abend mit den ewig gleichen Hits aus grauer Tangovorzeit verwöhnt zu werden, sondern halt ein Abbild der Tangomusik aus über hundert Jahren zu erhalten – und sei es mal obendrauf ein Trällerliedchen von Annett Louisan. Ich bin Schlimmeres gewöhnt…

Die meisten Gäste jedenfalls – so mein fester Eindruck – sind bei Weitem nicht so vernagelt wie (leider noch) viele DJs, die oft meinen, es fahre ein Blitz vom Himmel, wenn sie keine „vorschriftsmäßigen“ Tandas zusammenbauen. Und auch, dass volle Hosen zur Grundausstattung vieler Veranstalter gehören, muss doch nicht ewig so bleiben!

Die „Hundertprozentigen“ – so mein Eindruck – haben sich längst auf „ihre“ Spezialveranstaltungen zwecks Pflege der historischen Musik zurückgezogen. Das wollen wir ihnen durchaus gönnen. Und uns selber deutlich mehr musikalische Vielfalt!

Daher wünsche ich mir fürs Neue Jahr noch mehr Offenheit und Toleranz. Niemand sollte die Gäste einen Abend lang mit Avantgarde-Gedöns foltern – aber ebenso wenig konstant die ewig gleiche EdO-Suppe auftischen. Ich finde, auf diesen Ausgleich könnte man sich doch verständigen! Und klar: Für Spezialisten darf es doch gerne auch „Sonder-Events“ geben, wenn auch wohl nicht flächendeckend.

Vielleicht besuche ich ja die „falschen“ Milongas – aber ich habe den Eindruck, dass sich selbst im Hinterland der Metropolen durchaus Veränderungen zeigen – sicherlich von Ort zu Ort nicht in gleichem Ausmaß. Aber es wird bunter.

Voraussetzung ist, dass wir einander die jeweilige Lieblingsmusik gönnen. Und nicht gleich die Apokalypse zu beschwören, wenn es mal anders klingt als wir es gewohnt sind. Stattdessen sollten wir die Chance nutzen, unsere Hörgewohnheiten zu erweitern.

Sehr erfreulich finde ich es, dass sich in unserer Umgebung „Non Profit“-Milongas entwickeln – also Veranstaltungen, die nicht von Geschäftsinteressen geleitet sind: kein Unterricht, keine Shows, nichts wird verkauft – einfach Musik und Tanzen pur (na ja, öfters inklusive „Fingerfood“). Selber habe ich viele Jahre solche Treffs organisiert, die zu meinen schönsten Erfahrungen im Tango gehören.

Natürlich benötigt man für solche Projekte ein Höchstmaß an Optimismus und nicht nur körperlicher Belastbarkeit. Es ist zu hoffen, dass die Gäste solche Anstrengungen honorieren. Nach meinen ersten Eindrücken kann das tatsächlich so klappen. Aber klar: Nur wenn Besucher und Veranstalter einander unterstützen, kann daraus mehr als ein vorübergehendes Projekt werden.

Noch ein sehr erfreulicher Trend ist die allenthalben angebotene Live-Musik. Ich finde, sie gibt vielen Veranstaltungen ein eigenes Gepräge. Gut – man muss nicht nach zehn Bandoneon-Unterrichtstunden vor Publikum auftreten. Und dann schon gar nicht die ollen Kamellen intonieren, welche die prähistorischen Orchester nun wahrlich besser draufhatten! Aber es ist ein Anfang – selbst wenn dem kein Zauber innewohnen sollte. Und wer von den Gästen kann (und das sind nicht wenige), sollte etwas tiefer in die Tasche greifen als zum Gegenwert einer halben Kinokarte. Die finanzielle Großzügigkeit vieler Milongagäste ist wahrlich ausbaufähig – jedenfalls, wenn es sich nicht um glamouröse Festivals mit hunderten Kilometern Anreise handelt.

Auf den Milongas, die ich besuche, nimmt man es mit den ehrwürdigen „Códigos“ immer weniger genau. Klar, mache laden per Cabeceo zum Tanzen ein, was gerne als nettes Spiel inszeniert wird. Aber kaum jemand wird bei direkter Aufforderung (vor allem, wenn sie charmant ausfällt), schief angesehen oder gar weggeschickt. Und die Benutzung der Tanzflächen ähnelt immer weniger einer Fronleichnams-Prozession. Stattdessen fummelt sich das Gewirr auf dem Parkett schon irgendwie zurecht – mit gegenseitiger Rücksichtnahme und Humor. Und ohne einen Streit, wer „Vorfahrt“ hatte. So kann es doch weitergehen!

Als größten Negativposten sehe ich die Behandlung der Frauen im Tango. Immer noch schließen Veranstalter per Quotenregelung Tangueras von Veranstaltungen aus, weil sie das falsche Geschlecht haben – oder jedenfalls nicht führen können. Ich halte das im 21. Jahrhundert für einen groben Anachronismus! Freilich liegt das nicht nur an den Männern. Selbst dort, wo sie selber aktiv werden könnten, halten sich viele Tänzerinnen beim Auffordern zurück, statt einmal selber die Initiative zu ergreifen. Na gut, dann ist das halt so… Jedenfalls würde ich nie eine Tangoveranstaltung besuchen, bei der – in welcher Weise auch immer – Damen der Zutritt verwehrt wird. Oder Kerle meinen, den Ton angeben zu sollen.

Andererseits sieht man im Tango immer mehr führende Frauen, die mit ihresgleichen tänzerisch viel Spaß haben – und es nicht nur deshalb miteinander probieren, weil gerade nichts Männliches verfügbar ist. Auch das eine Entwicklung, die ich vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte!

Tangueros, die miteinander aufs Parkett gehen, erlebt man leider eher als Show-Einlage. Hier ein schönes Video, das ich gerade auf Facebook bei Thomas Kröter fand:


https://www.youtube.com/watch?v=9U8Ihvgnw8Q

Insgesamt wünsche ich mir für 2025, dass wir beim Tango nicht ewig weiter diskutieren, warum etwas nicht geht (oder gar „verboten“ ist). Sondern mit nicht vernagelter Stirn die vielen Möglichkeiten erkunden, welche uns dieser Tanz schenkt! Und merke: Das Tangoglück wird nicht in Blogs produziert, sondern ausschließlich auf dem Parkett!

Dann könnte doch ein spannendes Tangojahr 2025 gelingen.

Ich werde weiter berichten!

P.S. Gerade auf Facebook gelesen:

Einsteins Relativitätstheorie war lange Zeit sehr umstritten. 1931 erschien das Buch: „Hundert Autoren gegen Einstein“. Die Reaktion des Physikers: „Wieso hundert? Wenn es gelingt, mich zu widerlegen, reicht doch einer!“

Kommentare

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