Vier Wochen Pörnbacher Practica
Vor
etwa einem Monat haben wir erstmals unter der Bezeichnung „Wohnzimmer-Practica“ eine private
Übungsmöglichkeit angeboten:
Zirka
15 Personen haben bislang ihr
Interesse angemeldet, es fanden schon 8
Termine statt – in jeder Hinsicht mehr, als wir erwarteten.
Meine
schlichte und für viele wohl überraschende Idee: „Tango üben wie dereinst in Buenos Aires“. Bekanntlich lernten dort frühere
Generationen diesen Tanz beileibe nicht in Kursen, sondern in häufig privat
organisierten Practicas. Männer übten oft mit Männern, Frauen mit Frauen,
Erfahrene mit Neulingen – kreuz und que(e)r und ohne großes System.
Was
ich gerade erst und zu meinem großen Vergnügen erfahren habe: Noch heute
dominieren im Tango-Mekka nicht etwa ausgefeilte Kurssysteme, sondern Übungsstunden – auch in Kleingruppen,
die man „Semi-Privadas“ nennt.
Der
„authentische Tango“ nun in Pörnbach? Nun, ganz so schlimm wird es
nicht werden…
Der
oberste Grundsatz des „Hallertauer Tango“ lautet: Zur
Entwicklung eines individuellen
Tanzstils kann man Menschen höchstens gut
begleiten, keinesfalls jedoch führen. Wir erteilen folglich keinen Unterricht. Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“,
sondern höchstens Tipps, wie es natürlicher und mit weniger Anstrengung sowie Verkrampfung
geht. Solche „Killer-Vokabeln" unterlassen wir – auch die vom „Führen und Folgen".
Neulich
entschlüpfte mir ein Satz, der möglicherweise Programm ist: „Zeig mir, wie
du tanzen möchtest, dann bring ich es dir bei.“
Und,
ganz wichtig: „Figuren“ werden in
unserem Dorf keine verkauft. Sprich: Nur so viel Choreografie, wie sich nicht vermeiden lässt. Für Anfänger heißt das: Caminar (also das Gehen auf den
verschiedenen Spuren innen und außenseitlich, im gekreuzten bzw. parallelen
System, mit Wiegeschritten und rhythmischen Variationen). Allein das ist Stoff
für Monate, und auch nach 20 Jahren arbeitet man immer wieder daran!
Fortgeschrittene haben so gut wie
immer jede Menge (oft viel zu viel) Figurenmaterial
– woran es häufig mangelt, ist die technische
Umsetzung: Umarmung, Verbindung, Achse, Balance, passende zeitliche
Fußbelastung, Zentrierung auf die Körpermitte. Es fasziniert mich immer wieder,
wie dieselbe Folge von Schritten nach Tango oder dessen Persiflage aussehen
kann!
Ein
weiterer wichtiger Grundsatz: Die Musik
führt! Daher gibt es bei uns kaum ein Üben ohne diese. Sicherlich sind wir
auf der Suche nach der „Eins“ oder den musikalischen Phrasen behilflich, aber
in neunzig Prozent der Zeit wird zu
Musik getanzt.
Apropos:
Klar kann man Anfängern nicht gleich mit Piazzolla kommen – ich lehne aber „Übungsmusik“ (wie die bekannten „Di
Sarli-Endlosschleifen“) kategorisch ab. Auch Neulinge werden bereits mit
Walzern, Milongas und modernen Klängen konfrontiert – und zwar ohne „Einzählen“. Erstaunliches
Ergebnis: So gut wie immer findet man
den Rhythmus, wenn man selber hinhören
soll anstatt passiv nach Zahlen zu marschieren hat.
Daher
gilt bei uns: Alles, was Tanzende
aktiviert, bringt sie weiter! Sie sollen tanzen, tanzen, tanzen – und nicht
den klugen Reden des „Lehrers“ lauschen. Daher billige ich mir eine maximale Sprechzeit von zehn Prozent einer Übungsstunde zu. Mehr
würde nur die Passivität fördern.
Dezentralisierung ist ein weiteres
Prinzip: Es gibt keinen „großen Zampano“, der alles weiß und sich in den
Mittelpunkt stellt. Wenn man dies konsequent vermeidet, finden sich immer
wieder Paare, welche selbstständig
an einer Sache arbeiten, oft mit erstaunlichen Fortschritten. Und Dritte
mischen sich ein, geben Tipps und versuchen sich an der tänzerischen Umsetzung. Ideen klauen ist erlaubt, ja erwünscht!
„Vormachen –
nachmachen“
spielt bei uns nur eine sehr untergeordnete Rolle. Man lernt ungleich schneller
im direkten Kontakt, von dem
natürlich der Anfänger profitiert,
jedoch auch der erfahrene Tanzpartner:
Man muss halt total klar und verständlich tanzen sowie vor allem Schwächen des
anderen ausgleichen. Zudem erfahre ich so viel schneller als durch reines
Beobachten von außen, woran es noch hapert.
Daher:
Tangolehrer, die nicht die meiste Zeit mit
ihren Schülern tanzen, haben einen an der Waffel…
Aber
die Interaktion hat ja noch mehr
Seiten: Fast jede(r) tanzt mal mit jedem, Frauen lernen das Führen, Männer
dürfen auch mal folgen. Unglaublich, welche Fortschritte entstehen, wenn man sich immer wieder auf einen neuen
Tanzpartner, eine neue Rolle einstellen muss!
Weg
von der „Massen-Beschulung“: Wir
üben in kleinen Gruppen von meist 3-6
Personen. Dies hat nur teilweise mit der begrenzten Fläche unseres
Wohnzimmers zu tun. Bei den üblichen Kursgrößen ist das Eingehen auf den Einzelnen kaum möglich. Tango ist aber eine individuelle Sache und kein
reglementierter „Formationstanz“!
„Spaßfaktor“: Dieser Aspekt (für
den ich schon massiv gescholten wurde – bekanntlich ist Tango ja eine ernste
Sache) steht für mich im Zentrum! Wenn etwas nicht klappen will, muss man sich
rechtzeitig davon lösen und etwas anderes probieren. Die Welt des Tango ist
doch riesig! Das verkrampfte „Herumschrauben“
am Partner, wenn die obrigkeitlich verordnete „Figur“ nicht klappen will,
kann man auf fast jeder Practica besichtigen, in Pörnbach nicht. Da gehe ich
nämlich sofort dazwischen und bringe das Paar auf andere Gedanken!
Fazit
Ganz
offen gestehe ich: Auf die Idee mit unseren Übungsstunden kam ich auch deshalb,
weil ich in der Praxis erproben
wollte, ob meine Vorstellungen zum besseren
Erlernen dieses Tanzes funktionieren. Nach gut einem Monat muss ich sagen:
Es macht mich glücklich, zu erleben, welche Fortschritte sowohl Anfänger als auch Versierte machen! In diesem
Ausmaß hätte ich es nicht zu hoffen gewagt.
Übrigens
ist es auch der Gesundheit förderlich, Verspannungen und andere Schäden im Bewegungsapparat via Tango
zu verringern oder sogar zu beseitigen. Aber das gehört zum Fachgebiet unserer „begleitenden
Heilpraktikerin“ Manuela Bößel.
Vielleicht schreibt sie ja demnächst wieder einmal etwas dazu. Auf ihrem Blog finden sich bereits zahlreiche
Artikel zur Schnittmenge von Therapie und Tango:
Klar
ist allerdings: Die „Zauberformel“,
mittels der man im Handumdrehen den Traumtango
tanzt, haben wir nicht vorrätig. Bei aller Lockerheit und allem Spaß ist es
nicht unanstrengend, zwei Stunden ziemlich konzentriert zu üben – für alle
Beteiligten. Eine Binsenweisheit: Mit einem „bisschen Probieren“ geht beim Tango genau nichts.
Wer
also mit uns tanzen möchte – egal, ob totaler Anfänger oder Supertänzer – ist herzlich eingeladen. Bei Interesse
einfach melden (Tel. 08446-732 oder Mail an mamuta-kg(at)web.de).
Also,
vielleicht demnächst einmal in Pörnbach!
Herzliche
Grüße
Euer GerhardGrafik: www.tangofish.de |
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