Mit größter Freundlichkeit
„Freundlich und mit
großer Ruhe“,
so heißt es in einem Tangotext, habe er seine Geliebte mit 34 Messerstichen getötet. Der Grund: Der Mann hat sie in den
Armen eines anderen erwischt.
Die
Messer blitzen ja in zahlreichen
Stücken unseres Lieblingstanzes – und fast immer geht es um die gekränkte Männerehre, welche selbstredend
den Einsatz der Stichwaffe rechtfertigt. „Verbrechen
aus Leidenschaft“ nannte man solche Taten in Lateinamerika – natürlich garniert
mit einem deutlichen Strafrabatt für die Täter.
In
obigem Tango lässt der Eifersüchtige übrigens seinen Rivalen laufen: „In solchen Fällen ist der Mann nicht
schuldig“, so die krude Logik. Soll heißen: Der Mann ist halt so – aber die
Frau gilt als Schlampe, wenn sie ihn lässt.
Das
erinnert mich an die ehemalige katholische Ordensschwester Doris Wagner, welche von einem männlichen Mitglied der Gemeinschaft
mehrfach ins Bett gedrängt wurde. Die Reaktion der Oberen: Die Frauen hätten
halt auf eine reizlose Ausstrahlung bedacht zu sein. Und auch die Justiz befand
damals: keine Vergewaltigung – sie habe
sich nicht eindeutig gewehrt.
Inzwischen melden sich in Argentinien Frauen lautstark zu
Wort und protestieren gegen den immer noch verbreiteten „Femizid“:
In einem gerade erschienenen Artikel erinnert die Sängerin
und Komponistin Marisa Vazquez daran, aus welchen trüben Quellen der Tango
stammt:
„Das argentinische
Tangofestival für Frauen fordert das Ende des Machismo“
Ihr
Statement:
„Wir wollen nicht
aufhören, diese Lieder zu singen, aber wir wollen sie neu einsetzen, um das
Publikum darüber zu unterrichten, woher der Tango kommt und wie er zu unserer
heutigen Gesellschaft geführt hat. Historisch kam der Tango aus dem Volk, und
zu der Zeit, als die Songs komponiert wurden, war es in den 20-er, 30-er, 40-er
Jahren üblich, Frauen zu schlagen."
Die
Künstlerin gründete „Tango Female“,
das erste internationale Tango-Event von Buenos Aires, das ausschließlich
Frauen vorbehalten ist: „Tango entstand
zu einer Zeit, als die Gesellschaft extrem macho war. Aber auch heute, in der
neuen Tango-Szene, treffen Frauen auf großen Widerstand... Wir dürfen nicht
gleichberechtigt in die Kunst einsteigen."
Die
Musikwissenschaftlerin und Autorin Mercedes
Liska stellte bei der Eröffnungsveranstaltung fest: „Tango ist ein Musikgenre, das Männern gehört, die eine anonyme Frau
haben."
Marisa Vazquez bestätigte dies: „Beim Tanzen wechseln Männer ihre Partnerinnen
und bauen ihren Namen weiter auf. Manchmal werden die Frauen nicht einmal
erwähnt."
Diese
Tanzform sei nach wie vor ein Bereich, der von
Männern dominiert werde, die fast ausschließlich Positionen in dieser
Industrie mit höherem Rang einnehmen, von der Festivalleitung bis hin zur
Radioproduktion. Frauen im Tango, obwohl sie integraler Bestandteil der
Darbietungen sind, werden oft außer Acht gelassen; sie stellten weniger als 15 Prozent
derjenigen, die in Festivalprogrammen erwähnt werden.
„Männer helfen sich
gegenseitig und schließen Frauen häufig von Festivals aus", so die
Pianistin und Komponistin Claudia Levy.
„Es ist noch schwieriger, als weibliche
Komponistin Anerkennung zu erlangen – da es viele Frauen gibt, die Tangos von
Männern singen, aber keine männlichen Künstler, die von Frauen verfasste
Tangos singen."
„Vor zwanzig Jahren schrieb
ich einen Tango, der von einer misshandelten Frau handelte", sagte Levy. „Ich musste aufhören, ihn zu singen, da sich die Leute unwohl fühlten.
Damals war Feminismus ein böses Wort. Man vertuschte Fälle häuslicher Gewalt.
Aber heute berührt der Feminismus alles, und so begann ich, das Stück wieder zu
singen."
Marisa Vazquez fasst das Anliegen
der Künstlerinnen so zusammen:
„Das Einzige, was wir wollen, ist, unsere Kunst unter den
gleichen Bedingungen wie die Männer zu entwickeln."
Hier
der Original-Text:
Sind
Frauen im Tango auch hierzulande die anonymen
Wesen an der Seite bekannter Männer? Gestern las ich in einem Tangoblog
dazu einen bemerkenswerten Satz. Es ging um die Frage, wer überhaupt in der
Lage sei, in einer heimatlichen Szene bestimmte Tangostücke richtig zu
interpretieren:
„Ich kenne jedenfalls
höchstens vier Männer in (…), die diese Stücke wirklich in den Griff bekommen.“
Aha,
und die Frauen, welche dies mit
ermöglichen, zählen nicht?
Ich
will dem Schreiber keine bösen Absichten unterstellen – aber diese Gedankenlosigkeit zeigt, dass wir
gerade im Tango noch einen weiten Weg vor uns haben.
Und
jetzt sage ich es einmal ohne
diplomatische Verrenkungen:
Für
mich bildet der hiesige und heutige Tango eine Szene, die in ihrer Ungleichbehandlung von Frauen höchstens
noch von katholischen Orden und studentischen Burschenschaften
übertroffen wird:
Wer
beim Tango dem falschen Geschlecht
angehört, muss sich darauf einstellen, dass
·
man
aufgrund einer abstrusen „Quote“ nicht zu geschlossenen Events zugelassen wird
·
man
sich nach Klischeevorstellungen des anderen Geschlechts zu kostümieren hat
·
es
absolut verpönt ist, andere direkt um einen Tanz zu bitten
·
man
sich beim Tanz der Führung des Partners zu unterwerfen hat
·
dieser
also angeblich die Qualität eines Tanzes bestimmt
·
man
auch als Tangolehrerin besser die Klappe hält, wenn der „Chef“ unterrichtet
Als
Blogger füge ich hinzu: Man unterlasse
es weiblicherseits, Personen aus dem nahen Umfeld öffentlich zu unterstützen. Bekanntlich redet
man als „Abhängige“ diesen eh nur nach dem Munde…
Und
wenn das alles nichts helfe, so inzwischen der Tenor sogar aus konservativen Kreisen,
solle man halt gefälligst führen lernen.
So sinnvoll dies sein kann, möchte ich dennoch zu bedenken geben: Man schafft
die Diskriminierung der Frauen nicht
schon mit dem Ratschlag ab, sie könnten sich ja einen Schnurrbart ankleben!
Ein
Trost für die Damen: Zum Ausgleich werden sie in der offiziellen Tangowelt
mit öligem Kavaliersgehabe verwöhnt.
Sie dürften bekanntlich in der schützenden Umarmung ihres Herrn wie eine Blume erblühen…
Die
Stiche im Rücken werden sie dennoch
spüren!
P.S.
Mein herzlicher Dank geht an Tom Opitz,
der mich auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hat! Was wäre ich ohne die
zahlreichen „Fans“, welche mich mit Informationen versorgen?
Manuel Frantz schickte mir gerade diesen Kommentar:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
ein interessanter und informativer Beitrag von dir. Danke dafür! Nur beim zweiten Teil frag ich mich, ob es wirklich nötig ist, so ein schwarzes Bild zu zeichnen. Ein paar Ergänzungen meinerseits zu deinen Stichpunkten:
- man aufgrund einer abstrusen „Quote“ nicht zu geschlossenen Events zugelassen wird
Es gibt im Tango einfach deutlich mehr Frauen als Männer. Woran das liegt, darüber nachzudenken wäre sicher nicht verkehrt. Kurzfristig lässt sich das aber halt nicht ändern. Nun gibt es ja genügend Events (Milongas und Festivals), zu denen man sich nicht anzumelden braucht und wo einfach jeder, ob Frau, ob Mann, Profi oder Anfänger, hingehen kann. Nun kenne ich aber auch jede Menge Tänzer, gerade Frauen, denen „gender balance“ wichtig ist, wenn sie teilweise Kontinente übergreifend zu einem Marathon oder Encuentro reisen. Diese Beschränkung führt schließlich dazu, dass Frau wie Mann ein Wochenende lang die gleichen Chancen hat zu tanzen.
· man sich nach Klischeevorstellungen des anderen Geschlechts zu kostümieren hat
Ehrlich gesagt sehe ich dieses Thema nicht. Natürlich ist eine Frau in einem Kleid schön anzusehen, genauso wie ein Mann mit Hemd und Hose und am besten im Anzug. Für mich zeigt das einfach, dass man die Milonga nicht als Kegelabend (nichts gegen Kegelabende) sieht, sondern sich ein wenig Mühe gegeben hat und den Abend und die Gesellschaft wertschätzt. Das heißt nicht, dass jemand der sich lässiger kleidet, das automatisch nicht tut, aber es ist ein Zeichen. Für mich ist es etwas Schönes und Würdevolles.
· es absolut verpönt ist, andere direkt um einen Tanz zu bitten
Das gilt nicht absolut und letztlich für beide Geschlechter in gleichem Maße. Ich würde eher sagen, es wird nicht gern gesehen, wenn man Fremde verbal auffordert. Es entspricht nicht der Sitte auf traditionellen Milongas.
· man sich beim Tanz der Führung des Partners zu unterwerfen hat
Unterwerfung... großes Thema. Dazu gäb es viel zu sagen, zu viel für den Rahmen hier.
· dieser also angeblich die Qualität eines Tanzes bestimmt
Schön wärs ja, die Realität ist aber dass beide Partner die Qualität bestimmen
· man auch als Tangolehrerin besser die Klappe hält, wenn der „Chef“ unterrichtet
Auch das von Paar zu Paar sehr unterschiedlich. Es ist aber auch mein Eindruck, dass meist der Mann mehr Redeanteil hat. Ich glaube aber, dass das im Wandel ist und sich weiter ändern wird.
Beste Grüße
Manuel Frantz
Lieber Manuel,
Löschenvielen Dank für deine Anmerkungen.
Es wird dich nicht wundern, dass ich bei meinen Schlussfolgerungen bleibe:
Ich bezweifle schon einmal generell, dass es inzwischen „im Tango einfach deutlich mehr Frauen als Männer“ gibt. Auf vielen Milongas, die ich besuche, ist das Verhältnis ziemlich ausgeglichen – manchmal sind sogar mehr Männer da.
Wieso der weibliche Ansturm ausgerechnet „quotierten“ Events gilt, liegt vielleicht daran, dass manche Frauen meinen, eine Art „Tanzgarantie“ zu erwerben, wenn es rein rechnerisch aufgeht. Das ist eine Illusion: Immer wieder höre ich, dass es gerade auf solchen Veranstaltungen sehr wichtig ist, zu bestimmten Zirkeln zu gehören. Wenn nicht, kann man auch da ziemlich viel herumsitzen.
Ich bin sicher, die Verhältnisse würden sich von allein regulieren, wenn man auf die erzwungene „Gender Balance“ verzichtete. Wenn es keine „Türsteher“ gäbe, wären manche auch nicht so vernarrt darauf, in gewisse Clubs zu gelangen. Ich sehe da eher selber verursachte Probleme.
Und ich bin felsenfest davon überzeugt: Würde man um das Auffordern – mit Verlaub – nicht so ein „Geschiss“ machen, kämen mehr Tänze zustande. Und eins weiß ich aus Erfahrung: Männer, welche direkt auffordern, kriegen meist keinen Korb, Frauen schon eher.
Ebenso weiß ich von einer Menge Tänzerinnen, dass sie eher zum Tanzen kommen, wenn sie sich nach männlichen Klischeevorstellungen aufbrezeln. Dem galt meine Kritik, und nicht einer passenden Kleidung je nach Event.
Na, und die allein redenden Tanzlehrer: Da gibt es auf YouTube hunderte Videos, in denen man das studieren kann. Auf Änderungen bin ich gespannt…
Auf jeden Fall muss man zur Kenntnis nehmen: Auch argentinische Frauen fühlen sich beim Tango untergebuttert. Daraus kann man sicher unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen und Lösungsvorschläge machen. Leider hast du von deinen nichts gesagt.
Beste Grüße
Gerhard
Dazu schrieb mir Matthias Botzenhardt:
AntwortenLöschenHallo Gerhard,
kurze Anmerkung zu meinem Kommentar an anderer Stelle:
Es handelte sich nicht um eine reine Gedankenlosigkeit, sondern was ich dort schrieb, meinte ich so, WIE ich es schrieb.
„Ich kenne jedenfalls höchstens vier Männer in (…), die diese Stücke wirklich in den Griff bekommen.“
Und zwar in Freiburg und zwar musikalisch. In Freiburg gibt es hingegen eine WESENTLICH größere Zahl von TänzerINNEN, die in der Lage dazu sind, die Tanturi-Milongas musikalisch „in den Griff“ zu bekommen. Eine blödere Formulierung ist mir leider nicht eingefallen.
Aber nochmal – jede/r darf, bzw. SOLL (mit wem auch immer) sehr gerne zu dieser Tanda tanzen – und natürlich auch gerne grandios daran scheitern. Ich möchte jedenfalls auch künftig daran scheitern dürfen (ohne zu befürchten, dass diese Tanda als „untanzbar“ aus dem Kanon gestrichen wird). Es grenzt ja bereits an ein Wunder, dass diese Tanturis ÜBERHAUPT gespielt werden – da es (nach meinem Wissen) keine vierte Milonga mit Castillo gibt.
Abschließend möchte ich mich an dieser Stelle vielleicht einmal (stellvertretend für alle Freiburger Tanzenden) bei den Damen bedanken, die den Tango in Freiburg ÜBERHAUPT erst ERMÖGLICHEN. So gut wie alle Tangoveranstaltungen in Freiburg, werden ALLEIN von Frauen organisiert – oder es wirken zumindest Frauen sehr maßgeblich daran mit.
Viele Grüße,
Matthias
Lieber Matthias,
Löschenvielen Dank für die Ergänzung!
Es hätte sonst vielleicht so geklungen, als ob es eher an den männlichen Tänzern läge, ob eine schwierigere Musik umgesetzt werden kann.
Beste Grüße
Gerhard