Hier irrt Lüders nicht
Es
gab wahrlich Zeiten, in denen ich für meine Ansichten weniger Bestätigung bekam: Ein völliger Außenseiter sei
ich im Tango, ein „Geisterfahrer“, der sich durch seine verqueren Meinungen
sozial isoliere, mit dem sicher keine Frau mehr tanzen wolle…
Und
jetzt? Tränenden Auges lese ich immer mehr
Wortmeldungen, die von mir sein
könnten – ob über Códigos, moderne Tangomusik oder zu einem meiner Standpunkte,
für den ich seit Jahren von „anerkannten Experten“ gescholten werde wie für
keinen anderen: den nach meiner Meinung hierzulande wenig effektiven Tangounterricht.
In
der Zeitschrift „Tangodanza“ läuft
momentan eine dreiteilige Artikelserie des Münchner Gymnasiallehrers und
Neo-DJs Jochen Lüders, in der er
unter dem Titel „Guter Unterricht“ kein
gutes Haar an dem lässt, was ihm selbst in Münchner Tangostudios widerfahren sei – der „schlechte Unterricht“ habe ihn „sprachlos
gemacht“.
Glücklicherweise
nicht endgültig – und so zieht Lüders
gewaltig vom Leder: Der Autor kritisiert „endloses
Herumlabern“ und „großartige Lehrer“,
die lediglich etwas vortanzen und dann „ewig
lang rumquasseln“ würden, „mies unterrichten“ und auf Nachfrage „BABS (Buenos Aires Bullshit)“ von sich
gäben. Er spricht von „Abzocke“, „Quatsch“ und „mangelnder pädagogischer Kompetenz“.
Eines
kann man ausschließen: dass Lüders
aus Sympathie zu mir so schreibt. Schließlich hat er mich von Milongas, in
denen er auflegt, ausgeladen – wegen
meiner „überheblichen und beleidigenden Texte“. Ob er sich nun selber schon Hausverbote Münchner Tangoschulen eingehandelt hat?
Difficile est satiram non scribere…
Difficile est satiram non scribere…
Noch schlimmer jedoch: Der Mehrzahl seiner Gedanken, die er
zum „Frust beim Tango lernen“
veröffentlicht, kann ich nur schärfstens zustimmen:
Eine neue „Figur“
vorzutanzen und dann die Schüler zur Bestätigung des „Abhängigkeits- und Machtgefälles“ erstmal „hilflos rummurksen“ zu lassen, geht
natürlich gar nicht.
Schon ein anderer „Ächzperte“, der legendäre Kevin Seidel, schrieb dazu:
„Also wenn ich da so anfange zu
unterrichten, dann mach ich da gleich am Anfang so ne Figur, die so richtig
fetzt. Also so mit ner Volkskada und nem Planeto.
Das kann niemand ausser mir. Und das mach ich 2 mal vor. Und dann sollense das mal fix nachmachen.
Dann lass ich die so ne zeitlang probieren durch rumstolpern.
(…)
Das kann niemand ausser mir. Und das mach ich 2 mal vor. Und dann sollense das mal fix nachmachen.
Dann lass ich die so ne zeitlang probieren durch rumstolpern.
(…)
Und dann sindse ganz klein. Und
gedemütigt. Das ist prima. Weil, es dann im Unterricht keine Widerworte mehr
gibt, wenn ich kommandiere.
(…)
Dann schnapp ich mir jede von den Lernmiezen einzeln. Und mach mit denen halt die Figur oder sowas ähnliches.
Danach haben alle Miezen Schmacht auf mich. Und bezahlen müssen die dafür auch noch.“
(…)
Dann schnapp ich mir jede von den Lernmiezen einzeln. Und mach mit denen halt die Figur oder sowas ähnliches.
Danach haben alle Miezen Schmacht auf mich. Und bezahlen müssen die dafür auch noch.“
Teilbewegungen isoliert üben zu lassen, ohne dass man den
Gesamtzusammenhang erkennt, erscheint ebenso wenig hilfreich. Und Lüders kritisiert mit vollem Recht,
dass die meisten Tangolehrer viel zu
viel reden (bei Paaren vor allem der männliche Part): Die Steinzeit-Methodik „vortanzen, quasseln, nachmachen lassen“ habe ich wahrlich schon oft kritisiert.
Mit meinem
Münchner Kollegen bin ich ebenfalls der Meinung, es werde im Tangounterricht zu häufig und vielfältig korrigiert:
Auf bis zu sieben Dinge gleichzeitig,
so schildert Jochen Lüders seine
traumatischen Erfahrungen, habe er während des Tangounterrichts schon achten
sollen! Ebenfalls zutreffend seine Schlussfolgerung: Der Lehrer muss ein gutes
Auge haben und erkennen, worin die Hauptschwäche
besteht und sich auf diese beziehen (meistens, auch da hat er recht, sind es
Achsen- und Balanceprobleme).
Auch stilistische Vielfalt kommt in den
Tangokursen viel zu kurz: Eine Variation der Weite von Umarmungen je nach
Musikart beispielsweise wäre sicherlich vorteilhafter – ich stimme dem
Autor völlig zu.
Ebenso oft
schon habe ich – wie er jetzt – gefordert, Musikalität
im Tanzen müsse von der ersten Stunde an ein Thema sein. Ich gehe da sogar
einen Schritt weiter und mute bei unseren Practicas auch Anfängern fallweise „schwierigere“
Aufnahmen zu. Das fördert nämlich von vornherein das aktive Hinhören anstatt eines Einzählens, dem Lüders leider eine zu große Bedeutung zumisst.
Aber nachdem
es früher bei ihm hieß: „KEIN Piazzolla & Co“, erwähnt er in seinem Text nun zweimal positiv des Meisters
Komposition „Oblivion“. Das lässt
doch hoffen!
Über manche seiner
Behauptungen mag man streiten: So halte ich nach wie vor „richtig“
und „falsch“ für Killer-Vokabeln, mit denen man seine
Schüler nur in Angst und Schrecken versetzt. Klar ist „anything goes“ das andere sinnlose Extrem, aber jeder Mensch hat
halt ein anderes Bewegungsmuster,
das man als Lehrer begleiten, nicht aber zugunsten der „einen, richtigen Aktion“
planieren sollte. Freundliche Anregungen motivieren – abtörnende Klassifizierungen in „verboten“ und „erlaubt“ dagegen
haben wir im Tango wahrlich genug!
Insgesamt
riecht es in dem Artikel schon ein wenig nach Umkleideraum, Magnesia und „korrektem
Felgaufschwung“, aber das ist bei einem Sportlehrer wohl nicht anders zu erwarten
– in seiner Selbstbeschreibung heißt
es ja, dass er seit über 30 Jahren nicht nur Englisch und Sport, sondern auch „Tanz“
unterrichtet (Tango wird es nicht gewesen sein).
Aber im
Ernst: Kapitelüberschriften wie „Demonstration
einer neuen Figur“ und „Üben einer
neuen Figur“ zeigen, dass er noch sehr den traditionellen Vorstellungen von
Tanzunterricht verhaftet ist. 15 Paare, also Schulklassen-Stärke, hält er für
die maximal zumutbare Größe von Tangokursen. Doch eine Betätigung, der man wegen der Schulpflicht oder eines Abschlusses nachgeht, unterscheidet sich himmelweit von einer freiwilligen Freizeitbeschäftigung mit einer künstlerischen Tätigkeit!
Meines
Erachtens ist Ersteres für das Erlernen einer Bewegungssprache wie Tango argentino
ein überlebtes Konzept – und zudem
angepasst an das europäische Tanzschul(un)wesen. Aber die Argentinier haben es uns doch schon vor fast 100 Jahren vorgemacht, dass es
anders viel besser geht: In Practicas,
durch direkten Kontakt zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen, kommt man
weitaus schneller zum Ziel!
Wir
probieren das ja derzeit bei unseren „Wohnzimmer-Practicas“
– und die Resultate übertreffen selbst meine kühnen Erwartungen. Und da wir –
im Gegensatz zu Jochen Lüders – von Aussperrungen im Tango nichts halten,
ist er natürlich herzlich eingeladen,
sich einmal vor Ort zu überzeugen. Vielleicht schreibt er dann noch einen
vierten Artikel seiner Serie. Ob der dann positiv oder „überheblich und beleidigend“ ausfällt, wäre mir persönlich
egal – so lange er der Wahrheitsfindung dient…
Daher halte
ich es für sehr verdienstvoll, dass sich nun ein weiterer Autor mit der desaströsen Situation im derzeitigen
Tangounterricht befasst. Und eines kann man Lüders und Riedl nicht absprechen: Sie sind halt gelernte Pädagogen mit über 30 Jahren
Berufserfahrung. Es wäre hilfreich, wenn Tangolehrer diesen Background nutzten,
anstatt sich weiterhin per Anschweigen
in der Wagenburg ihrer „authentisch argentinischen“ Methodik zu verschanzen.
Diskussionen würden weiter führen als das hochnäsige Ignorieren vermeintlicher „Außenseiter“.
P.S. Auf der Seite nach diesem Artikel findet sich in der „Tangodanza" eine Reaktion auf den ersten Teil der Lüders-Serie aus der Feder des Tangolehrers Arthur Bay. Auch wenn er darin Jochen versehentlich als „Jürgen“ anspricht und kaum auf dessen Text eingeht, sondern weitgehend von sich und seinen Unterrichtsmethoden spricht: ein Anfang ist gemacht! Das veröffentlichte Tanzfoto des Lehrerpaars allerdings zeigt, dass man sich in unserem Alter nur in Posen hineinbegeben sollte, aus denen man ohne krankengymnastische Unterstützung auch wieder herauskommt…
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