Der Doppelname schlägt zurück
Das Hohe Grobgünstige
Narrengericht zu Stockach, kurz Stockacher Narrengericht, ist eine
traditionelle, jährlich am „Schmotzige Dunschtig“ in Stockach stattfindende
Veranstaltung der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, bei der eine
Persönlichkeit aus der Landes- oder Bundespolitik „angeklagt“ wird. Das
Brauchtum geht auf die „Schlacht am Morgarten“ im Jahr 1315 zurück. Der Hofnarr
des habsburgischen Herzogs Leopold, Kuoni, soll vor der Schlacht geraten haben,
man solle nicht darüber reden, wie man zum Schlachtplatz hinkommt, sondern wie
man wieder herauskommt. Für den guten Rat versprach der Habsburger dem Kuoni
ein Privileg für dessen Heimatstadt Stockach. 1351 soll der habsburgische
Herzog Albrecht das Privileg schließlich ausgestellt haben. Es besagt, dass die
Stockacher „zwischen Lichtmeß und Lätare“ selbst regieren dürfen.
Wie
die Dinge doch zusammenhängen: Kaum wurde der Komiker Bernd Stelter von einer Weimarer Steuerberaterin auf offener Bühne
gemaßregelt, weil er über die CDU-Vorsitzende einen Doppelnamen-Witz gerissen
hatte, kriegt nun auch Annegret Kramp-Karrenbauer
ihr Fett ab.
In
ihrer „Verteidigungsrede“ beim „Stockacher
Narrengericht“ am letzten Donnerstag sagte sie unter anderem:
„Und dann – und das
ist ja wohl der Gipfel – wird uns Frauen vorgeworfen: Selbst ist die Frau. Ja,
natürlich ist die Frau selbst! Weil sie es sein muss! Guckt euch doch mal die
Männer von heute an. Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht
ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte
Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie
noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür dazwischen ist
diese Toilette."
Die
inzwischen bestens geübte deutsche Empörungskultur
lieferte (unter Ignorierung der vier einleitenden Sätze) konfektionierte Vorwürfe:
„Annegret
Kramp-Karrenbauer zeigt, welcher erzkonservative Wind jetzt wieder in der Union
weht. Solche Äußerungen – auch an Karneval – sind absolut respektlos“, twitterte
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
„Wieder so ein Tag
zum Fremdschämen... Ist es so schwierig, eine humorvolle Narrenrede zu halten,
ohne platt auf Minderheiten einzudreschen?“, so der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Brandenburg, Fraktionssprecher für
die Anliegen von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-
und Intersexuellen (LSBTI).
„Hallo Frau
Kramp-Karrenbauer, haben Sie es wirklich nötig, für einen billigen Kalauer sich
auf Kosten von inter- und transsexuellen Menschen lustig zu machen? Wenn ja,
dann wäre das wahnsinnig peinlich.“ In einem offenen Brief forderte Jens Lehmann („Sprecher für
Queerpolitik“ in der grünen Bundestagsfraktion) eine Entschuldigung.
Der
Berliner Kultursenator Klaus Lederer
(Linke) sprach von einem „Trauerspiel“.
„Die Vorsitzende der größten
Bundestagspartei findet es lustig, auf Stammtischniveau am Karneval Menschen zu
denunzieren, die nicht der geltenden Machonorm entsprechen. Ein Jammer.“
Immerhin
hat wenigstens der linke Kultursenator den Witz halbwegs verstanden: Er
richtete sich ja nicht etwa gegen Menschen mit „diverser“
Geschlechtszugehörigkeit, sondern attackierte einen weichgespülten Politikertyp, dessen Schielen nach modischen Mehrheiten, Reform-Esoterik und pseudo-erregter Skandalisierung vor
keinem Scheißhaus Halt macht.
In
das Empörungs-Trara stimmte natürlich auch ein Teil der Presselandschaft wie
der Berliner „Tagesspiegel“ ein. „Die Würde des Menschen gilt auch im
Karneval“, so titelte die Leiterin des dortigen Ressorts „Meinung/Causa“,
Dr. Anna Sauerbrey (den Kalauer
verkneife ich mir tapfer):
„Ist der Karneval
eine Art Ausnahmezone, in der die Regeln des demokratischen Diskurses nicht
gelten, etwa das Diskriminierungsverbot?
Die Antwort ist
einfach: Nein, es darf keine Ausnahmen geben. Es darf – auch nicht zeitlich
begrenzt und unter erhöhtem Pegel – keine Zonen geben, in denen es in Ordnung
ist, sich über sexuelle oder ethnische Minderheiten lustig zu machen oder sich
sexistisch oder rassistisch zu äußern. Auch im Karneval muss die Würde des
Einzelnen geschützt werden. Oder besser: Gerade im Karneval und gerade gegen
das Schenkelklopfen im Alkoholdunst, gegen die chauvinistischen Reflexe von
angeschickerten Trinkbrüdern und -schwestern, gegen ihren verqueren Humor und
ihre Herabsetzungsgelüste. Die Würde des Menschen ist ein absolutes Gut, es
muss gerade dort durchgesetzt werden, wo es schwierig ist.“
Nein,
verehrte Frau Dr. Sauerbrey, das Grundgesetz gilt meines Wissens ganzjährig – die Menschenwürde ebenso wie die Presse-
und Kunstfreiheit. Nicht vorgeschrieben ist, aber wünschenswert wäre eine
saubere journalistische Recherche.
Dazu würde gehören, sich die gesamte
Rede der Politikern sinnentnehmend anzuhören (das inkriminierte Zitat beginnt
ab 19:30):
Die
Ansprache ist nach meinem Urteil geschliffen,
geistreich sowie niveauvoll, überzeugend vorgetragen und übersteigt so die üblichen karnevalistischen
Maßstäbe um Grade. Zudem stellt sie ein derartig glänzendes Plädoyer für mehr weibliche Mitbestimmung
dar, wie es selbsternannten Feministinnen wohl auch gerne einmal gelungen wäre.
Hierzu
lediglich den üblichen „Antidiskriminierungs“-Reflex
aus dem Rückenmark abzurufen, ist
erbärmlich und hat weder mit Journalismus noch mit Politik zu tun.
Nebenbei:
Dass die Fastnachts-Rednerin Markus
Söder höchstpersönlich als Macho beschrieb, ist natürlich gendermäßig völlig in Ordnung, ja sogar eine Pflichtübung! Da schweigt die Berliner
Empörungskultur…
Klar, die CDU-Vorsitzende ist seit ihrer (für mich durchaus vertretbaren) Ablehnung der „Ehe für alle“ in das
Visier der Gender-Polizei geraten.
Die eigentliche Grundlage des Konflikts hat sie übrigens in ihrer Rede
angesprochen. Zur Verteidigung der Saarländer sagt sie:
„Und, das dürft ihr
nicht vergessen, wir sind die Einzigen, die Widerstand leisten – bei all den
Gesinnungs-Grünen, die hier herumschwirren, denen, die uns die Lust am Leben
verderben, die uns erklären: Wer Diesel fährt oder Fleisch isst, sei ein böser Mensch.“
Anschließend
lobt sie noch – trotz Holzkohle, Feinstaub und Nitrosaminen – den saarländischen Spießbraten („Schwenkbraten“),
natürlich ohne Salat… Skandal!
Wahrlich,
das weiß ich vom Tango: Mit nichts
kannst du Ideologen so gegen dich
aufbringen wie mit einer Mischung aus Bodenständigkeit,
bürgerlicher Grundvernunft und Lebenslust. Die warten dann natürlich
auf den nächsten Satz, an dem man sich erregungsmäßig hochziehen kann. Aber: Sei glücklich – damit ärgerst du sie am meisten!
Was wirklich schlimm ist: Ich muss wahrscheinlich, als eingefleischter Sozi, bei der nächsten Bundestagswahl meine Stimme Andrea Nahles geben… das Leben ist hart
und ungerecht! Wobei ich mir früher durchaus hätte vorstellen können, mal die Grünen zu wählen – inzwischen nicht mehr: Das moralinsaure Weihrauch-Geschwenke und das Herumreiten auf Dogmen kenne ich noch vom Katholizismus meiner Jugendjahre.
Die
Satire beginnt – erstmals nach 1945 –
wieder wirklich riskant zu werden:
Worüber darf man noch Witze reißen? Böse Schwiegermütter, dusslige Blondinen, verzogene
Blagen und rückständige Senioren sind doch hoffentlich Minderheiten! Genießen sie deshalb schon Schutz vor dem Auslachen? Oder fühlen sie sich erst recht diskriminiert, wenn man sich über sie nicht mal mehr amüsieren darf? Bekommen wir demnächst wieder politamtliche
„Geschmacks- und Formulierungsberater“
wie die geplagten Kabarettisten in der ehemaligen
DDR, welche dort ihre Manuskripte zur „Abnahme“ vorzulegen hatten?
Vulgo:
Sind wir eigentlich noch zu retten?
Glücklicherweise jedoch lassen sich Witze die Themen nicht vorschreiben – und wenn man welche verbietet, steigert das ihre Wirkung.
Glücklicherweise jedoch lassen sich Witze die Themen nicht vorschreiben – und wenn man welche verbietet, steigert das ihre Wirkung.
Die
stehenden Ovationen der Zuhörer in
Stockach (die ja die gesamte Rede erlebt hatten) beweisen: Die Menschen lassen sich mehrheitlich nicht verbieten,
worüber sie wie heftig lachen wollen oder
was sie schlicht für bescheuert
halten. Und das (und nicht nur Homosexualität) ist gut so.
Daher
lasse ich mir auch den Abschluss-Gag
nicht vermiesen, den ich neulich auf Facebook-Seite von Tom Opitz gelesen habe (herzlichen Dank, you made my day):
Romantische Tanzszene – sie himmelt ihn
an: „Ohhh… Undress me with your
words.“ Darauf er: „There’s
a spider in your bra.“
Cave:
Der Witz ist in doppelter Weise sexistisch, da
er sowohl Frauen als unterwürfige Sexobjekte als auch Männer (selten tanzend, daher Minderheit) als gefühllose
Machos darstellt, welche zudem Damen in den Ausschnitt gucken. Weiterhin
besteht der Verdacht auf Tierquälerei – und sollte die Spinne auch noch einen
Doppelnamen haben…P.S. In ihrer Aschermittwochs-Rede in Demmin nahm Annegret Kramp-Karrenbauer genau nichts zurück. Hurra! Und siehe da: Der „Tagesspiegel" rudert zurück: „Dass Kramp-Karrenbauer die Intersexuellen beleidigen wollte, kann man allerdings ausschließen." Na, geht doch...
https://www.tagesspiegel.de/politik/kramp-karrenbauer-entschuldigung-kommt-nicht-in-frage/24074690.html
Heute erreichte mich eine private Anfrage zu meiner Bemerkung, als „eingefleischter Sozi“ müsse ich schlimmerweise meine Stimme bei der nächsten Bundestagswahl Andrea Nahles geben. Ob ich mich als Parteimitglied dazu verpflichtet fühle? Und ob nicht die SPD die Werte, wegen der ich einst eingetreten sei, längst „verraten“ habe?
AntwortenLöschenHier meine Antwort:
Schwierige Fragen…
Also: Ich bin 1980, als junger bayerischer Beamter, in die SPD eingetreten. Etliche meiner Kollegen und Freunde sind da eher zur CSU, weil sie sich damit Hilfe bei der Karriere versprachen. Einer fragte seinen Chef sogar: „Reicht es, wenn von uns einer in der CSU ist, oder sollte meine Frau auch beitreten?“ Das war für mich konkret der Anlass, zur SPD zu gehen. Allerdings bin ich bis heute ein sehr inaktives Mitglied, das keine Parteiversammlungen von innen kennt. Deshalb bin ich vielleicht auch immer noch dabei…
Ich gehöre zu der Generation, welche natürlich Willy Brandt verehrte. Mein Beitritt fiel aber in die Zeit, als Helmut Schmidt regierte. Der wird zwar heute hoch gepriesen, damals jedoch galt er (in der Endphase seiner Regierung) als eher wenig „sozialdemokratisch“ (siehe z.B. „Nato-Doppelbeschluss“).
Und der Spruch „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ stammt bekanntlich aus der Anfangsphase der Weimarer Republik. Damals galt Friedrich Ebert als „Arbeiterverräter“, weil er sich weigerte, mit den Spartakisten eine Räterepublik einzuführen und sogar Militär gegen aufständische Arbeiter einsetzte.
Und mein Vater und sein Bruder haben schon mit ihrem Vater (aktiver Gewerkschafter) hitzige Debatten um genau diese Frage geführt. Ein Satz meines Opas hat mich wohl mehr überzeugt als alle Tagespolitik: „Wir wollen doch gar nichts für uns. Wir möchten nur, dass es euch einmal besser geht.“
Der andere Großvater (eher passiver SPDler) verlor seine Stellung, als die Nazis ins Sudetenland einmarschierten. Und man hat ihn als relativ alten Mann noch zum Militär eingezogen, weil er sich weigerte, Kollegen zu denunzieren.
Dies sind Haltungen, welche ich am ehesten mit dieser Partei verbinde. In ihrer 150-jährigen Geschichte hat die SPD nie einen Krieg angefangen oder eine Diktatur unterstützt. Als einzige deutsche Partei (außer der damals schon aufgelösten KPD) lehnte sie 1933 das Hitlersche Ermächtigungsgesetz ab. Und bei allem Gedöns, das man heute um Hartz IV und anderes macht: Es war die SPD, welche die Sozial- und Arbeitslosenversicherung, das Frauenwahlrecht und anderes einführte, was uns heute so selbstverständlich ist.
Mit „Tagespolitik“ hat meine Haltung daher wenig zu tun. Aber gelegentlich finde ich auch dort Entscheidungen, die mich durchaus darin bestätigen, Sozi zu sein. Der Mindestlohn ist nur ein Beispiel.
Ob ich Andrea Nahles wählen „muss“? Glücklicherweise kann ich das gar nicht: Ich darf mich bekanntlich für einen Wahlkreiskandidaten (Erststimme) sowie für Bewerber auf einer bayerischen Landesliste (Zweitstimme) entscheiden. Alternative wäre die CSU, nicht die CDU. Und da fällt mir die Entscheidung leicht. Aber klar: Wahlen sind frei und geheim und daher nicht von einer Parteimitgliedschaft abhängig.
Ich hoffe, ich habe damit die Fragen beantwortet.
Herzliche Grüße
Gerhard