Don’t be that way
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
wenn es nicht aus der Seele dringt
und mit urkräftigem Behagen
die Herzen aller Hörer zwingt.
wenn es nicht aus der Seele dringt
und mit urkräftigem Behagen
die Herzen aller Hörer zwingt.
(Goethe: Faust I)
Ich
weiß schon, bei mir wird es nix mehr mit
dem Tango. Erst kürzlich musste ich mich wieder mal dem gestrengen Casting-Interview eines ergrauten
Tango-Urgesteins stellen:
„Ist er ein
Top-Tänzer? Ist er Musikkenner? Ist er ein anerkannter Musikkritiker? Was
zeichnet ihn denn als besonderen Kenner des Tangos aus? Er kann vielleicht ein
paar szenetypische Zusammenhänge, Missstände und Eigenarten der Protagonisten
satirisch, und ich muss zugeben, manchmal auch sehr treffend, beschreiben, aber
ich spreche ihm keine besonderen Kenntnisse als Tänzer, als DJ oder Kritiker
dieses Genres zu. Alles, was er beschreibt, sind seine persönlichen Meinungen
und Erfahrungen dazu.“
Erstaunlich,
wie ich mir in der viel zu kurzen Zeit von 20 Jahren einen „Experten-Status“ erschwindelte, welcher mir natürlich mangels genügender Fähigkeiten
überhaupt nicht zusteht:
„Es ist allerdings
interessant, wie schnell in der Tangoszene nach nur kurzer Zeit der
Beschäftigung mit der Sache so schnell Fachleute entstehen. Da mutieren
Menschen nach nur relativ kurzer Zeit der Beschäftigung mit dem Thema zu
reinsten Fachleuten in allen Gebieten des Tangos und können plötzlich mit allen
Themen mitreden. Manche davon schreiben sogar Bücher.“
Und
das, obwohl ich es selber nicht kann:
„Da es beim Tanzen
auch über die Interpretation der Musik geht, sollte beim Kritiker die Fähigkeit
der musikalischen Interpretation vorhanden sein. In einem Video, das Sie stolz
in einem Ihrer Beiträge als Beleg der ‚Tanzbarkeit‘ eines Tangostücks
veröffentlich haben, erfüllen Sie sichtbar diese Voraussetzungen nicht.“
Ein
Trost: Wenn ich unbedingt wolle, dürfe
ich weiterhin zu Tango nuevo auf dem
Parkett umhereiern – und dies sogar subjektiv, obwohl den Experten Augen und
Ohren tränen, als „Tanzen“
bezeichnen:
„Es steht jedem
Tänzer offen, sich mit Piazzolla zu outen und die Tanzbarkeit dieser Musik
unter Beweis zu stellen. Im Allgemeinen hält jedoch meiner Erfahrung nach
meistens die Qualität einer Überprüfung durch ein ästhetisch geübtes Auge bzw.
musikalisch geschultes Ohr nicht stand.
(…)
Natürlich kann jeder
dazu machen was er will. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, und jeder
kann es subjektiv ‚Tanzen‘ nennen. Ich könnte auch auf einer Blockflöte
rumblasen und es Musik nennen, solange bis…“
Oder
auf der Klarinette… Wie es der
Zufall will, habe ich mich gerade den Film „The
Benny Goodman Story“ (1956) angesehen:
Mir
ist schon klar, dass einiges in dem Streifen verkitscht ist und nicht mit der
wahren Biografie übereinstimmt. Doch
darum geht es mir nicht.
Was
mich fasziniert, sind die tiefen kulturellen
Gräben, welche der „King of Swing“
immer wieder überwinden musste. Sein erster Klarinettenlehrer bildete ihn
selbstredend klassisch aus, und als der junge Benny in einer Jazzband mitspielen wollte, fiel der Satz:
„No,
Benny! Not that rag time! Don’t be that way!”
Ebenso
skeptisch war man in der E-Musik-Szene, als Goodman
sich später an Mozarts
Klarinettenkonzert sowie Klarinettenquintett (KV 622 bzw. 581) wagte: „Mach das bloß nicht“ – „Don’t be that way“!
Swing
als glattgebügelte, brave Nur-Tanzmusik?
Auch von dieser „EdO“ entfernte sich
der Klarinettist zunehmend. Er wollte „hot“
spielen, das Schwarze am Jazz seinen weißen Landsleuten nahebringen – und auch
mit farbigen Musikern auftreten (was damals verpönt war): „Don’t be that way!“
So
erreichte Goodman schließlich – auch nach
Misserfolgen – zwar nicht die Gehirne mancher Experten, aber die Herzen junger Menschen, die offenbar auf genauso eine Musik gewartet hatten.
Und
er wagte eine weitere Grenzüberschreitung,
als er 1938 in der fast ausschließlich der ernsten Musik geweihten Carnegie Hall sein umjubeltes Konzert
gab. Der Auftritt mit Jazz-Legenden wie Harry
James, Count Basie, Teddy Wilson, Gene Krupa und Lionel Hampton gilt heute als Meilenstein
der Jazz-Geschichte. Und er war ein großes Wagnis, da Jazz in der „höheren Gesellschaft“ immer noch als anrüchig galt. So sagte Harry James vor dem Betreten der Bühne: „Ich
fühle mich wie eine Hure in der Kirche.“
Tja, so würde sich wohl Astor Piazzolla heute am Eingang eines Encuentros auch fühlen…
Hier noch meine Lieblingsmelodie aus dem Film:
„Don’t
be that way“… das kenne ich selber sehr gut, beispielsweise von
der Zauberei. Meine Entscheidung, Klassiker zu vorzuführen anstatt jedem
neuen Schnack hinterherzulaufen (wie untypisch für mich…), überzeugte die
meisten Kollegen in der Szene überhaupt nicht. „Lass doch die ausgeleierten Ringe“ musste ich mir von einem
arrivierten Zauberfreund anhören, als ich das „Chinesische Ringspiel“ zur zentralen Nummer meines Programms
machte – lange Zeit übrigens zu einer Aufnahme des Benny Goodman-Quartetts: „Memories
of you“.
Nach über 1000 Auftritten, bei denen ich dieses
Kunststück an die 800 Mal zeigte, kann ich sagen: Auch ich habe damit die Herzen des Publikums, bis heute jedoch nicht
die Hirne magischer Experten
erreicht. Aber die Frage vieler Zuschauer
„Sie zeigen doch hoffentlich wieder das mit den Ringen?“ ist mir
Bestätigung genug…
Und als ich bei unserer ersten öffentlichen Milonga klopfenden Herzens auflegte, kam die kalte Dusche schon nach einer Stunde: „Wir
haben im Auto ein paar CDs mit richtigem Tango. Sollen wir die holen?“, so
ein metropolen-verwöhntes Tanzpaar. Dennoch hatten wir im Schnitt zirka 35
Gäste, und auch heute noch ist unser Wohnzimmer
ziemlich voll. Und solange es Gäste gibt, die meine Musik zum Tanzen animiert,
werden wir weiterhin dazu einladen.
Und jetzt will ich euch mal was sagen, geschätzte Fausens,
Frantzens, Wendels, Da Capos, Cassiels oder welchen Namen ihr auch immer
missbraucht: Ich werde weiterhin in meiner
Art und zu der von mir geschätzten
Musik tanzen, ohne vorher bei hochmögenden
Fachleuten untertänigst um eine Zertifizierung der „Tanzbarkeit“ oder des „authentischen
Tangos“ einzukommen!
Das Qualitätsurteil, dass ich dabei künstlerisch wertlosen Müll produziere,
nehme ich gefasst zur Kenntnis – insbesondere von Menschen, welche in der
Herzgegend ersatzweise über ein gut sortiertes Schubladen-Schränkchen
fein sortierten Fachwissens verfügen.
Jeder künstlerisch Tätige muss sich in erster Linie
fragen, ob das, was er treibt, für ihn
so passt: „Wenn ihr’s nicht fühlt…“ Und er sollte spüren, ob er
damit die Herzen der Menschen
erreicht und nicht die Gehirne von Taktzahl-Zählern und Diskografie-Sammlern. Und vor allem: Dass er es einfach genauso tun muss!
Und solange ich mit einigen meiner (zahlreichen) Lieblingstänzerinnen noch einen
wunderbaren Flow erreichen kann,
wenn ich „verrückt, verrückt“ zur „Balada para un loco“ übers Parkett
wirble, dürft ihr inzwischen – weil das für euch wohl eh unverständlich ist – die vorschriftsmäßigen Tandas mit dem identischen
Sänger zum selben Orchester zusammenstellen! Schon wegen des damaligen
Frauenmangels dürfte ja jede Form der Onanie
zum traditionellen Tango gehören…
„Don’t
be that way?“ Doch, schon deshalb grade! Und:
I do it my way...
I do it my way...
Es war sicher eine programmatische Ansage Benny Goodmans, ein Stück, das er
zusammen mit Edgar Sampson und Mitchell Parish schrieb, so zu
betiteln und damit sein Carnegie
Hall-Konzert zu eröffnen:
Der in meinem obigen Beitrag zitierte Klaus Wendel hat nun auf Thomas Kröters Blog nochmals geantwortet. Da er es offenbar vorzieht, bei mir lieber nicht mehr zu kommentieren, erlaube ich mir, seinen Beitrag hier (rechtschreibkorrigiert) zu veröffentlichen:
AntwortenLöschenBevor wir uns hier in einer Endlosschleife des „letztes-Wort-haben-Wollens” befinden, möchte ich noch einen letzten Kommentar loswerden.
Mein ursprüngliches Motiv, hier zu schreiben, ist eigentlich meine Meinung über Tangomusik im Allgemeinen, über Entwicklungen und Tendenzen der heutigen Livemusik, Vor- und Nachteile mitzuteilen und mit anderen zu diskutieren. Der ursprüngliche Artikel von Thomas über „Lieber lebend.…” Livemusik ist wieder mal in einer Hick-Hack-Diskussion zweier, drei (oder gar vier?) “zotiger, unbelehrbarer Rentner” über das ewige Thema „Tanzbarkeit” versandet.
Bei zweien, übrigens beides Blogger, entdecke ich jedoch Empfindlichkeiten, wenn man deren Meinung nicht teilt. Von Dir, Thomas, wird mir Polemik anhand des von mir eingestreuten Wortes N-U-R vorgeworfen, als wenn dieser Satz ohne dieses Wort inhaltlich völlig anders wäre. Also lassen wir mal dieses Wort weg und lesen es neu: Was dann?
Außerdem heißt es: „Wer widerspricht, dem mangelt es an musikalischem Sachverstand“ – dabei hatte mir im Ablauf dieser Diskussion noch niemand widersprochen. Auch wenn ich in meinem ersten Beitrag Thomas Kröter mangelnden Sachverstand vorwerfe, weil dieser nicht zwischen der musikalischen Qualität unterscheide und dies auch noch ausgiebig argumentiert habe, kommen keine darauf eingehenden Gegenargumente zu meinen, sondern als Kritik allgemeine Beurteilungen meiner Person, die aus meiner Biographie hervorgehen sollen und, ich zitiere: „Papst Klaus, der dreiviertel vor Zwölfte. In Fragen des Tango-Glaubens liefert er die Wahrheit ex cathedra und frei Haus.”
Mögen meine Argumente auch mit einer gewissen Verve geschrieben worden sein, so habe ich aber immer versucht, diese argumentativ zu untermauern. Apropos Polemik… Gerhard Riedls letztes Zitat: „Für mich ist ‚Tanzbarkeit‘ ein Kampfbegriff, der lediglich dazu dient, im Tango Menschen mit einem anderen Musikgeschmack abzuschrecken und die eigene Überzeugung zu verabsolutieren. Man kann ihn ebenso wenig objektiv definieren wie ‚Kunst‘.“
Meine dazu passende Analogie „Piazzolla-tanzen ist also ein Fettstuhl”– das wäre Polemik. Aber mein in einem anderen Blogbeitrag ausgiebig gelobter Beitrag über „Tanzbarkeit” in http://kroestango.de/aktuelles/tanz-den-piazzolla/ und meine Aufforderung zur Versöhnlichkeit bzw. zumindest die auf diesem Beitrag aufbauende Argumentation scheint zumindest bei G.R. und T.K. völlig in Vergessenheit geraten zu sein.
Aber meine Konsequenz ist – auch auf Wunsch anderer Leser dieses Blogs – in Zukunft meine Texte eigenständig in Facebook zu veröffentlichen anstatt als Antwort auf Beiträge. Dies ist kein Abzug in eine Schmollecke, sondern der Empfindlichkeit eines Bloggers geschuldet, denn argumentativ „austoben“ kann ich mich hier offensichtlich nicht.
Liebe Grüße und viel Spaß beim Tanzen jeglicher Musik wünscht… Klaus Wendel (der Viertel vor Zwölfte)
Quelle: http://kroestango.de/aktuelles/lieber-lebend/#comments
Lieber Klaus Wendel,
Löschendu hast dich nun – nicht nur auf Thomas Kröters Blog – schon wahrlich genug „argumentativ austoben“ dürfen (ich erinnere beispielsweise an deine Forderung, mich aus einer Facebook-Gruppe zu werfen) – und darfst es gerne auch weiterhin.
Eine Konsequenz der freien Meinungsäußerung ist allerdings, für die Scherben, welche man verbal angerichtet hat, auch kritisiert zu werden.
Ein guter Rat hierzu wäre, bei Ansichten gelegentlich zu betonen, dass sie nur subjektiv sind und man keine experten-päpstlichen „Wahrheiten“ verkündet.
Für mich klingt der Tonfall, mit dem du andere auf ihre „Kompetenzen abklopfst“, ziemlich anmaßend – oder deine Ansicht, wer zu einem anderen künstlerischen Urteil gelange, dem mangele es an „musikalischem Sachverstand“. Es macht sich ebenfalls nicht gut, dem Gegner gleich mal zu attestieren, er habe ungenügende tänzerische Fähigkeiten.
Dem Diskussionspartner mangelndes Wissen und Können zu bescheinigen, verschärft jede Debatte. Wenn du dir auf diese Weise Reaktionen einholst, welche nach meiner Sicht eher maßvoll waren, solltest du dir mal überlegen, wie es anders herum wäre: Wenn wir befinden würden, du hättest halt keine Ahnung von dem, worüber du schreibst.
Im Gegenteil haben wir schon öfters deine große Erfahrung im Tango gewürdigt. Zu Kniefällen verpflichtet uns diese allerdings nicht.
Beste Grüße
Gerhard Riedl