Es wird
langsam eng für eine gewisse, im Tango lange kultivierte Männertype – speziell auf
den „angesagten“ Großstadt-Milongas: In der Facebook-Gruppe „Tango München“ nagelte gestern eine spürbar
angefresssene auswärtige Tänzerin ihre Proklamation
an die Tempeltüren:
„Ich erlaube mir jetzt,
einen Gedanken-Anstoß für alle Tango Freunde (männlich und weiblich) zu posten:
Ich war beruflich eine
Woche im wundervollen München und hatte mich schon sehr auf den Tango dort
gefreut...
Leider hatte ich es am
Ende nur auf 2 Veranstaltungen geschafft.
Dank meiner Szenen-Insider
Tipps waren es jedes Mal wirklich wunderschöne Locations, wirklich tolle Musik
und nette Bekanntschaften (vor allem weibliche)
...Aber was ist los mit
den Münchner Tänzern (Leadern)??? Werden fremde Frauen nicht aufgefordert?
Niemand erwartet sich, dass den ganzen Abend lang auf die Lieblings-Tänzerinnen
verzichtet wird, um mit Fremden zu tanzen... Aber mal eine Tanda?
Ich bin der Meinung,
wenn man in der Tangoszene schon Wert legt auf diese klassischen/veralteten (wie
man es sehen will) Verhaltens-Regeln, dass MANN auffordert, dann soll er es
auch tun... was aber auch bedeuten sollte, dass er (bzw. alle Männer) auch die
Verantwortung haben ihre Komfortzone zu verlassen, um auch FREMDE weibliche
Gäste sich willkommen fühlen zu lassen und sich für eine ‚Risiko-Tanda‘ zu ‚opfern‘.
(Zur Erinnerung: Das ‚Risiko‘ besteht ja auch für die andere Seite)
Wenn das aber keine
Option ist, dann sollte ein Umdenken bezüglich der ‚Benimm-dich Regeln‘
stattfinden. Dann sollte auch das Auffordern von weiblicher Seite zur Regel
werden, was ja bisher meistens nur unter Freunden oder maximal Bekannten gern
gesehen ist. Sonst ja meines Wissens eher nicht...
Überlegt mal... Wenn
man als Mann alleine auf eine Milonga geht, bei der man niemanden kennt, hat
man automatisch den Freibrief, jede Person aufzufordern, die man möchte. Als
Frau, die alleine auf eine Milonga geht, hat man nur die Möglichkeit, zu warten,
bis man aufgefordert wird... Würden hier die ‚Gesellschafts-Regeln‘, auf welche
die Tangueros ja allzu gerne pochen, nicht auch verlangen, dass die Männer sich
allgemein um das Wohl der wartenden Frauen kümmern?
Und wäre der Tango
nicht eigentlich auch ein SOCIAL DANCE wie die anderen Tänze? Mir fehlt leider
oft die ‚Social Komponente‘.
Es ist, glaube ich,
schon einen Gedanken wert, die Verantwortungen und Aufgaben der selbst
festgesetzten Rollen zu be- und überdenken.
Und natürlich ist
München nicht der einzige Ort, an dem diese Situationen bestehen... Aber es war
meine bisher extremste Erfahrung diesbezüglich, daher poste ich es diesen
Gedanken hier in Tango München... Auch mit dem Risiko, dass ich anecke.“
Nun,
vor allem rief sie die gigantische Zahl von 510 Kommentaren hervor – und noch ungewöhnlicher: Es waren vor
allem Frauen, die sich zu Wort
meldeten, oft genug mit ähnlichen
Erfahrungen:
„Seit Jahrzehnten
fast überall so, besonders aber in großen Städten mit der Überzeugung, ein
Tango Hot Spot zu sein. ;-) Ich kann Deinen Eindruck auch nach Jahren in München nur
bestätigen – und ich tanze, mehr oder weniger intensiv, seit 25 Jahren. München
ist ein besonders hartes Parkett für die meisten Frauen.“
„Ich tanze Tango seit
3 Jahre in München und gehöre zu keiner Clique. So geht es mir also auf fast
jeder Milonga. Ich weiß, dass es in jeder Stadt so ist. Aber München ist
wirklich versnobt.“
„Na klar, die
Münchner Ansprüche sind halt was ganz, ganz, ganz besonders. Kann ja sonst jede
daher kommen und gern tanzen wollen. Gut, dass die Männer alle so monstergute
Tänzer sind.“
„Beim selber
Auffordern hab ich mir schon mehrfach die Finger verbrannt...was daraus
wurde...ich gehe nur noch mit einem mir bekannten guten Tänzer in neue
Locations, damit dieser mich ‚vortanzen‘ kann...was sich auch merkwürdig
anfühlt...so ein bisschen wie Fleischbeschau...und ja, ich bin durchaus in der
Lage, mich elegant auf meinen High Heels über das Parkett Richtung Toilette zu
bewegen...damit auch jeder Tänzer sehen kann, dass ich gehen kann und sich
möglicherweise denken kann, dass ich das auch zum Takt der Tangomusik und seiner
Führung können könnte.“
„Kann dir nur
zustimmen. Es vergeht einem leider die Freude am Tanzen.“
„Ein sehr guter
niederländischer Tänzer hat die Münchner Tangomänner übrigens einmal als gut,
aber Gockel bezeichnet ...“
Bei den Männern,
welche sich nach und nach doch in die Debatte einmischten, überwog eher die Skepsis gegenüber solchen Vorhaltungen.
Man gehe schließlich nicht zum Tango, um schlechte
Tänze zu haben:
„Ich gehe, um die
Musik und den Tanz zu genießen. Insofern finde ich obige Erklärungen absurd.
Natürlich könnte man mit jedem die Zeit auf der Tanzfläche verbringen. Aber
darum gehe ich ja nicht hin.“
„Dass man mit
jemandem tanzen möchte, der auf einem annähernd gleichen Level ist, wird so oft
als snobistisch und arrogant hingestellt. Warum eigentlich? Du arbeitest
jahrelang an deiner Achse, lässt deine Umarmung korrigieren, um dir dann von jemandem
Schulter, Kreuz, Genick und Füße malträtieren zu lassen, der sich selber
einfach heute schon voll geil findet?“
„Ich habe keinerlei
Schuldzuweisung gesehen oder gemacht. Ich sträube mich nur dagegen, dass ein
guter Führender alles mitmachen muss. Wenn sich eine 50 kg-Person ohne Achse
an die eigenen Halswirbel hängt und erwartet, dass man als guter Führender
damit umgehen kann und sie mitnimmt, sorry, da sollte man Tanda nicht zu Ende
tanzen.“
Doch damit kommen die Herren immer weniger durch. Es sei
schließlich auch für die Frau ein Risiko,
sich auf einen unbekannten Partner
einzulassen. Und zudem:
„Wenn einer gut
führen kann, dann kann er ALLE gut führen, egal, ob bekannt oder unbekannt, mit
eigener Achse oder ohne! (Wenn eine Folgende keine eigene Achse hat – haben
viele Führende übrigens auch nicht – muss man halt den Tanzstil anpassen.)“
„Meine Schlussfolgerung daher: Alle
die Führenden, die nicht Manns genug sind, jemand Unbekanntes aufzufordern,
können entweder nicht gut genug führen oder tragen die Nase schlicht zu hoch...“
Auffallend: Das erwartbare Pflichtargument, die Blinzelaufforderung
löse solche Probleme, wird nur noch von ganz Hartnäckigen vertreten:
„Ich
verstehe das Argument nicht, es würde auf die klassischen/veralteten
Benimmregeln Wert gelegt. In den meisten mir bekannten Milongas in München
versteht man den Cabeceo. Und der funktioniert nun mal nicht ohne die
vorhergehende Mirada und das ist ein Schritt, den der Folgende aktiv macht. Was
ist daran veraltet?“
Und auch eine bekannte DJane lässt sich ihre Überzeugung nicht nehmen:
„Mein Tipp ist, auch
als Frau aktiv zu cabeceieren.“
Vorwiegend werden jedoch die bisherigen Aufforderungs-Gewohnheiten in Frage
gestellt:
„Wenn sich die Männer
trotz ihrer privilegierten Rolle nicht in der Pflicht fühlen, sich auch um
Tänzerinnen zu kümmern, dann finde ich, gehören die Regeln geändert bzw. muss
die Akzeptanz für weibliches Auffordern her.“
„Deine Erfahrung ist
kein Einzelfall, ich bekomme es immer wieder am Rande als Tänzer mit. Es wird
Zeit, dass es ganz natürlich ist, dass Frauen wie Männer auffordern.“
Die unterschiedlichen
Perspektiven bringt eine Kommentatorin auf der Facebook-Seite von Thomas
Kröter schön zum Ausdruck:
„Das Gesudere in den Antworten der
Männer spricht für sich. Nicht nur in Deutschland sind die Tangotänzer so
asozial, Frauen auch einen ganzen Abend herumsitzen zu lassen. Ich erlebte in
20 Jahren nur wenige Ausnahmen, wo aufgefordert wurde.
Wobei, wenn Männer so demonstrativ weg- oder in den Boden schauen, hilft auch
kein freundlicher Blickkontakt.
Abgesehen davon sind ein paar Kilos oder Jahre zu viel auch oft ein
Ausschließungsgrund. Ich finde, sie sollten sich dafür mal schämen. Und den
anderen ein herzliches
Dankeschön für die meist schönen Tangos.“
Tja, liebe Männer auf den angesagten Großstadt-Milongas,
ich fürchte,
ihr habt es mittlerweile – wie man in Bayern sagt – genau beieinander: Der Eindruck, den ihr bei vielen Tangueras
macht, ist ziemlich unterirdisch.
Und die begehren inzwischen – ganz tango-untypisch – mächtig auf. Und womit? Mit Recht!
Machen wir
uns nichts vor: Die Ignorierung
unbekannter Tänzerinnen ist schlicht eine Mischung aus Feigheit und Egoismus.
Nur keine Risiken eingehen – und nur das (besser: die) Beste ist gut genug.
Was mich
aber freut: Es gibt in dieser Debatte durchaus auch verständnisvolle und verbindende
Standpunkte. Und die könnten
weiterhelfen. Und klar – es gibt elitäres
Verhalten bei beiden Geschlechtern.
Zwei Punkte stehen jedoch für mich felsenfest:
Wenn man
nicht mit Unbekannten tanzen möchte, hilft der beste Cabeceo nichts – und ich
bleibe bei meiner Meinung: Das Getue darum hat die Aufforderungs-Probleme in den letzten Jahren eher kompliziert denn
vereinfacht.
Und der
Fisch stinkt weiterhin vom Kopfe her: So lange sich auf Nobel-Milongas Veranstalter und DJs hermetisch gegen
ihre Gäste abschotten anstatt
freundlich auf diese zuzugehen und auch beim Auffordern Vorbild zu sein, wirkt
das vernichtend auf das soziale Klima.
Und, liebe Männer, glaubt ja nicht, das Problem „aussitzen“ zu können. Es hat, wie die
Schöpferin dieses Posts beschreibt, schon zu weit um sich gegriffen.
„Das, was wirklich zu
denken geben sollte, ist auch, dass mir einige Leute aufgrund meines Beitrags
private Nachrichten geschrieben haben, in denen sie mir voll und ganz
zugestimmt haben, was meine Erfahrung betrifft... Und das Schlimme ist ja, dass
diese Nachrichten nicht nur von Leuten kommen, die so wie ich zu Gast waren in
München und die fehlende Offenheit bemerkt haben , sondern auch Leute aus der
Münchner Szene, die dasselbe beklagen, aber sich natürlich nicht öffentlich
dazu äußern würden... was traurig ist, was ich aber gut nachvollziehen kann,
da ist natürlich ein Risiko ist, in den eigenen Reihen anzuecken.“
Macht ja nichts – das Anecken besorge ich gerne und zuverlässig.
Und noch ein Tipp für tangotanzende Besucherinnen
Münchens: Fahrt doch zum Tanzen nach Pörnbach,
da sitzt ihr garantiert nur eine Dreiviertelstunde – nämlich bei der Fahrt zu
unserer „Wohnzimmer-Milonga“!
Quelle der (rechtschreibkorrigierten)
Zitate:
Soeben erreichte mich ein Kommentar von Andreas Buschmann:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
bei diesen Diskussionen schäme ich mich zutiefst für meine Geschlechtsgenossen - und es macht mich wütend. Wir haben es wohl wieder mal mit der heute leider so häufigen unsäglichen Mischung von Narzissmus und Mittelmäßigkeit zu tun. Zum 1000sten Mal die immer gleichen Figuren mit demselben Partner zur 1000-mal gehörten Musik zu "tanzen", das soll Tango sein? Dieser spannungsgeladene, erotische Tanz, diese knisternde Kommunikation zwischen zwei Menschen, synchronisiert durch die Musik, improvisiert im Moment aus Frage und Antwort? Und das alles aus Angst, jemand könnte bemerken, dass man vielleicht doch nicht so gut tanzt, wie man selbst meint. Oder dass man vielleicht mal 15 Minuten eine nicht optimale Tanda durchstehen muss. Aus manchen Kommentaren sprechen die Totengräber des Tangos.
Ich persönlich liebe den Kick eine fremde Frau im Arm halten zu dürfen, sie zu spüren, auszuprobieren, wie sie reagiert, zu versuchen, in den Dialog zu kommen. Zu prüfen, wie gut ich mich anpassen kann. Das geht mal besser, mal schlechter - aber immer lerne ich etwas dazu. Oft genug werde ich dabei positiv überrascht, aber selbst wenn sich die Tanda für mich vielleicht mal nicht optimal anfühlt - nicht selten ist dann die Belohnung die Freude der Partnerin zu spüren, die vielleicht eben gerade eine neue Erfahrung gemacht hat. Wer wirklich tanzen und führen kann und bereit ist sich ohne Narzissmus auf den Partner einzulassen, kann das auch mit Anfängern oder Partnern, die ein paar Unarten haben. Der Umgang damit gehört zur Tangoerfahrung. Ich kann an mir selbst nachvollziehen, wie die Anzahl unrunder Tandas mit der Erfahrung immer mehr abnimmt. Mir persönlich macht es Freude, wenn ich einer Anfängerin vielleicht eine Vision mitgeben kann, wie Tango sein kann. Und so sieht eine gute Heimmilonga für mich so aus: Die erste und letzte Tanda sowie die eine oder andere nach Musik ausgewählte Tanda gehört meiner Partnerin, einige Tandas dem sozialen Tanz mit Freunden und der Rest der spannenden Erfahrung mit fremden Partnern. Leider kippt das dann, wenn meine Partnerin selbst nicht genug von anderen aufgefordert wird. Und hier schließt sich dann der Kreis.
Grüße aus dem Norden,
Andreas
Lieber Andreas,
Löschenvielen Dank für deine Anmerkungen!
Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Vielleicht noch eins: Viele Tangueros gehen von einem - wie immer gearteten und verstandenen - "Qualitätsbegriff" einer Tanda aus. Es klingt fast so, als ob man sich irgendein Luxusprodukt kauft.
Für mich hat Freude am Tanzen ganz verschiedene Ursachen: Sicherlich kann das eine gute Technik, ein tolles Musikempfinden oder eine Vielfalt an Choreografie sein. Mindestens genauso wichtig ist aber das, was du ja auch selber beschreibst: Die Freude an einer persönlichen Begegnung. Daher stehen in meiner "Tangovitrine" etliche Tänze, die technisch gesehen eher suboptimal, jedoch von unglaublichem Spaß miteinander erfüllt waren.
Beste Grüße aus dem Süden
Gerhard
Da wurde tatsächlich gestern ein Fass aufgemacht: Die Debatte auf Facebook läuft fröhlich (?) weiter. Auch den weiteren Ablauf habe ich vorausgesehen: Nun kommen – nach den empörten Frauen – die Kerle, welche ihnen wieder die Welt erklären, bis alles gut (für sie) ist.
AntwortenLöschenDen aktuellen Diskussionsbeitrag einer Dame finde ich wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben:
„Werde gern die hier schreibenden Männer bei zukünftigen Milongas derart anlächeln und gern berichten. Denn, auch das meine Erfahrung mit der Tango-Szene im Groben: Es will nie einer gewesen sein. folgt man den Selbstbeschreibungen, dann sind die Jungs alle immer super-offen, freuen sich über Aufforderungen und reagieren total positiv auf alle Damen, die positive Ausstrahlung haben. Sie sind sich auch auf keinen Fall zu fein für nix. Und die Mädels sind immer super freundlich, offen, motiviert, ebenfalls für nix zu fein und total selbstbewusst. Und überhaupt, das ist alles magic und smooth und wunderbar. Wer das so nicht erlebt, die muss ja selber schuld sein.“