Neues von der Tango-Reformation
Ich sage euch: Also
wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor
neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.
(Lukas 15.7)
Während Annegret
Kramp-Karrenbauer derzeit Probleme mit dem dritten Geschlecht hat, langen
ihrer Landsfrau Melina Sedó bereits die
konventionellen zwei: Unter dem Titel “Long due post on gender and roles in tango“
(„Lange überfälliger Beitrag zu Geschlecht und Rollen
im Tango“) veröffentlichte die Tangoexpertin auf ihrem Blog einen opulenten
Text (den Thomas Kröter, da von einer
Frau geschrieben, nicht für zu lang halten wird).
Da der Beitrag, wie bei ihr üblich, in Inglisch gehalten ist und daher bei uns
wenig gelesen werden dürfte, erlaube ich mir eine etwas kürzere Zusammenfassung auf Deutsch:
Gerade habe sie die Anmeldungen für eines ihrer Encuentros
geschlossen: Auf einen Führenden kämen fast vier Buchungen von Folgenden. Trotz
ihrer Bemühungen sei es daher nicht möglich, auch nur die Hälfte der weiblichen Teilnahmewünsche zu erfüllen. Das mache sie
zunehmend traurig und wütend.
Im Vorfeld solcher gender-limitierten Events
versuchten zwar viele Frauen, einen Partner
zur Teilnahme als Paar zu finden – leider oft mit frustrierenden bis demütigenden Folgen: Die reichten von der
Nichtbeantwortung von Anfragen bis zum Wunsch, dann die Kosten erstattet zu
kommen – gelegentlich sogar inklusive körperlicher Naturalien.
Und leider seien Tanz-
und Geschlechterrollen immer noch eng verknüpft. Während in der
Gesellschaft Frauen nach Gleichheit, ja Führungspositionen strebten, gäben sie im
Tango gerne die Verantwortung ab. Melina wisse das, da sie auch mal dieser Meinung
war, die allerdings oft nicht glücklich mache.
Das Grundproblem
sei halt, dass es nach wie vor viel mehr
Frauen gäbe, welche Tango tanzen wollten. Wenn auf einer Milonga 20
Führende 30 Folgenden gegenübersäßen, nütze der beste Cabeceo nix. Und auch
wenn man einen festen Partner dabei habe, käme dessen Monopolisierung nicht gut
an. Man müsse also nicht unbedingt Single-Frau sein, um den Schmerz zu
verspüren.
Auf den ersten Encuentros vor 12 bis 14 Jahren habe es
noch keine Geschlechter- oder Rollenbegrenzung gegeben. Die Folge: ein massiver Frauenüberschuss. Als Grund
vermutet die Autorin: Männer seien
auf den heimischen Milongas schon sehr zufrieden, da sie dort genügend gute Tänzerinnen fänden.
Gebe es eine Chance, mehr Männer zum Tango zu locken? Das könne man vergessen. Solange
man die Jungs zum Fußballspielen animiere und die Mädchen zum Ballett schicke, werde
sich nicht viel ändern. Tanzen gelte
in vielen Kulturen als unmännlich.
Aus Melinas Sicht gibt es keine andere Möglichkeit, als Geschlecht und Tanzrolle radikal zu entkoppeln. Sie träume von einer Tango-Community, in der jede(r)
von vornherein beide Rollen lerne.
Der nächste Satz ist so schön, dass ich ihn wörtlich
zitieren möchte:
„Ich
weiß, dass meine Utopie ein Traum bleiben mag, denn solange Tänzer den
traditionellen und oft enorm übertriebenen Klischees in Tango-Anzeigen und
Shows ausgesetzt sind, gibt es keine Veränderung, wenn es nicht mehr Vorbilder
gibt, die unterschiedliche Wege gehen.“
Halleluja!
Daher:
„Du bist eine Frau und möchtest nur Tango tanzen? Du möchtest in die schönen Veranstaltungen aufgenommen werden, auch wenn du keinen Partner hast? Also bitte, bitte, bitte hör auf, passiv zu sein, hör auf zu jammern, hör auf zu weinen und tu etwas dagegen. Lerne zu führen.“
Es gebe allerdings viele Ängste, Vorurteile
und Hindernisse:
·
Führen sei viel schwieriger als folgen.
Eher sei das Gegenteil
richtig: Führende könnten ja beeinflussen, was getanzt werde und so jahrelang
mit einigen wenigen Schritten in ihrer „Komfortzone“
bleiben. Folgende dagegen müssten mit verschiedenen
Tanzstilen und teilweise höheren choreografischen
Anforderungen zurechtkommen. Und Führende wüssten ja etwas eher, was wohl gleich
passiere. Frauen bildeten sich im Tango stärker weiter, während die Herren schon mit Wenigem zufrieden seien.
·
Frauen seien nicht zum Führen geeignet.
Körperliche Unterschiede wie Größe und
Gewicht lässt die Autorin nicht gelten: Argentinier störe es auch nicht, mit
viel längeren Damen zu tanzen – und es gebe ja auch große und robuste Frauen.
Mit guter Technik sei das alles meist kein Problem.
·
Frauen wollten nicht mit Frauen tanzen.
Einige nicht, viele aber schon! Melina selber suche
inzwischen eher nach guten führenden
Frauen anstatt Männern. Und man könne als Veranstalter Tanzende in doppelter Rolle eigens vorstellen, um
die Option bekannt zu machen.
·
Männer forderten weibliche Führende nicht auf.
Auch das treffe zwar auf einige zu – aber seien das
wirklich die Männer, mit denen man es zu tun haben wolle? Auf den Events,
welche die Schreiberin besuche, seien Frauen, die auch führen, bei den Männern durchaus begehrt.
·
Führen habe einen negativen Einfluss auf die Fähigkeit, zu folgen.
Im Gegenteil:
In beiden Rollen zu tanzen erweitere den Horizont und das tänzerische Können. Wer von
vornherein beide Rollen lerne, mache oft eine steile Tango-Karriere.
·
Führende Frauen seien bei Veranstaltern nicht erwünscht.
Solche rückständigen
Einstellungen gebe es zwar noch, sie seien aber am Verschwinden. Quotierungen bei Veranstaltungen bezögen
sich zunehmend auf die Rolle, nicht
das Geschlecht.
·
Es gebe nicht genügend Gelegenheiten, die führende Rolle zu lernen.
Doch, es fänden immer mehr Kurse und Practica für führende Frauen und zum Rollenwechsel
statt. Auch Melina und ihr Partner wollten nun verstärkt solche Angebote machen
und in den Anfängerkursen von vorherein beide Rollen unterrichten.
Das Ganze endet mit einem flammenden Appell zum Erlernen von Führen und Folgen durch beide Geschlechter. Tangolehrer und Veranstalter sollten dies konsequent fördern.
Es sei ja in Ordnung, wenn manche den Tango nur als Begegnung von Mann und Frau sähen.
Niemand werde zu anderem gezwungen. Aber:
„Denn so sollte Tango sein: eine angenehme Begegnung zwischen zwei offenen, fürsorglichen und aktiven Partnern. Kein historisches Rollenspiel. Kein Dating-Event. Keine Aktivität, bei der eine Mehrheit (Frauen und alle, die nicht geschlechtsspezifisch tanzen möchten) nicht das bekommt, was sie verdienen: viele schöne Tänze.“
Tja, liebe Melina,
da kann ich aus ganzem Herzen zustimmen:
Tango sollte mehr sein als ein „historisches
Rollenspiel“. Hierzu müssten wir jedoch Nägel mit Köpfen machen: Weg mit
der Beschränkung auf traditionelle
Dudelmusik, veraltete
Verhaltensregeln, Weibchen-Verkleidung
und sonstige überkommene Geschlechterklischees
– Tango des 21. Jahrhunderts halt. Unsere Gesellschaft ist offener geworden:
Lasst doch die Menschen tanzen, wie sie wollen – dann kommen vielleicht auch mehr Männer, sogar jüngere!
Und ich werfe dir auch nicht vor, nun
lediglich eine neue Art von Kursen
verkloppen zu wollen – und zudem ist es ja nicht verkehrt, wenn sich Fortschritt lohnt, auch materiell.
Aber du musst die Geister, die eure Fraktion
mit dem jahrelangen Historiengetümel angelockt
hat, nun schon selber loswerden. Insbesondere bei gewissen testosterongesteuerten Tango-Monsterlein wünsche ich dabei viel
Spaß…
Übrigens stelle ich auf den „normalen" Milongas kaum noch einen Männermangel fest. Auf den Encuentros hingegen scheint die Kacke am Dampfen zu sein. Die ausgeschlossenen Frauen werden offenbar zunehmend sauer. Recht so! Und um wieder auf Merkel und Kramp-Karrenbauer zurückzukommen: Männer sollten sich nicht mit starken Frauen anlegen, sonst sind die „Iden des Merz" nahe...
P.S. Wie ich schon einmal statistisch
dargestellt habe, gibt es auf der Pörnbacher Milonga keine Gender-Probleme (und
daher auch keine Abweisung von Single-Frauen). Was mich besonders freut: Immer
mehr weibliche Gäste können inzwischen führen (im Schnitt mindestens 4 von
zirka 15 Gästen) – und das wird auf der „Wohnzimmer-Practica“ fleißig geübt.
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