Warum tanzt der (nicht) mit mir?
Nachdem
mein vorstehender Beitrag offenbar riesiges Interesse fand (allein bei Facebook
500 Zugriffe), möchte ich das Thema noch mit „positiven Nutzanwendungen“
ergänzen. (Keine Angst, wer mich kennt, weiß: So völlig tröstlich kann’s nicht
werden!)
Schon
lange versuche ich, in der Damenwelt des Tango auf die Gefährlichkeit zweier
Fragen hinzuweisen:
„Warum
tanzt der nicht mit mir?“ und
„Warum
tanzt der mit mir?“
Die
erste Frage krankt schon daran, dass sie negativ gestellt ist – nicht gut für
Ihr Immunsystem! Aber auch mit den Antworten zur anderen würden Sie nicht
glücklich: Was, wenn sich herausstellte, der Typ sei gar nicht von Ihren
Tanzkünsten angelockt worden, sondern von Ihrem roten BH? Wollen Sie das wirklich
wissen (oder wussten Sie es eh)?
Ohnehin
gibt es auf beide Fragen unzählige Antworten – und oft genug habe ich auch nach
16 Jahren Tango im Einzelfall keine Ahnung, woran es liegen könnte: Da gibt es wunderbar
tanzende, hübsche, toll aufgemachte und (für Tangoverhältnisse) sogar relativ
junge Frauen, die wenig aufgefordert werden – und ebenso das Gegenteil. Es ist
ähnlich wie bei Milongas: Warum haben Veranstaltungen, auf denen man bestes
Parkett, bequeme Sitzgelegenheiten und herrlich vielfältige Musik bekommt, eher
mäßigen Zulauf, während Events mit welligem Bohlenbelag, der Bequemlichkeit
einer Skihütte und vorwiegend tangofernem Gesäusel geradezu gestürmt werden?
Für all diese Fälle hätte ich allein an diesem Wochenende Beispiele
vorzuweisen, doch was bringt’s? Kluge Erklärungen hierzu kann ich nicht bieten!
Bei
einem dieser Anlässe hörte ich vor der Tür eine Diskussion, die sich um den
üblichen „Frauenüberschuss“ auf Milongas drehte. Am liebsten hätte ich
geantwortet: „Einen Überschuss an Tänzerinnen habe ich beim Tango noch nie erlebt.“ Zum Trost der aufgebrachten Damenwelt:
Begabung hin oder her – 95 Prozent der Frauen könnten sich durchaus zu einer
hervorragend agierenden Tanguera entwickeln. Wenn sie es denn wollten!
Also,
meine Damen, Hand aufs Herz (wohin sonst beim Tango?): Geht es Ihnen
darum, möglichst viel zu tanzen oder
möglichst gut? Um es gleich
vorwegzunehmen: Die Kombination viel und
gut ist von der deutschen Tangowirklichkeit weiter entfernt als der Andromedanebel:
Forget it! (Sollte Sie hingegen die Verbindung „wenig und schlecht“
interessieren: Willkommen im Club!)
Wenn
es Ihnen vorwiegend um den quantitativen
Aspekt geht, sprich so oft wie möglich am Abend auf dem Parkett herumzuhoppeln,
egal wie und mit wem: Brechen Sie in die Sozialstrukturen Ihrer örtlichen Szene
ein! Schleppen Sie Stühle, verteilen Sie Kerzen, übernehmen Sie die Kasse, mutieren
Sie bei „Festivalitos“ zur „Gemeinen Nudelsalatmitbringerin“! Und:
Erfreuen Sie das Herz des heimischen Lehrpersonals durch Buchung möglichst
vieler Stunden! Nach dem rheinischen Motto „Mer
kennt sisch, mer hilft sisch“ wird dies auf Dauer sicherlich zu einer
erhöhten Aufforderungsfrequenz führen. Aber seien Sie gewarnt: Sie müssten dann
auch mit Ihrem Tangolehrer tanzen…
In
der Parallelwelt hierzu sage ich gelegentlich zu meiner Partnerin nach den
ersten drei traumhaften Tänzen: „Eigentlich könnten wir jetzt gleich wieder
heimfahren!“ Sollten Sie es auf das Erleben solcher Glücksmomente
abgesehen haben, müsste ich nur noch von Ihnen wissen: „Wie viele Jahre haben Sie Zeit?“
Aus nahe liegenden Quellen weiß ich, wie heftig sowie ausdauernd
beispielsweise Musiker oder Zauberkünstler üben müssen, damit es irgendwann für
wenige Minuten derartig locker und leicht wirken kann. Wieso sollte dies beim
Tanzen anders sein? Daher erlauben Sie mir bitte noch einige Fragen:
Fasziniert
Sie die Tangomusik auch im Sitzen? In dem Fall dürfte es Ihnen doch nicht allzu viel
ausmachen, wenn Sie hierzu öfters Gelegenheit hätten! Und Sie besitzen doch
sicher eine größere Sammlung von Tangotiteln und arbeiten daran, einen
Streicherteppich à la Di Sarli anders zu vertanzen als eine Candombe von Cáceres
oder einen Neotango von Gotan?
Ist Ihr
Blick auf die Tanzfläche gerichtet, um andere Paare zu beobachten? Was ist in einem üblichen
Tangokurs eigentlich so anders? Sie bekommen etwas vorgemacht (in welchem Sinn
auch immer) und sollen es entsprechend anwenden. So gesehen kriegen Sie auf
einer Milonga mehrere Stunden Tangounterricht für einen einstelligen
Eurobetrag!
Sie
üben doch auch zu Hause? Bedenken Sie den Vorteil: Wenn Sie sich dort
auf einen Stuhl stützen und Ochos üben, kann der Ihnen – obwohl es sich um
einen Vierbeiner handelt – weder den Brustkorb komprimieren noch unmoralische
Anträge machen! Und um Gleichgewicht und Achse zu trainieren, benötigen Sie
niemand, welcher Sie aus beidem reißt… Sicher kann das gelegentlich langweilig
werden, aber das Problem hat ein Pianist, der mit Czerny-Etüden oder
Bach-Inventionen seine Geläufigkeit schult, ebenfalls!
Sie
achten schon darauf, wer eventuell ein Interesse daran hat, mit Ihnen zu
tanzen? Schon
oft habe ich es aufgegeben, eine Frau aufzufordern, weil sie mir einfach keine
Gelegenheit dazu bot und stattdessen von einer Bekannten zur nächsten rannte,
ellenlange Gespräche führte und anschließend ihr Smartphone zückte, um diese noch
digital fortzusetzen. Und auch bei einem Cabeceo ist der geschlossene Mund
mindestens ebenso wichtig wie die offenen Augen…
Sie
wählen Kleidung und Schuhe nach der tänzerischen Funktionalität aus? Ich habe bei den
vorherrschenden Riemchenschuhen, die vor allem aus etwas Neonglimmer, viel Luft
sowie lackierten Zehennägeln bestehen, oft nicht den Eindruck, dass die Damen
ihre Aktionen wirklich „in den Boden bringen“ – und niemand hat etwas davon,
wenn sich ein nadelspitzer Absatz dann noch im Volant des boutiquengestilten
Zipfelröckchens verfängt. Wenn diese Frauen wüssten, wie erotisch sie sich in
Jeans und Sneakers bewegen könnten…
Sie
fahren schon auch mal mehr als hundert Kilometer zu einem Tangotermin? Ich behaupte hiermit:
99 Prozent der Tangomenschen, die ich für hervorragende Tänzer/innen halte, tun
das! Wenn Sie dagegen eine furchtbare Milonga mit unterirdischem Personal nur
besuchen, weil sie kurzfristig erreichbar ist, oder es Sie bei einem Hampelmann
als Tangolehrer nur interessiert, dass er seinen Unterricht gleich nebenan
verübt, kann und mag ich Ihnen nicht helfen. Dank des Internets ist es wahrlich
einfach herauszukriegen, was im angesprochenen Radius um Sie herum passiert.
Werden Sie aktiv, vergleichen Sie, wählen Sie aus!
Eine
sehr begabte Tänzerin, die jahrelang fast nur eine bestimmte Milonga besuchte,
bat ich eines Abends vor die Tür des Lokals. Dort forderte ich sie auf, ihren
Blick auf den Horizont zu richten und sich einmal um die eigene Achse zu
drehen. „Was siehst du?“, fragte ich
sie. Meine Erklärung: „Dort überall ist Tango
– und du wirst hinfahren und ihn kennenlernen.“ Das tat sie – und mit dem
Auffordern hat sie schon deshalb keine Probleme, weil es ihr einerseits egal
ist und sie außerdem führen kann und sich ihre Tanzpartnerinnen selber sucht.
„El tango te espera“
(„der Tango wartet auf dich“) – dieses Wort Aníbal Troilos bedeutet halt
auch, dass man selber etwas mehr tun muss als dazusitzen und zu warten. Doch „Blut,
Schweiß und Tränen“ werden sich auszahlen und zu wunderbaren Tangos führen. Wer
es einfacher möchte, wird es nicht bekommen, und er hat es ehrlich gesagt auch
nicht verdient.
So
gerecht ist der Tango!
Illustration: www.tangofish.de |
Auf dem österreichischen Forum „tanzmitmir“ schrieb ein Tango-DJ zu meinem Beitrag:
AntwortenLöschen„Hallo G.R.,
das ist sicher ein wichtiges Thema. Ich würde aber gerne noch einen Aspekt hinzufügen: Tangotanzen sollte Spass machen. Wenn eine Dame es mit mir zusammen schafft, dass der Tanz gemeinsamen Spass macht, ist mir das jederzeit ein bis zwei weitere Tandas wert. Komischerweise ist hier tänzerisches Können zwar hilfreich, aber nicht im Zentrum des Universums, oft hilft auch ein Lächeln oder ein nettes Wort. Seltsamerweise merkt man sich solche Freude sehr intensiv und über die Milonga hinaus.....
Saludos,
-Richard“
Meine Antwort dazu:
„Hallo Richard,
völlig einverstanden!
Ich habe mir allerdings mit der Vokabel ‚Spaßfaktor‘ schon vor langer Zeit in gewissen Kreisen einen Sympathieverlust eingefangen - deshalb wollte ich das nicht erneut auftischen.
Gruß
Gerhard“
Den einen Absatz kann ich nur hundertprozentig aus eigener Erfahrung bestätigen: “Schon oft habe ich es aufgegeben, eine Frau aufzufordern, weil sie mir einfach keine Gelegenheit dazu bot und stattdessen von einer Bekannten zur nächsten rannte, ellenlange Gespräche führte und anschließend ihr Smartphone zückte, um diese noch digital fortzusetzen.” Schon oft habe ich es erlebt, dass ich direkt vor einer Dame stand und sie auffordern wollte, sie aber angestrengt in ihr Handy oder auf die die Hinterwand des Tanzsaals blickte und erst durch einen sanften Rippenstoß ihrer Nachbarin bemerkte, dass es tatsächlich Männer gibt, die mit ihr tanzen wollen.
LöschenEin großes Problem (zumindest für mich) sind aber die zahlreichen Damen, die nur auf ihren Märchenprinzen warten und, auch nach dreistündiger vergeblicher Sitzung, jedwegen sonstigen Bewerber mit den schroffen Worten “Mit dir nicht!” abweisen. Da vergeht zumindest mir die Lust, weiter nach einer tanzwilligen Dame zu forschen.
Weiter so!
-Peter-
Lieber Peter,
Löschenso einfach geht das nicht! Nach Fausscher Exegese hat Dir die Dame durchs Starren auf Display oder die Rückwand des Saals (Informationsgehalt wohl ähnlich) schlicht und absichtlich den Cabeceo verweigert!
Ja, und der Märchenprinz... manchmal entpuppt sich der Drache hinterher als die bessere Lösung (bist aber nicht gemeint!).
Trotzdem weiterhin viel Spaß beim Tango!
Gerhard
Nach zwei Milongas in einer Südeuropäischen Metropole muß ich sagen, dass es auch ganz unverkrampft, leicht aufzufordern und unglaublich tänzerisch ( ich meine das eigentliche miteinander tanzen ohne große Technikverliebtheit ) gehen kann. Eine schöne Erfahrung mit sehr reizenden südländischen Damen, die mir wieder richtig Lust auf den heimischen Tango gemacht hat. Hoffentlich wird sie nicht so schnell zerstört...
AntwortenLöschenMM
Ich glaube, es gibt überall solche, andere und ganz andere... Aber wenn nicht hin und wieder solche spontanen Glücksmomente einträten, hätten wir den Tango längst aufgegeben!
LöschenNoch den Duft der warmen, blumigen Urlaubsmilonga, in die ich förmlich eingetaucht bin, in der Nase zurück auf heimische Tanzfläche. Es fühlt sich klebrig an. Es weht einem die abgestandene Luft von Cliquenwirtschaft und Spießbürgertum entgegen.
LöschenIch will zurück!
MM
Tango bedeutet auch Leiden - also tapfer sein und dagegen ankämpfen!
LöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenLiebe Kommentatorin,
AntwortenLöschenein Vorname reicht mir als Identifizierung nicht. Daher musste ich den Beitrag löschen. Wenn Sie Ihren vollen Namen nennen, stelle ich den Text gerne wieder ein!