Feste mit Katastrophen-Garantie
Den folgenden Artikel veröffentlichte ich vor sieben Jahren auf meinem Zauber-Blog. Er gilt aber nicht nur für Auftritte bei Familienfeiern, sondern in großen Teilen auch für Tango-Festivitäten, und trifft auf die szenetypische „Familie“ zu:
„Die Familie (familia domestica
communis, die gemeine Hausfamilie) kommt in Mitteleuropa wild vor und verharrt
gewöhnlich in diesem Zustande.“ (Kurt Tucholsky: Die Familie)
Liebe Gastgeber,
ich habe nun schon ein paar hundert Mal auf privaten Festen wie Geburtstagen, Ehejubiläen, Taufen, Hochzeiten und Scheidungen gezaubert. In vielen Fällen macht das wirklich Spaß, und ich möchte es auch in Zukunft nicht missen. Und Ihren Gästen hat mein Auftritt offenbar auch einigermaßen gefallen.
Dennoch, so glaube ich, verläuft das Ganze öfters stressiger, als es nötig wäre, sowohl für Sie selber als auch die
eingeladenen Personen – mich (und meine Assistentin) eingeschlossen.
Dies ließe sich in vielen Fällen vermeiden, wenn Sie die Informationen, welche ich Ihnen schriftlich und bei einem Vorgespräch – oft sogar vor Ort – übermittle, ernst nehmen würden. Ich fürchte jedoch, Sie halten meine Warnungen für übertrieben und glauben nicht, dass diese in Ihrem speziellen Fall realistisch sind.
Sind sie doch!
Daher im Folgenden einmal eine Zusammenstellung der kleinen und größeren Katastrophen, die sich auf Ihrem Fest mit ziemlicher Sicherheit ereignen und die Wirkung meiner Zauberkünste schmälern werden. Ich darf mal etwas übertreiben – in der Hoffnung, Ihren völlig unbegründeten Optimismus zu beseitigen:
Nein, Ihre Gäste werden nicht
pünktlich eintreffen!
Das liegt nicht nur am berüchtigten Autobahnstau und anderen Verkehrsbeschränkungen. Gehen Sie einfach davon aus, dass die eingeladenen Menschen über ein ähnlich lausiges Zeitmanagement verfügen wie Sie: Die meisten unterschätzen chronisch die Menge der noch zu erledigenden Aufgaben und überbewerten die hierfür noch zur Verfügung stehende Zeit. (Besonders schlimm ist das bei Ärzten, welche wegen dieser Dekompensation sogar Wartezimmer einrichten…) Dieser Effekt wird Ihre Zeitplanung für den Event mindestens um 30 Minuten verzögern.
Nein, das Essen wird nicht rechtzeitig fertig!
Der Standardsatz, den ich bei meinem (fast immer pünktlichen) Eintreffen höre, lautet: „Es wird sich noch etwas verzögern, wir haben gerade erst mit dem Essen begonnen.“ (Und dies zu einer Zeit, wo laut Planung die Nahrungsaufnahme schon fast abgeschlossen sein sollte!). Bei diesem Mangel ist die professionelle Gastronomie den Laien haushoch überlegen: Nach meinen Erfahrungen sind selbst Betriebe im oberen Preissegment (wegen des Personalmangels in der Branche) heillos damit überfordert, ein Menü für eine zweistellige Gästezahl einigermaßen zeitgerecht zu servieren (und abzuräumen). Eine weitere Verzögerung von mindestens einer halben Stunde ist so gut wie garantiert.
Nein, der eingeladene Künstler möchte nicht schon vorher zum Essen kommen!
Abgesehen davon, dass die meisten von uns trotz der lausigen Gagen nicht direkt vom Hungertod bedroht sind und ein gemeinsames Mahl mit Ihrer Verwandtschaft – wie Sie selber wissen – nicht unbedingt ein Vergnügen darstellt: Der von Ihnen gebuchte Magier muss in Kürze ein Soloprogramm von einer knappen Stunde hinlegen und hat zu diesem Behufe schon eine stundenlange Vorbereitung und Anfahrt hinter sich. Sprich: Er läuft auf Adrenalin und hat daher alles Mögliche, jedoch keinen Hunger. Seine Konzentrationsspirale hat sich auf die vorgesehene Auftrittszeit hin zentriert – und nun erfährt er, dass er noch eine Stunde (eventuell in einer Abstellkammer) vor sich hin dünsten darf, bevor es endlich losgeht…
Nein, die Zaubervorstellung
wird nicht die einzige Darbietung des Abends bleiben!
Sie können sich fest darauf verlassen, dass diverse liebe Verwandte und
Freunde (was ja nicht das Gleiche ist) mit etlichen „Überraschungen“ für
Ihre Feier aufwarten: Die Spanne reicht von langweiligen Festreden über das
Aufsagen öder Geburtstagsgedichte, die Aufführung niveauloser Sketches,
längelangen Beamer-Shows mit einer dreistelligen Zahl peinlicher Jugendfotos
des Jubilars bis hin zu Darbietungen, welche man bei größter Toleranz noch dem
Oberbegriff „Musik“ zuordnen kann. Daher:
Nein, die meisten Darbietungen
solcher Laiendarsteller sind weder unterhaltsam noch künstlerisch wertvoll!
Was ich in dreißig Jahren Zauberei auf solchen Festen an ästhetischen Abartigkeiten erlebt habe,
würde ein ganzes Buch füllen: rhetorisch bodenlose Ansprachen, Gedichte und
Spielchen am Unterrand des Intelligenzspektrums, Bildershows, bei denen das
gelegentliche Versagen der Technik eine Gnade sein kann, und vor allem: Musik
in der Preislage von „Blödflockenduo der
Enkel“ bis „Gesang wie nach Tritt auf
Katzenschwanz“. Und das alles muss natürlich vor Ihrem Zauberauftritt
passieren, damit die Akteure anschließend unbeschwert feiern können…
Das ist vielleicht gut gemeint – mehr jedoch keinesfalls!
Nein, Sie dürfen solche Beiträge auf keinen Fall zulassen!
Mein Rat ist stets, einen „Zeremonienmeister“ zu bestimmen, bei dem die Gäste eventuelle „überraschende“ Zutaten zu der Feier ankündigen müssen. Oft kann man dann im Vorfeld das Schlimmste verhindern – etwa mit dem Hinweis auf die knappe zur Verfügung stehende Zeit oder dem Argument, man habe für den Event bereits einen professionellen Künstler gebucht. Sie sind der Gastgeber! Lassen Sie sich diese Rolle nicht aus der Hand nehmen! Und keine Sorge:
Nein, Ihre Verwandten werden
trotz der Zurückweisung auch Ihr nächstes Fest besuchen!
Sinn und Zweck einer Blutsbande ist es schließlich, sich durch den regelmäßigen Besuch von Familienfeiern über die aktuelle Situation innerhalb der Mischpoche auf dem Laufenden zu halten (und so auch regelmäßig zu kostenloser Verpflegung zu kommen). Also unbesorgt: Die kommen wieder!
Nein, Sie müssen Ihre Besucher
nicht pausenlos bespaßen!
Nach meinen Beobachtungen breitet sich immer mehr der Irrsinn aus, Feste auf Deibel komm raus mit Unterhaltungsbeiträgen vollzupumpen: Trotz entsprechender Fragen im Vorfeld erfährt der staunende Magier dann oft erst vor Ort, der gemischte Jugendchor, die Jagdhornbläser sowie die Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr seien mit von der Partie. Am besten engagiert man noch einen DJ, welcher etwaige peinliche Pausen von fünf Minuten mit geistlosem Gewummer füllt. Schön, wenn ich dann nach dem „Anton aus Tirol“ oder dem „Original Kniebiesler Trio“ versuchen darf, die vielleicht noch anwesenden Freunde poetisch-leiser Zwischentöne anzusprechen…
Öfters hatte ich bei meinen Auftritten dann den Eindruck, die Gäste seinen zwar nett und gutwillig, jedoch nach stundenlangem Hineindrücken von Lärm, Essen, Proll-Entertainment und Getränken einfach nicht mehr aufnahmefähig.
Weniger ist oft mehr! Klar kann man eine Feier auch
mit „spontanen" Beiträgen der Gäste gestalten. Sie aber haben doch für
(hoffentlich) viel Geld einen halbwegs professionellen Entertainer engagiert –
warum nützen Sie diese Chance nicht?
Und zu schlechter Letzt:
Nein, Ihre Gäste kapieren nicht, dass der Zauberkünstler zwei Zentner Equipment durch eine volle Party schleppen muss!
Auch wenn man es vorher deutlich angesprochen hatte, ist der zugesagte Parkplatz doch schon belegt, und nach
nervenaufreibendem Rangieren darf man seine Ausstattung durch einen Wald voller
Gäste schleppen (und entdeckt hernach beim Aufräumen, dass es einen
Hintereingang gegeben hätte). Zudem tritt regelmäßig das von mir „48-er Effekt“ genannte Problem auf: An
der schmalsten Stelle des Transportwegs versammeln sich zwei Damen mit besagter
Kleidergröße zu einem trauten, lückenlosen Gespräch und nehmen von Ihnen
keinerlei Notiz. Dies wiederholt sich mehrmals (da Sie ja öfters laufen müssen)
mit stets gleichem „Erfolg“.
Liebe Gastgeber,
bedenken Sie gerade hierbei den altbekannten Satz „Der Weg ist das Ziel“ und schaffen Sie, was mir bei Ihrem Fest chronisch fehlt: Ruhe und Platz.
Organisieren Sie bereits im Diesseits Ihr Fest so, dass mein Entertainment seine Wirkung entfalten kann, denn im Jenseits wird es nicht besser:
„Und wenn die ganze Welt zugrunde geht, so steht zu befürchten, dass dir im Jenseits ein holder Engel entgegenkommt, leise seinen Palmenwedel schwingt und spricht: ‚Sagen Sie mal – sind wir nicht miteinander verwandt –?‘ Und eilends, erschreckt und im innersten Herzen gebrochen, enteilst du. Zur Hölle.
Das hilft dir aber gar nichts. Denn da sitzen alle, alle die andern.“
(Kurt Tucholsky: Die Familie)
http://www.textlog.de/tucholsky-familie.html
https://www.youtube.com/watch?v=Ghf1HSI-6MI
Ausgezeichneter Text, wie ihn nur ein "Laiendarsteller" schreiben kann. Da bemängelt der Laie die Qualität von Laien - diese Chuzpe muss man mal haben!
AntwortenLöschenAls Profi habe ich über 10.000 Vorstellungen gegeben: Von der kleinen privaten Geburtsagsfeier bis zur Berliner Waldbühne, von Nordkorea bis Kanada bin ich in unzähligen Ländern aufgetreten. Aber so einen Text hätte ich nie und nimmer verfasst! Aber das unterscheidet eben den Profi vom Laien. Daher mein Tipp an Veranstalter: Engagiert einen Profi, dann erspart man sich 'Artikel' wie diesen.
Werter Kollege,
Löschenoffenbar reicht Ihr Ruhm so weit, dass Sie nicht mal Ihren Namen angeben müssen. Das ist aber auf diesem „Laien-Blog“ ausdrücklich erwünscht. Ansonsten würde ich weitere Kommentare von Ihnen nicht mehr hochladen.
Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich in der Zauberei (und auch im Tango) diesem „Profi-Argument“ begegnet bin. Es gibt von mir sogar einen Artikel dazu:
https://diemagiedesgr.blogspot.com/2015/02/profis-ein-geisterwort.html
Und ein Video:
https://www.youtube.com/watch?v=DFyNPi1TpLE
Wenn man einen Kollegen so richtig herabsetzen will, baut man gerne diesen Unterschied auf: Wie kann ein Amateur es wagen, überhaupt etwas zu diesem Metier zu sagen? Das steht ja ausschließlich den hochgestellten Profis zu!
Nach meinen Erfahrungen kann man in einem Beruf auch richtig schlecht sein – und jemand, der das Ganze als Hobby betreibt, erstaunlich gut.
Außerdem sehe ich mich nicht als Laie – im Gegensatz zum Publikum. Ich kann nämlich zaubern – und die nicht. Insofern geht Ihre Gleichsetzung völlig ins Leere.
Klar, wer einen Profi engagieren will, soll das gerne tun. Allerdings bekommt man auch von mir bei einem Auftritt keine Artikel vorgelesen.
Mit besten Grüßen
Gerhard Riedl
Nun hat mir der Kollege nochmal geschrieben, dabei aber festgestellt, sein Kommentar sei „nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“ gewesen. Daher werde ich seine neuerlichen Anmerkungen nicht hochladen.
LöschenDass es sich bei einem Blog nicht um ein privates Poesiealbum handelt, scheint ihm nicht bekannt zu sein. Zudem frage ich mich: Wozu dann das Ganze? Da ich keine Adresse habe, kann ich ihm leider nicht antworten. Offenbar handelt es sich also um eine Botschaft, welche ich lediglich mit Demut zur Kenntnis nehmen soll.
Tja, Profi halt...