Ampel oder rechts vor links?

 

„Wenn die Ampel ausfällt, gilt rechts vor links“ (Wutbürgerin gegenüber „Spiegel TV“)

Ich habe nicht geglaubt, dass ich solche Verhältnisse nochmal erleben muss: Im Osten der Republik ist die rechtspopulistische AfD zweitstärkste Kraft, und in meinem Bundesland wird sich die Regierung nur halten können, indem sie via Freie Wähler den rechten Rand zurückdrängt.

Figuren wie Hubert Aiwanger rocken die Bierzelte mit Parolen, die man auch noch mit zwei Promille verstehen kann (oder erst ab diesem Wert): Die „Narren in Berlin“ wollten den Menschen das Schnitzel, die traditionelle Familie und die volkseigene Sprache verbieten. Dafür gibt es in den Umfragen einige Prozente mehr. Ein Prosit der Gemütlichkeit!

Klar, die Ampel-Regierung hat viele Themen kontrovers behandelt, und das auch noch öffentlich und in großer Lautstärke. Dagegen ergab eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, zur Mitte der Legislaturperiode habe das Dreierbündnis bereits zwei Drittel der Vorhaben des Koalitionsvertrags umgesetzt oder zumindest auf den Weg gebracht.

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/september/halbzeitbilanz-der-ampel-regierung-koalition-setzt-trotz-streits-viele-versprechen-um

In den Medien dagegen ist fast täglich vorwiegend vom Streit zwischen diesen Parteien die Rede. Um dann kluge Analysen zu veröffentlichen, wie es zur Unzufriedenheit der Bürger mit den Regierenden komme.

Gerne schwafelt man vom „Volkswillen“, welcher endlich einmal verwirklicht werden müsse. Dabei vergisst man, dass es ja der Wähler war, der diese Koalition ins Amt geführt hat. Alternativen waren nach den letzten Wahlen nicht erkennbar, denn einer Großen Koalition zwischen der Union und der SPD war man überdrüssig, mit Union und FDP wollten die Grünen nicht. Und Linke sowie AfD dürfen eh nicht. Allerdings war es für mich dann nicht verwunderlich, dass sich vor allem die Parteiprogramme von Grünen und FDP nur mit größter Kraftanstrengung in Regierungshandeln umsetzen ließen. So what?

Sicherlich wurden von den Koalitionären teilweise schwere Fehler gemacht: Man sollte als Politiker nicht schlagartig vors nächste Mikrofon rennen, wenn man meint, etwas sagen zu müssen. Das ginge besser hinter verschlossenen Türen. Gerade die Liberalen gefielen sich darin, die regierungseigene Opposition zu geben. Wieso man sich beispielsweise bis heute dem vernünftigen und wirksamen Vorschlag von „Tempo 130“ widersetzt, bleibt das Geheimnis des Verkehrsministers.

Doch auch im linksgrünen Lager hat man auf Mist nicht verzichtet. Mit Wucht stürzte man sich auf Themen, die wirklich nur großstädtische Soziologie-Student*innen interessieren: Wie man diskriminierungsfrei zu sprechen und schreiben habe, wer alles warum ein Rassist sei, welche Essgewohnheiten es zu beseitigen gebe, und ob das menschliche Geschlecht angeboren oder anerzogen sei. Dazu das unerträgliche Geschwafel von der „kulturellen Aneignung“ – ein Arbeitsbeschaffungs-Programm lediglich für Kabarettisten.

Zudem sollten einem – wenn man schon mit hoch erhobenem Zeigefinger unterwegs ist, biografische Irrtümer à la Baerbock ebenso wenig unterlaufen wie Vetterleswirtschaft im Habeck-Stil. Da nützt es dann nichts, mit dem Finger auf andere Parteien zu zeigen, bei denen solche Touren seit langer Zeit zur Polit-Folklore gehören. Und denen man solche auch verzeiht.

Manche Vorhaben – an der Spitze der Entwurf des Gebäudeenergie-Gesetzes – haben schon eindrucksvoll gezeigt, dass man sich in gewissen Kreisen in einer Blase bewegt, in der die Realität einfacher Menschen nicht mehr vorkommt. Da muss man sich nicht wundern, wenn der „Volkszorn“ tobt.

Klar, man darf dem Kanzler durchaus vorhalten, nicht gerade den Eindruck straffer Führung zu verbreiten. Vor allem, da derzeit die Sehnsucht nach einem „starken Mann“ an der Spitze allenthalben zunimmt. Und – wie Trump, Erdogan oder Putin beweisen: Die kriegen es dann ja auch hin – zumindest das eigene Volk. Da ist mir ein Regierungschef, der lieber unspektakulär seine Arbeit macht, statt vor den Fernsehkameras den Gorilla zu spielen, im Zweifel lieber. Vor allem, wenn es um die Frage geht, ob wir einen dritten Weltkrieg riskieren sollten.

Und um es deutlich zu sagen: Die Teilhabe von Frauen am politischen Geschehen sollte mehr als selbstverständlich sein. Dennoch ist es bescheuert, die „Quote“ zum obersten Prinzip zu erheben. Eignung und nicht Geschlecht müssen entscheiden. Ich bin fest davon überzeugt: Wäre Habeck und nicht Baerbock der Spitzenkandidat gewesen, wäre eine linksgrüne Koalition möglich geworden. Zudem wären der Regierung Nullnummern wie Anne Spiegel und Christine Lambrecht erspart geblieben. Von Strack-Zimmermann ganz zu schweigen. 

Sicherlich darf man das alles kritisieren. Aber vielleicht doch mit ein wenig Sachlichkeit und Verstand statt mit Gebrüll und geistig reduzierten Parolen. In meiner kleinen Welt des Tango kriege ich diese Art der „Kritik“ ebenfalls immer wieder mit: „Ihr Beitrag ist wieder einmal an Dummheit und Unkenntnis nicht zu übertreffen. So ein Kommentar, der mich neulich auf meinem Blog erreichte. Mehr gab es zu meinem Artikel nicht zu sagen. Nur starke, knappe Worte überzeugen…

Die „Wutbürger“ haben eine seltsame Auffassung von Demokratie. Die ist nur erfüllt, wenn es genauso läuft, wie sie es sich vorstellen. Andere Meinungen oder auch Mehrheitsentscheidungen sind per se „undemokratisch“, weil sie damit nicht einverstanden sind. So einfach – um nicht zu sagen: simpel – stellen sich gewisse Naturen das Funktionieren eines Staates vor.

Kann man sich in diesen Spatzengehirnen ausmalen, wie schwierig es ist, dieAnsprüche von über 60 Millionen deutschen Wahlberechtigten auf einen Nenner zu bringen? Dass dies überhaupt nur mit Kompromissen möglich ist? Stattdessen wird vom „Volk“ schwadroniert, welches von den Machthabern nicht berücksichtigt werde. Dass genau dieses Volk sie gewählt hat, interessiert nicht.

Gerne faselt man von „Mehrheiten“, die es in der Realität nicht gibt. Ich erinnere mich noch mit Vergnügen an das Querdenker-Volksbegehren zur Absetzung des bayerischen Landtags, das mit 2,15 Prozent grandios scheiterte. Aber man hat ja noch die Trump-Version in der Hinterhand: natürlich alles manipuliert!

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/10/der-landtag-darf-bleiben.html

Zunehmend beunruhigt mich die Einstellung, der Staat müsse einen in jeder Lebenslage alimentieren. Wenn nicht, wird sofort losgeplärrt. Diese Strategie mag man Dreijährigen zugestehen – Erwachsenen nicht.

Unsere Regierenden haben mehr Krisen (von Corona über den Ukraine-Krieg bis zur Klimaentwicklung) zu meistern als alle Politiker seit 1949. Dass dies auch für den Einzelnen nicht ohne negative Folgen bleibt, ist klar.  

Wenn die Sprüchemacher der Rechtspopulisten an die Macht kämen, würden sie die großen Probleme ebenso wenig lösen können wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: Nach einem Jahr Amtszeit hat sich dort das Flüchtlingsproblem verschärft. Das Einzige, was diese Herrschaften zuverlässig hinkriegen, ist der Rückgang bürgerlicher Freiheiten, der Toleranz und des Respekts vor Minderheiten.

Und zur Sicherheit: Bedrohungen von Amtsträgern sind keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten!

Was kann man gegen das Erstarken rechter Strömungen tun? Ich fürchte, es ist kontraproduktiv, die „Nazi-Keule“ zu schwingen. Was die Nationalsozialisten nicht erst ab 1933 angerichtet haben, ist historisch ziemlich einmalig. Kurt Schumacher sagte 1932 im Deutschen Reichstag:

„Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. […] Wenn wir irgendetwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, dass ihm zum ersten Mal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist."

Das ganze Geschimpfe über die „Faschisten“ lassen die Herrschaften, welche sich für eine Alternative halten, an sich abperlen. Ja, viele sind sogar noch stolz darauf. Helfen könnte, diese Leute bei jeder Gelegenheit sachlich zu stellen, klarzumachen, welche Auswirkungen das hätte, was sie stolz als „Programm“ vorgeben. Und möglichst vielen zu erklären, dass autoritäre Systeme stets den kleinen Leuten schaden und den Privilegierten nützen. Dass solche Parolen sich nur im Bierzelt bewähren – nicht in der Realität außen herum.

Daher bin ich im Zweifel eher für eine Ampel als für die Regel „rechts vor links“. Das schützt vor allem die Schwächeren und hat im Verkehr viele Unfälle verhindert.

    

https://www.youtube.com/watch?v=mqSHru1MUpQ

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.