Aiwanger die Zweite

 

Nach einer ziemlich schmallippigen Entschuldigung dreht Hubert Aiwanger nun voll auf Attacke.

Gestern hielt er im Bierzelt des „Karpfhamer Fests“ eine denkwürdige Rede:

Ja, er selber habe in seiner Jugend auch mal „Scheiß gemacht“. Es sei aber falsch, mit Sachen, die vor 35 bis 40 Jahren passiert seien, nun zur „beruflichen Existenzvernichtung“ zu schreiten. Man müsse befürchten, dann im fortgeschrittenen Alter sogar erpresst zu werden.

So hätten Eltern ihre Kinder sogar davor zu warnen, Dinge im Internet zu hinterlassen, die 40 Jahre später gegen sie verwendet werden könnten. Wohin solle das noch führen?

Hier Ausschnitte der Ansprache:

https://www.youtube.com/watch?v=JDHXGNkl_p8&t=28s

Aiwanger, das scheint nun seine Verteidigungslinie zu sein, sieht sich als Opfer linker Medien, die damit die bayerische Landtagswahl beeinflussen wollten, eventuell mit dem Ziel, die Grünen in die Staatsregierung zu bringen.  

Von seinen Anhängern wird das alles mit frenetischem Applaus gefeiert. Ja, der „Hubsi“ sei halt noch einer mit Rückgrat, der sich nicht verbiegen lasse!

Dazu möchte ich diese Botschaft in die bayerischen Bierzelte schicken:

Mich hätte es gefreut, wenn das Rückgrat des Freie Wähler-Chefs auch mit einem Hintern in der Hose geendet hätte.

Selbstverständlich darf man Dinge, die ein Jugendlicher äußert, nicht überbewerten. Persönlich muss ich aber sagen: In der 11. Klasse war ich sicherlich eine ziemlich „linke Socke“. Aber wenn ich damals die Mao-Bibel im Schulranzen transportiert oder meine Klassenkameraden mit der erhobenen Arbeiterfaust begrüßt hätte, wüsste ich das noch. Auch, wenn ich Witze darüber gerissen hätte, dass man Industriebosse einfach abknallen könne. Oder Sympathien mit dem Kommunismus geäußert hätte.

Wäre das so gewesen und ich würde heute darauf angesprochen, gäbe ich das sofort und unumwunden zu – und würde nicht nur das scheibchenweise eingestehen, was man mir ohnehin nachweisen kann. Und ich hätte vom ersten Moment an bekannt, damals ein jugendlicher Trottel gewesen zu sein.

„Nachher ist man gescheiter“, sagt Aiwanger in der obigen Rede. Ich finde nicht, dass er diesen Maßstab erfüllt.

Von Kommunikations-Experten höre ich in diesen Tagen immer wieder, die meisten Rücktritte oder Entlassungen in der Politik erfolgten nicht wegen der zugrunde liegenden Verfehlungen, sondern wegen des Umgangs mit diesen Vorwürfen. Und da stolpert der stellvertretende Ministerpräsident derzeit von einem Fettnäpfchen ins nächste.

In meinem vorigen Artikel habe ich die „Erdinger Rede“ Aiwangers im Detail besprochen. Nicht nur in dieser liefert er aktuell gnadenlosen Populismus. Immer wieder stellt er die „Normalen“ den politischen „Spinnern und Narren“ gegenüber, die unser Land „kaputtmachten“. Er faselt von einer imaginären „Mehrheit“, die sich nun endlich „die Demokratie zurückholen“ müsse. Dass er sein Amt genau dieser Demokratie verdankt, verschweigt er.

Demgegenüber wird unserem Bundeskanzler immer wieder „Führungsschwäche“ vorgeworfen. Darüber kann man streiten. Ich sage nur: Vor einer „Führungsstärke“ à la Aiwanger graust es mir. Wir haben auf der Welt schon genügend „starke Männer“, die dem Volk vormachen, man könne die Welt ausschließlich mittels zweier Ellbogen regieren.

Dem gegenüber ist mir ein Begriff sympathischer, den Olaf Scholz immer wieder verwendet: „Respekt“. Was einen Parteiboss von einem Staatsmann unterscheidet, ist genau das: Sich als Vertreter des ganzen Volkes – und nicht nur einer johlenden Bierzelt-Mehrheit – zu fühlen und auch so zu agieren. Aiwanger beklagt sich nun, seine Gegner wollten „spalten“. Nein, das tut er schon selber, indem er politisch Andersdenkende nicht mit Anstand und Argumenten bekämpft, sondern sie persönlich diskreditiert.

Mit dem Begriff Menschenfreund" kann ich das nicht verbinden.

Und im Gegensatz zu ihm rate ich Eltern dringend dazu, ihre Kinder vor einem unüberlegten Umgang mit dem Internet zu warnen. Wir hätten dann nicht das um sich greifende Phänomen des Cybermobbings. In meinen Veröffentlichungen habe ich stets den Grundsatz verfolgt: Was einmal im Netz landet, kriegt man nie wieder weg.

Klar ist natürlich: Wenn ein Politiker Mist baut, wird das die Konkurrenz für sich nützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Aiwanger so naiv ist, den Effekt nicht zu kennen. Er hat aber selber viel zu diesem Erfolg beigetragen.

Man darf gespannt sein, ob Markus Söder seinen Stellvertreter nun entlässt. Ich finde, er könnte damit ein Zeichen dafür setzen, dass man die AfD nicht dadurch verhindern kann, indem man sich als rechtspopulistische Alternative darstellt. Die meisten wählen dann lieber das Original als eine schlechte Kopie.

Die Erfolge der AfD in den Umfragen – und auch ihr gestern veröffentlichtes „Regierungsprogramm“ – machen mir große Sorgen. Sicherlich: Die Bundesrepublik ist nicht Weimar. Aber auch damals haben viele nicht verstanden, dass jede Regierung in Krisenzeiten dem Volk viel abverlangen muss. Und dass es dann leichtfällt, der Politik aus der rechten Ecke „Totalversagen“ vorzuwerfen. Wenn man hinterher merkt, dass es die Maulaufreißer noch viel schlechter können, ist es oft zu spät. Ich würde neuerliche historische Katastrophen gerne vermeiden.

Aus privaten Gründen war ich in der letzten Zeit öfters auf der idyllischen Strecke von Adelsried nach Horgau unterwegs. Kurz davor führt ein kleiner Weg in den Wald, wo ein Schild auf den „Gedenkort Blechschmiede Horgau“ hinweist. Ich habe dann einmal angehalten und mir die Örtlichkeit angesehen.

Gegen Ende des Krieges entstand dort ein KZ-Außenlager, in dem vorwiegend Häftlinge – unter unwürdigen Bedingungen – Flugzeugteile zusammenbauen mussten. Nach Kriegsende wurden die Gebäude von den Amerikanern abgerissen. Die Fundamente verschwanden unter einer Fichtenanpflanzung. Erst 2010 wurden sie von Schülerinnen und Schülern wieder freigelegt. Hinweistafeln informieren heute über eine Örtlichkeit, die man jahrzehntelang verdrängt hatte. Es gibt offenbar auch junge Menschen, die anders gestrickt sind.

So viel zum Thema: Lieber Gras (oder gar Fichten) drüber wachsen lassen…

https://de.wikipedia.org/wiki/KZ-Au%C3%9Fenlager_Horgau

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.