Liebes Tagebuch… 77

Diesmal statt des „Worts zum Samstag“ eine Tagebuch-Geschichte, die nicht weniger lustig ist:

Vor zwanzig und mehr Jahren haben Karin und ich uns gelegentlich dazu hinreißen lassen, vorzutanzen. Anfangs Standard- und Lateinamerikanische Tänze, später auch Tango argentino. Beworben haben wir uns dafür nie – aber bei Schul- und anderen Feiern suchen die Veranstalter halt öfters nach irgendwelchen „Attraktionen“, die nichts kosten.

Von den Breitensport-Turnieren her waren wir ja daran gewöhnt, unsere Tänze kritischen Augen darzubieten – daher hielt sich unsere Nervosität in Grenzen. Ich glaube, wir bekamen unsere Auftritte meistens einigermaßen hin. Eine Profi-Show war ja auch nicht versprochen. Und ich glaube, solchen Wagnissen muss man sich in jüngeren Jahren unterziehen – später weiß man, was man alles nicht kann. Daher lässt man es dann lieber.

Bei einer Tanzvorführung allerdings läuft es mir in der Erinnerung immer noch kalt den Rücken herunter. Ich hoffe, keine „dienstlichen Geheimnisse“ zu verraten, wenn ich die Geschichte nun erzähle – immerhin fand sie ja ziemlich öffentlich statt. Und vor gut 20 Jahren.

An meiner damaligen Schule hatte es sich Anfang der 2000er Jahre längst herumgesprochen, dass der Chemie- und Biologielehrer auch tanzen konnte. Schlimmer noch: Neu im Kollegium war eine Dame, welche aus Argentinien stammte (wohl mit deutschen Vorfahren) und ebenfalls Tango konnte.

Daher setzte man uns beiden zu, doch beim nächsten Schulkonzert eine „Tanz-Show“ zu bieten. Schließlich hatte das hauseigene Orchester „La Cumparsita“ im Programm!

Ich muss gestehen, dass ich von dem Angebot nicht begeistert war. Meine Partnerin in spe war Kunsterzieherin – und von dieser Spezies hatte ich, als Schüler und späterer Kollege, kaum jemanden kennengelernt, der nicht ordentlich einen an der Waffel hatte. Die konkrete Dame – nennen wir sie „Margerita“ – machte da keine Ausnahme. Zudem hatte sie (vielleicht wegen meiner Barutti-Anzüge und italienischen Seidenkrawatten) bislang einen Bogen um mich gemacht. Sie war eher der Jeans-Typ. Und sie verfügte über ein laut krähendes Stimmorgan mit leicht argentinischem Einschlag.

Doch was hilft es, wenn die anderen beschließen, ein „Traumpaar“ entdeckt zu haben? Da muss man dann durch! Daher verabredeten wir uns mit langen Zähnen zu einer Übungsstunde.

Gerne räume ich ein, dass sich meine Tangofähigkeiten damals auf bescheidenem Niveau bewegten. Ich hielt die Achterbasse für den Grundschritt und konnte ein paar Ochos und Drehungen, mehr nicht. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich „Vida mía“ auflegte und es mit Margerita probierte.

Ihr sofortiger Aufschrei – „Wo ist der Maan, ich spür ihn niichd“ – hallt auch nach zwanzig Jahren noch durch meine Gehörgänge. Sprich: Ich hätte gefälligst von meiner noch etwas Standardtanz-verdorbenen Tanzhaltung abzugehen und rappeleng zu agieren. In den folgenden 60 Minuten bestimmte Margerita, wo es langging, indem sie mich kompromisslos an ihre Heldinnenbrust nietete.

Na ja – irgendwie kriegten wir unser gemeinsames Tun schon gebacken – freilich unter der Führung meiner Partnerin. Und selber glaubte ich damals noch, dass Argentinierinnen „den Tango im Blut“ haben. Widerspruch also zwecklos!

Womit Margerita allerdings in den nächsten Wochen die Kolleginnen nervte, war ihr bevorstehendes Outfit. Keinesfalls, so tönte es oft durchs Lehrerzimmer, sei sie bereit, sich in einen sexy Fummel zu quälen. Schon aus Gründen der Emanzipation! Aber sollte sie dann in Jeans tanzen? Fragen über Fragen…

Mir war auch damals schon die Klamotte einer Tanzpartnerin eher egal, aber erfahrungsgemäß fürchtete ich: Natürlich wird sie im Endeffekt etwas Beinfreies anziehen. Ich sollte recht behalten.

Kurz vor dem Event hatten wir uns in der Schule zu einer „Generalprobe“ verabredet. Nach längerem Suchen fand ich meine Traumfrau in einem Kunst-Grundkurs, wo sie mit ihren Schülerinnen und Schülern (!) darüber diskutierte, ob sie sich nun für das Schwarze mit langem Rock oder das Dunkelrote mit Schlitz bis zur Hüfte entscheiden solle. Ich hätte damals vor Scham im Boden versinken mögen. Zumal ich wusste: Es wird auf das Geschlitzte hinauslaufen.

So war es dann auch. Vor dem feixenden Grundkurs spielte ich in meinen Kassettenrecorder eine MC mit „La Cumparsita“ ab – und wir hampelten uns durch den Klassiker. Dennoch riesiger Beifall vom Kurs (wofür auch immer) – und schließlich erschallte Margeritas Frage: „Had maan die Untärhosse gesähen?“

In diesem Moment war ich felsenfest davon überzeugt: Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Ich sollte mich irren.

Am Abend des Konzerts traf ich auf eine mega-nervöse Margerita. Klar: falsches Kleid, falscher Mann. Als wir schließlich (vor geschätzt 300 Zuschauern) auf der Bühne standen und das Schulorchester mit einer ziemlich teutonischen Version der „Cumparsita“ loslegte, war meine Partnerin kommunikativ nicht mehr erreichbar. Sie stelzte und hackte sich durch die Nummer, als gäbe es kein Morgen. Und meine Fähigkeiten in Krisenmanagement waren damals noch unterkomplex. So wehrte ich mich halt, so gut ich konnte.

Nur wer sich schon mal vor Publikum produzieren durfte, kennt das Gefühl, dass sich dreieinhalb Minuten wie dreieinhalb Stunden anfühlen können. Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann in der erlösenden Schlusspose landeten – und die Zuschauer sogar applaudierten. Ob man die Unterhose gesehen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Mir blieb der Anblick – wegen der angepappten Haltung – jedenfalls erspart.

Daher kann ich es Hubert Aiwanger nachfühlen, dass einem „Jugenderlebnisse“ peinlich sein können. Ich hoffe inständig, dass es von der einstigen „Tanzshow“ keine Bilder oder gar Videos mehr gibt. Aber im Gegensatz zum Chef der Freien Wähler bekenne ich mich zu dem Mist, den ich damals gebaut habe. Und ich entschuldige mich bei allen, die sich diesem Anblick aussetzen mussten.

Mit „Margäriitaa“ aber habe ich kein Wort mehr zu unserem Auftritt ausgetauscht – und auch sonst gingen wir einander im Kollegium wieder aus dem Weg. Meine Lust, mit Argentinierinnen zu tanzen, ist seit damals jedenfalls stark gesunken. Und heute weiß ich:

„Argentinophilie ist heilbar!“

Illustration: www.tangofish.de

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