Hilfe, Tanzdiebe!
Das Tangoblog, welches ich gestern entdeckt habe, bietet dem Satiriker jede Menge Stoff. Natürlich darf dort das Dauerthema „Cabeceo“ nicht fehlen. Beispielsweise bei der Frage:
„Was kann man gegen Tanzdiebe tun?“
Das Problem wird so beschrieben:
„Ihr wisst schon, diese Leute, die direkt zum Tanz auffordern und dem Gegenüber keinen Ausweg lassen. Sie sind diejenigen (nicht neu), die immer tanzen, obwohl mit ihnen schwierig zu tanzen ist, die nie Unterricht nehmen. Und viele andere ihrer Rolle sitzen. Diese Leute haben es meist auf die besten Tänzer oder Besucher abgesehen, gehen sogar auf Gastlehrer zu, auch wenn sie keinen Workshop besucht haben. Sie schleichen sich zwischen einen Cabeceo, unterbrechen ein Paar beim Reden oder stellen sich jemanden in den Weg, bevor dieser die Tanzfläche verlassen hat.
Die Leute informieren sie über den Cabeceo – hier sind einige ihrer Ausreden: 1. Das habe ich noch nie gehört! 2. Ich habe mein Geld bezahlt, also werde ich tanzen. 3. Ich weiß, aber ich bin nicht gut darin. 4. Das werde ich sicher nicht tun. Währenddessen bekommen diejenigen, die sich an die Regeln halten, keinen Tanz. Ich plädiere nicht für die strikte Einhaltung des Cabeceo, ich weiß, dass er schwer ist, aber ich sage den Leuten, dass sie dem Gefragten immer einen Ausweg lassen sollen. Kann man etwas tun?“
Weitgehend besteht in einer Fülle von Kommentaren die Ansicht, sowas gehe gar nicht – notfalls müssten die Organisatoren einer Milonga hart durchgreifen. Eine Auswahl besonders schöner Beiträge:
„Es liegt an den Veranstaltern, die Verwendung des Cabeceo durchzusetzen (oder auch nur dazu zu ermutigen) oder von mündlichen Aufforderungen abzuraten; zumindest von solchen, welche die Leute unter Druck setzen, mit ihnen zu tanzen. Sie müssen die Leute wissen lassen, dass es ihr Recht ist, Einladungen aus jedem Grund abzulehnen, und dass sie sich nicht rechtfertigen müssen. Und sie müssen auf Beschwerden über Leute, die andere zum Tanzen zwingen, schnell und entschieden reagieren. Vorzugsweise eine Verwarnung und ein Verbot/Verweis aus dem Lokal, wenn das Verhalten anhält.
Wenn die Opfer dieser Clowns weiterhin deren Einladungen annehmen, dann macht es ihnen entweder nichts aus oder sie haben zu viel Angst bzw. wissen nicht, dass es in Ordnung ist, Nein zu sagen. Ich möchte nicht in eine Opferbeschuldigung verfallen, aber die beiden Hauptgründe, warum diese Clowns so weitermachen, sind, dass die Organisatoren es nicht wissen/es ihnen egal ist, oder dass diese Schwachköpfe für ihre Taten durch Tänze mit Leuten belohnt werden, von denen sie wissen, dass sie sie nie ablehnen werden, was ihre Vorgehensweise nur als die profitabelste bestätigt.
Wenn die Organisatoren sagen, dass auf ihrer Milonga mündliche Aufforderungen in Ordnung sind, auch wenn sie nicht unter Freunden stattfinden, und sich nicht einmischen wollen... Dann glaube ich nicht, dass irgendjemand etwas anderes tun kann, als entschieden abzulehnen und seinen Standpunkt zu vertreten. Oder man sollte vielleicht ein paar Leute in Bereitschaft haben, die als moralische Unterstützung fungieren und den Zielpersonen dieser Schwachköpfe helfen können, nein zu sagen, wenn sie es nicht selbst tun können.“
Also im Klartext: Eine kleine Gang, die vor der Dame aufbaumt und dem Typen klarmacht, er dürfe sich trollen.
„Wenn sie sagen, dass sie diskriminiert werden: Sie zwingen Menschen dazu, mit ihnen zu tanzen. Das ist ein Verstoß gegen die Rechte und Freiheiten der Menschen. Also ist Diskriminierung durchaus gerechtfertigt.
Wenn sie sagen, die Milonga sei unfreundlich: Tja, sie sind diejenigen, welche die Milonga zu einem Albtraum für die Tanzenden machen.“
Na gut, meine persönlichen Albtraum-Erlebnisse auf Milongas gehen in eine andere Richtung…
„Als Lehrer lehre ich den Cabeceo und wie man zu erkennen gibt, dass man für eine Einladung offen ist. Aber das kann für meine Folgenden von Nachteil sein, weil sie auf eine Einladung warten, während andere hereinplatzen und fragen. Sollte ich den Führenden beibringen, wie man höflich ablehnt? Viele Männer lassen sich gerne auffordern (bis zu einem gewissen Grad) und denken nicht daran, dass andere, höflichere Folgende warten.
Wenn es einen Mann gibt, der die jungen, hübschen und/oder naiven Frauen ausnutzt, ist es an der Zeit, dass drei oder mehr der größeren Männer in der Gemeinschaft ihn beiseite nehmen und ein Gespräch mit ihm führen. Das ist es, was wir hier tun. Funktioniert prima.“
Ja, solche „Gespräche unter Männern“ kennen wir auch aus dem Straßenverkehr: Meist kommt danach erst die Polizei und dann der Krankenwagen… Besser, man ruft gleich die Uniformierten:
„Es ist Zeit, die Samthandschuhe auszuziehen. Sagt während der Milonga regelmäßig, dass ‚Belästigung unerwünschte Aufmerksamkeit ist und nicht akzeptiert wird. Belästigung ist, wenn man dieselbe Person mehrmals um eine Tanda bittet und die Person immer ‚NEIN!‘ sagt. Du darfst nur einmal in den Apfel beißen. Wenn ich (der Organisator) mehrere Beschwerden über Belästigung erhalte, wird dieser Führende von meinen zukünftigen Milongas, Practicas und Kursen ausgeschlossen. Ich werde andere Organisatoren über dein schlechtes Verhalten informieren. Ich habe KEINE Angst, die Polizei zu rufen. DU solltest Angst haben.
Glauben ihr, dass das funktioniert? Subtilität funktioniert offensichtlich nicht.“
Anzumerken wäre, dass dieses Blog von einem Tanzschuhgeschäft in den USA betrieben wird. Und dort sitzt der Colt bekanntlich ziemlich locker. Aufrufe zur Vernunft sind eher dünn gesät:
„Ich kratze mich Kopf. Keine der (…) beschriebenen Verhaltensweisen erreicht den Grad der Belästigung. Belästigung für wen? Ihr ruft die Polizei wegen schlechter Manieren oder Umgangsformen, die euch bei anderen nicht gefallen?“
Quelle: https://www.dance-forums.com/threads/what-can-be-done-about-dance-stealers.51307/
Gerne gebe ich zu, das Problem zu kennen: Tatsächlich sind es meist ältere, nicht gerade preisverdächtige Tänzer, die insbesondere bei jüngeren und hübschen Damen ziemlich klebrig werden: Ungefragt setzt man sich neben diese und textet sie erstmal bis zur Besinnungslosigkeit zu. Wenn dann eine Musik kommt, welche sie sich zutrauen (und das kann länger dauern), drängt man die Dame zu einem Tanz. Das weibliche Pendant kommt ebenfalls vor, jedoch deutlich seltener.
Sicherlich kann das lästig werden – ebenso wie ein langweiliges Programm des DJ, lautes Gegacker und Gekreische auf den Sitzplätzen, pappiges Parkett, schlecht gelüftete Räumlichkeiten und vieles mehr. Eine Milonga ist halt kein Ponyhof.
Die Opfer könnten solchen Belästigungen aber aus dem Weg gehen – beispielsweise, indem man den Sitzplatz wechselt, mal kurz vor die Tür oder aufs Klo geht, die Unterhaltung einsilbig gestaltet oder demonstrativ jemand anderen auffordert. In vielen Fällen kommt die Botschaft dann an.
Und klar, zum „freien Wettbewerb“ auf einer Milonga gehören auch Selbstbewusstsein und eine Portion Mut. Fürs restliche Leben übrigens auch. Dennoch sehe ich das Hauptproblem vieler Tänzerinnen nicht darin, zum Tanzen genötigt zu werden, sondern zum Sitzen.
Persönlich kann ich mich nur an ganz wenige Fälle erinnern, wo solche Zudringlichkeiten wirklich massiv wurden. Dann mag eine klare Ansage vonnöten sein – auch durch den Veranstalter. Aber vielleicht besuche ich halt meist Milongas, wo ein gewisser Benimm zur Geschäftsgrundlage gehört.
Ich glaube, was die meisten Kommentatoren nervt, ist schlicht die Tatsache, beim Auffordern auch mal den Zweiten zu machen. Da ich meist auf eine Dame zugehe und sie um einen Tanz bitte, wurde ich gelegentlich schon von einem Cabeceo überholt, welcher im Gegensatz zu mir mit Lichtgeschwindigkeit arbeitet. So what? Dann halt nicht!
Ebenso verzichte ich auf Tänze mit Tangueras, bei denen die Männer ersichtlich Schlange stehen. Man muss ja nicht alles haben – und irgendwann passt es meist doch mal. Da hilft nur Geduld.
Auf jeden Fall ist es eine schlechte Idee, persönliche Misserfolge mit dem Ruf nach einer Ordnungsmacht zu quittieren – leider auch im sonstigen Leben eine männliche Domäne.
Persönlich ist es mir piepegal, wie meine Kollegen auffordern – so lange sie mir das ebenso zugestehen. Und da liegt leider die Crux:
Die Militanz im Tango kommt nicht von denen, welche mit den allfälligen Regeln eher locker umgehen, sondern fast stets aus der konservativen Ecke, wo abweichendes Verhalten erstaunlich aggressiv quittiert wird. Man kann es dort offenbar nicht ertragen, dass Menschen halt verschieden gestrickt sind. Aber genau das würde zur Buntheit einer Szene beitragen, in der leider eher Schwarz-Weiß-Denken dominiert.
Und um „Tanzdiebe“ handelt es sich in keinem
Fall. Dafür wäre Voraussetzung, dass der Tanz dem Bestohlenen gehört. Oder zumindest die Frau.
Ich kann mich noch an einen bejahrten, ziemlich bewegungsreduzierten Tänzer erinnern, der eine Tangofreundin auf jeder Milonga mindestens einmal aufforderte. Ich fragte sie einmal, ob sie das nicht nerve. Ihre Antwort:
„Na ja, wir haben ein Abkommen: Er lässt mich tanzen, und dafür darf er mich anfassen.“
P.S. Sexuelle Belästigungen sind ein Dauerthema – junge Männer sollten sich vor allem auf Friedhöfen vorsehen:
https://www.youtube.com/watch?v=9RlegzmR5Mk
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