Der Landtag darf bleiben
Über das bayerische Volksbegehren „Landtag abberufen“ habe ich bereits im August berichtet, als die zum Start nötigen 25000 Unterschriften zusammenkamen:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2021/08/muss-der-landtag-fallen.html
Verantwortlich für die Aktion zeichnet Joachim Layer, 1. Vorstand der „WirPartei“. Beide eint, dass sie keiner kennt – trotz intensiver Suche gelang es mir bislang nicht, Näheres über den scheinbaren Aktivisten zu entdecken. Stellvertretender Anführer des Volksbegehrens ist der pensionierte Polizist Karl Hilz, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird und gegen den ein Disziplinarverfahren läuft. Hilz ist ein gefragter Redner auf Querdenker-Demos, da er immer mal wieder fordert, den bayerischen Ministerpräsidenten und andere führende Politiker vor ein Kriegsgericht zu stellen.
https://www.endstation-rechts-bayern.de/2021/08/querdenker-wollen-landtag-aufloesen/
Die Sprüche zur Begründung des Ganzen waren zunächst ziemlich massiv: Von einer Demokratie könne in Bayern eigentlich nicht mehr die Rede sein, die Abgeordneten des Landtags seien nur Marionetten der Parteizentralen, es stelle sich die Frage, ob man dieses Parlament „nicht ganz abschaffen“ solle.
Im Lauf der Zeit schien man dann doch zu merken, dass man mit derartig aggressiver Werbung die Menschen eher verschreckt. Nun hieß es, man sei parteipolitisch neutral, habe kaum etwas mit den „Querdenkern“ zu tun und wolle ja nur das politische Bewusstsein der Bürger schärfen. Die heftigen Formulierungen verschwanden von der Website.
Diese Woche nun das Ergebnis: Mit etwas über 200000 Unterschriften wurde das Ziel von einer Million deutlich verfehlt. Gerade einmal 2,15 Prozent der bayerischen Wahlberechtigten hatten unterschrieben. Von allen 22 Volksbegehren im Freistaat, die seit 1946 stattfanden, hatte es die niedrigste Zustimmungsquote.
https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbegehren_%E2%80%9ELandtag_abberufen%E2%80%9C
Auf der Website des Volksbegehrens findet sich nun eine weichgespülte Erklärung, die eine krachende Niederlage in einen relativen Erfolg umdeuten möchte:
„Unabhängig vom Ergebnis haben wir aber jetzt schon erreicht, dass sich viele Bürger mit dem Thema Politik und Demokratie im Landtag wieder auseinandersetzen. Auch wenn wir das Ziel, eine Million Mitbürger zu mobilisieren, nicht erreichen konnten, haben viele Mitbürger Zivilcourage gezeigt und sich für das Volksbegehren eingetragen. Diesen Mitbürgern gilt unser größter Respekt, sie haben den Mut aufgebracht, sich für den Rest der Bürger, für die Gesellschaft und für die Demokratie, ohne Rücksicht auf die eigene Person, einzusetzen. Unsere Gesellschaft und mit ihr die Demokratie in Bayern haben einen großen Schritt durch dieses Volksbegehren gemacht, auch wenn das für einige noch nicht so klar erkennbar ist.“
https://buendnis-landtag-abberufen.de/
Da zähle ich mich gerne zu denen, welchen den Sinn dieses Schritts ebenfalls schleierhaft ist…
Auch auf der Facebook-Seite des Bündnisses klingt es ähnlich, wobei ich den Versuch, die Aktion auch noch als „erfolgreichste“ hinzustellen, schon ziemlich dreist finde:
„Mehr als 200000 Bürgerinnen und Bürger haben das Begehren ‚Landtag abberufen‘ trotz einer sehr negativen medialen Berichterstattung mit Ihrer Unterschrift unterstützt. Auch wenn dieses Ergebnis etwas unter den Erwartungen liegt, so ist das Begehren doch das bislang mit Abstand erfolgreichste der liberal-konservativen Kräfte in Bayern!
Wir werden die Ergebnisse nun im Detail analysieren, um daraus für zukünftige Projekte Erkenntnisse zu gewinnen. Wir fangen gerade erst an!“
https://www.facebook.com/landtagabberufen
So sehr sich diese Leute von den etablierten Politikern absetzen wollen: Die Begabung, offenkundige Tatsachen durch wolkige Klischees zu verschleiern, ist bei ihnen durchaus vorhanden!
Auch die bayerische Sektion der Partei „Die Basis“ – neben der AfD Unterstützerin des Volksbegehrens – verwendet auf ihrer FB-Seite eine ähnliche Tonart und begegnet Hohn und Spott („Deppenzählung“) wie folgt:
„Wie kommst du darauf, dass es schlecht gelaufen ist. Hier geht es um Gesicht zeigen und wozu ein Volk fähig ist. Das haben wir geschafft. Und es ist nicht weg zu reden. (…) Unsere Politiker sollen für alle Bürger im Land da sein. Und das sind sie ganz offensichtlich nicht.“
„Anstatt das Volksbegehren ‚Landtag abberufen‘ zu unterstützen, um die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte zu beenden, ist es bequemer zu Hause zu bleiben, auf der kuschligen Couch und darauf zu hoffen, dass mehr staatliche Vorgaben mehr Sicherheit bringen.“
https://www.facebook.com/dieBasisBayern
Insgesamt hält man sich mit Wählerbeschimpfungen aber zurück, ebenso mit Vorwürfen der „Wahlfälschung“. Offenbar hat man damit bei der Bundestagswahl schlechte Erfahrungen gemacht. Solche Verdächtigungen und wüstes Geschimpfe fand man aber vor einiger Zeit noch auf der FB-Seite der Bundesparteil „Die Basis“. Den entsprechenden Artikel zum Volksbegehren hat man inzwischen aber gelöscht.
Die Erlebnisse der kommunalen Verwaltung beschreibt in der SZ der Bürgermeister von Wenzenbach, Sebastian Koch (SPD): Er habe ja Verständnis, ‚dass es kritische Haltungen zu manchen Entscheidungen der Staatsregierung und des Landtags gibt‘, die in der Pandemie getroffen wurden. Aber dieses Misstrauen, das auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Wenzenbacher Rathaus entgegengeschlagen sei, habe ihn betroffen gemacht. Manche seien ein oder zwei Tage nach ihrer Unterschrift noch einmal gekommen, ‚um sich zeigen zu lassen, ob die Unterschrift noch da ist‘. Andere hätten dem Rathauspersonal ‚ausführlich erklärt, in welchem Verbrechersystem wir hier angeblich arbeiten‘.
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-volksbegehren-landtags-aufloesung-1.5451221
Andererseits sollte man mit dem Umkehrschluss vorsichtig sein, knapp 98 Prozent der Wahlberechtigten seien mit unserem politischen System zufrieden. Ein Volksbegehren ist keine Meinungsumfrage. Schließlich muss man eine gewisse Aktivität entwickeln, um herauszufinden, wo und wann man unterschreiben kann, und sich dann noch auf den Weg machen. Vorher sucht man eventuell eine halbe Stunde nach dem Personalausweis, den man schließlich in der Badetasche zwischen Sonnenöl und Strandlatschen findet. Alles nicht so einfach…
Was man allerdings sicher sagen kann: Eine große Mehrheit sah keinen Sinn darin, diese Aktion zu unterstützen. Zumal ein eventueller Volksentscheid ja auch nur zu Neuwahlen geführt hätte – und ob im neuen Parlament dann eine Querdenker-Partei vertreten gewesen wäre, darf man stark bezweifeln. Möglicherweise hätte auch noch die AfD Sitze verloren.
Das scheinheilige Getue des unterlegenen Bündnisses zur Abberufung des Landtags finde ich schon ziemlich frech: Man kann nicht zuerst Zeter und Mordio schreien und dann so tun, als seien die bescheidenen Wünsche ja erfüllt worden. Nein: Wäre unsere Freiheit tatsächlich so gefährdet gewesen, hätte das die Menschen massenweise zur Unterschrift treiben müssen.
Kurz gesagt: Man hat monatelang Schwachsinn verbreitet und weigert sich nun, die Quittung ehrlich anzunehmen. Gerne greift man stattdessen in der Branche zu Verfolgungs-Mythen: Die Medien sind ja staatlich gesteuert, die Richter bestochen, die Politiker samt und sonders Schurken. Die Vermutung, die Mehrheit nicht überzeugt zu haben, wird ausgeschlossen.
Das Zerrbild, das die Initiatoren von der Arbeit im Landtag gezeichnet haben, wird deutlich, wenn man eine Stellungnahme des grünen Abgeordneten Toni Schuberl liest:
„Es ist seit eineinhalb Jahren wohl kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht mit dem Thema Corona befasst habe. Wir haben in unserer grünen Landtagsfraktion mit hochrangigen Expertinnen und Experten diskutiert, darunter waren Virologen, Psychologen und Intensivmediziner. (…) Wir hatten täglich Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern aus allen Bereichen, von der Gastronomie über den Einzelhandel, aus dem Schul- und Kindergartenbereich bis hin zu den Arbeitern in Kurzarbeit. Ich habe unzählige Debatten mit Corona-Skeptikern geführt und mir deren Links und Youtube-Videos angesehen."
Das schreibt ein Oppositions-Politiker. Das Mitglied einer Form der Volksvertretung, welche nach Winston Churchill die schlechteste aller Regierungsformen darstellt – wenn man die anderen außer Acht lässt. Vielleicht sollte man ja dem einen oder anderen „Freund der Freiheit“ mal ein Praktikum in einem Abgeordneten-Büro anbieten. Ich glaube, nach einer Woche Tretmühle in der Corona-Krise würde er seine Sprechblasen überdenken.
Nun wissen wir: Der Landtag darf bleiben. Die Diktatur erhielt nur 2,15 Prozent. Das finde ich beruhigend.
P.S. Doch lassen wir zum Schluss noch einen „Klardenker“ sprechen, der damals noch seinen Optimismus mit sich führte:
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