Tagebuch einer S-Bahnfahrt

 

Eigentlich wollte ich heute einen Artikel zum Thema „Tango-Códigos“ schreiben. Der muss bis morgen warten, denn gerade kam mir eine entzückende Geschichte in die Quere – nicht zum ersten Mal in der Facebook-Gruppe „Nothing but the Truth – Aufklärung über die Verschwörungsszene“.

Es geht um ein Reglement anderer Art – die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen. Obwohl die Verfasserin Steffi Mayer meint, sie könne „nicht so gut erzählen“, halte ich den Text für eine (real)satirische Glanztat. Ich habe den Beitrag stilistisch etwas geglättet und zitiere in voller Länge.

Viel Vergnügen!

Tagebuch einer S-Bahnfahrt

7 Uhr, der Bahnhof ist leer, ganz ungewohnt, denn alle sind schon in der S-Bahn. Sie ist tatsächlich mal pünktlich gekommen.

Auf der Suche nach einem Sitzplatz. Ich komme an einigen Kinn-Atmern vorbei. Naja, kein ungewohnter Anblick mehr.

Auch ich habe einen Platz gefunden, in meinem Sichtfeld ein Passagier komplett ohne Maske. Er telefoniert. Naja, vielleicht zieht er danach die Maske auf.

5 Minuten später, das Telefonat ist beendet. Die Maske glänzt weiterhin mit Abwesenheit.

Die ersten Fahrgäste setzen sich zu dem Passagier, schauen diesen an und stehen wieder auf. Setzen sich wortlos woanders hin. Ich überlege, ob ich was sage. Entscheide mich dagegen, denn mea culpa, aber ich bin einfach nur noch müde, was das angeht.

Die S-Bahn hat mittlerweile die dritte Station erreicht. Ein weiterer Fahrgast betritt den Zug. Er setzt sich zu dem maskenfreien Fahrgast. Der neu Zugestiegene nestelt in der Tasche, reicht dem maskenlosen Mitfahrer eine frische Maske mit den Worten „Kann ja mal passieren, dass man seine Maske nach 2 Jahren Pandemie vergisst."

Ich gestehe, ich muss etwas grinsen. Der maskenlose Fahrgast nimmt sie nicht an, denn er habe ein Attest zur Maskenbefreiung, das er aber natürlich nicht herzeigt, denn das geht niemanden was an. Ja, hat ja auch keiner danach gefragt.

Es entspinnt sich eine Diskussion. Die üblichen Argumente auf beiden Seiten fallen. Innerhalb von Sekunden ist das Bullshit-Bingo mehrfach erfüllt. Von wegen Coronavirus kommt durch die Maske, Sauerstoffmolekül nicht, darunter kann man nicht atmen, Einatmen giftiger Pilze, Schlafschafe, von denen da oben gesteuert, mal richtig informieren, Schiffmann, Bhakdi etc, endlich aufwachen, Rothschild, selbst denken, der Hund vom Onkel vom Friseur hat gesagt...".

Kurzfristig driften meine Gedanken ab. Ich wette mit mir selbst, wann die BRD GmbH, Merkel muss weg, aber die Kinder… in diesem Kontext genannt werden. Und richtig, nur ein paar Minuten später kann ich auch dies abhaken. Die Diskussion dauert nun schon 29 Minuten, der ganze Zug hört interessiert zu. Manche steigen bedauernd aus, sie hätte das Ganze gerne noch länger verfolgt. Ich habe noch 30 Minuten Fahrt vor mir, mal schauen, wie es weitergeht. Der andere Fahrgast hat bislang übrigens richtige Quellen angeführt in dieser Diskussion.

Update: Zum Schluss, nachdem es nochmal um Quellen ging, kam nur ein "Google selbst, Wissen ist eine Holschuld“ (ich vermute, diese Person meinte HoHlschuld), und dann sprang sie am Bahnhof aus der S-Bahn.

Ich gestehe, der Schluss enttäuschte dann schon.

Quelle: https://www.facebook.com/groups/NbtT.DasOriginal (Post vom 27.4.22)

Na ja, bei (hoffentlich) wahren Geschichten kommt halt am Schluss nicht immer die Über-Pointe! Aber es war vorher schon lustig genug.

Meine Sympathie für die Verfasserin beruht natürlich auch darauf, dass ich durchaus ein Anhänger (sinnvoller) Regeln bin – in der S-Bahn ebenso wie im Tango. Der Unterschied ist halt: Die Maskenpflicht im Waggon schützt die Fahrgäste vor einer potenziell tödlichen Erkrankung und wurde daher staatlich angeordnet. Die Cabeceo-und Tanzspurverordnungen im Tango dagegen schützen nur die dortigen Rechthaber und machen alles krampfiger als nötig. Daher greift der Staat hier nicht mit Gesetzen ein.

Er gestattet sogar, dass man nun wieder in beliebiger Teilnehmerzahl auf engstem Raum, aneinander gepappt und ohne Maske tanzen darf. Komischerweise wird das auf konservativer Seite weitgehend begrüßt – ohne etwa eine Masken- oder Testpflicht zu fordern.

Darf ich da auch mal behaupten, die (vorwiegend) traditionell Tanzenden lehnten sinnvolle Regeln ab?

Faktencheck: Ja, Mund-Nasen-Bedeckungen verhindern wirksam die Ausbreitung von Aerosolen in geschlossenen Räumen! Wer’s nicht glaubt, darf sich gerne ein langweilig-wissenschaftliches Video dazu ansehen: 

https://www.youtube.com/watch?v=YldbjQkpUTg

Kommentare

  1. man könnte also sagen, du seist der bhakdi des tango?

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    1. Welchen Faktenchecks halten meine Texte denn nicht stand?

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    2. ich sehe da eine parallele zwischen bhakdis haltung zu den corona-regeln und deiner haltung zu den tango-regeln.

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    3. Ich dachte mir schon, dass es mit dem Faktencheck nichts wird...

      Gegen Regeln zu sein stellt keine Parallele dar. Es kommt darauf an, welche Regeln es sind.

      Herr Bhakdi lehnt sinnvolle Regeln ab, indem er wissenschaftlich unhaltbaren Blödsinn behauptet und so die Gesundheit vieler Menschen gefährdet.

      Ich lehne sinnlose Regeln ab, weil ich finde, dass sie bei einem Gesellschaftstanz die Menschen unnötig gängeln und einengen. Dabei beziehe ich mich auf plausible Tatsachen und gefährde niemand.

      Wenn man darin eine Parallele sieht, kann das nur an einem Knick in der Optik liegen.

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    4. was würde bhakdi schreiben? vielleicht dies?

      "Ich lehne sinnlose Regeln ab, weil ich finde, dass sie im gesellschaftlichen Leben die Menschen unnötig gängeln und einengen. Dabei beziehe ich mich auf mir plausible Tatsachen und gefährde niemand."

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    5. Wenn du meinst... Ich empfehle, diesen Text mal Menschen vorzulesen, die nahe Angehörige durch Corona verloren haben, weil diese auf Bhakdi-Mythen hereingefallen sind. Sollte das schlecht ankommen, sag einfach, dass es ja wie im Tango ist!

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    6. stimmt.

      lustig hingegen ist es, wenn ein von geburt an blinder erklärt, fotos seien nur ein stück langweiliges papier. wenn er nur seinen sinnen und eigenen erfahrungen traut, wird man ihn nicht von dieser einschätzung abbringen können.

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    7. Sorry, aber es gibt sicherlich noch unzählige sinnlose Vergleiche. Daher werde ich darauf nicht mehr eingehen.

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    1. Der Kommentar wurde gelöscht, da er persönlich herabsetzende Äußerungen enthält und sich nicht auf das Thema des Artikels bezieht.

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  3. Nach meinem Eindruck sind Milongaveranstalter am besten gefahren, wenn sie die Corona-Verordnung umgesetzt haben, durch die Umetikettierung von Milongas zu Praktikas noch "kreativ" ausgelegt, ohne sich in Diskussionen zu verstricken.

    Die Vorsichtigen kamen auch bei zusätzlichen Maßnahmen nicht, lamentierten aber viel. Und die Unvorsichtigen organisierten sich im schlechtesten Falle im Untergrund und bauten daraus eine nachhaltige Konkurrenz auf.

    Jetzt sollen ja alle "geimpft, genesen oder gestorben sein", aktive Tangotänzer können diesen Status m.E. sowieso nicht vermeiden. Es ist so wie mit den finanziellen Verlusten, die für Veranstalter in der Corona-Krise aufgelaufen sind:
    Der Drops ist gelutscht - davon will die Kundschaft nichts mehr hören.

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    1. Ja, so ungefähr ist es!

      Wobei ich immer noch vermeide, mich mit 50 und mehr Gästen auf vollem Parkett zu drängen. Aber glücklicherweise gibt mir das "große Tangogetümmel" eh nicht viel. In kleiner Runde auf dem Wohnzimmer-Parkett und mit meiner Lieblingsmusik fühle ich mich wohler.

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