Online-Konzert 20.4.22: Unsere Lieblingstangos
Gestern suchten wir wieder einmal den digitalen Kontakt zu unseren Musikfreunden. Diesmal wählten wir Titel aus, die unsere Damen schon oft gespielt haben, und welche daher auch in den Details wirklich dem Charakter der Stücke entsprechen. Wie immer habe ich das Ganze ein wenig moderiert. Natürlich darf man das Publikum dabei nicht zutexten – ich finde aber, mit ein wenig Hintergrundinformation hat man mehr von der Musik. Daher biete ich nachfolgend meine Original-Moderation an.
Mit der Veröffentlichung von Video-Aufnahmen sind die Damen aus gewissen Gründen vorsichtig geworden. Daher habe ich – mit einer Ausnahme – zu den einzelnen Titeln andere Interpretationen ausgesucht, die mir besonders gefallen.
Und nun los:
Liebe Gäste,
herzlich willkommen zum Online-Konzert des „Duo Tango Varieté“ unter dem Motto „Unsere Lieblingstangos“.
„La Cumparsita“ dürfte der am meisten verbreitete Tango aller Zeiten sein. Der uruguayische Architekturstudent Gerardo Matos Rodriguez komponierte ihn 1917 zunächst als Marsch für eine studentische Karnevalsgruppe in Montevideo. Angeblich wollte er damit die Straßenumzüge der Schwarzen parodieren.
Im gleichen Jahr arrangierte der Pianist und Orchesterleiter Roberto Firpo das Stück als Tango. Matos Rodriguez verkaufte die Komposition 1918 für 50 Pesos an einen Musikverlag und verlor das Geld anschließend beim Pferderennen.
Dennoch gilt der Titel als Glücksbringer: In einer traditionellen Milonga wird stets zum Schluss des Tanzabends eine Version von „La Cumparsita“ aufgelegt. Daher spielen wir sie zu Beginn!
https://www.youtube.com/watch?v=cc0vrWq9uJ4
Zuckersüße Streicherteppiche kontrastiert mit markanten Klavier-Einwürfen – das war das Markenzeichen des Orchesters Osvaldo Fresedo. Der Bandoneonspieler und Komponist leitete sein Ensemble 63 Jahre lang – ein Rekord in der Tangogeschichte! 1933 komponierte er seinen erfolgreichsten Titel: „Vida mía“. Den Text schrieb sein Bruder Emilio – mit durchaus abgründigen Passagen: „Vida mía – lejos mas te quiero“ – „Du mein Leben, so weit weg liebe ich dich umso mehr.“
Hören wir nun eine ultimative Tango-Schnulze!
https://www.youtube.com/watch?v=jgTIbO0w22c
Der 1903 entstandenen Titel „El Choclo“ ist kaum weniger bekannt als „La Cumparsita“. Sein Komponist, Ángel Gregorio Villoldo, arbeitete in verschiedensten Berufen: als Kutscher, im Schlachthof, als Zirkusclown und Gitarrist. Villoldo kam angeblich auf den Namen „El Choclo“, also „der Maiskolben“, weil er von diesem Stück gut leben konnte – in einer argentinischen Redensart: „sich den ‚Puchero‘ verdienen“, also einen Eintopf aus Fleisch und Gemüse, vor allem Mais. Aber sicher trug die erotische Komponente des Titels ebenso zum Erfolg dieses Tangos bei.
Hier darf ich nochmal an unser Wohnzimmer-Video von 2015 erinnern: „El Choclo“ beginnt dort bei 5:18, zu Beginn spielen die Damen „El Porteñito, zum Schluss ab 8:06 „El día que me quieras“. Es ist interessant, die Aufnahmen nach über sechs Jahren wieder zu hören: Damals spielte das Duo durchaus gut, aber heute „leben“ die Stücke noch viel mehr!
https://www.youtube.com/watch?v=fX4SXOPa4cY
Weiter geht es mit einem eher traurigen, aber wunderschönen Stück, dem 1928 entstandenen „Bandoneón arrabalero“ – „Bandoneon der Vorstadt“. Der Text von Pascual Contursi erzählt von einem Mann, der nicht mehr singen kann. Er findet an der Tür einer Mietskaserne ein altes Bandoneón, das ihm seine Stimme verleiht und ihn tröstet: „mit deiner heiseren Stimme und deinen schmerzlichen Tönen“.
Hier das Stück in der Version von Aníbal Troilo und Roberto Goyeneche:
https://www.youtube.com/watch?v=CqaFBqEjPiE
Das Hauptthema vieler Tangos ist die Nostalgie – speziell die traurige Erinnerung an eine einstige Liebe. So auch bei dem Tangowalzer „Sueño de Juventud“ – Traum der Jugend“, den 1931 Enrique Santos Discépolo schrieb.
Nachfolgend eine Aufnahme mit Tania (Ana Luciano Divis, 1893-1999), einem bei uns kaum bekannten argentinischen Gesangsstar, begleitet vom Orchester Armando Lacava:
https://www.youtube.com/watch?v=v-zcygSyTfg
Nun geht es munterer weiter: Gregorio Villoldo schrieb 1903. „El Porteñito“ – „Der Kleine aus Buenos Aires“, ein schnelles Stück im Zweivierteltakt, eine Form des Tango, welche an die „Payadores“, ländliche Bänkelsänger in der Tradition der Gauchos, erinnert: die Milonga. Der witzige Text erzählt von einem gerissenen Typen, der die Frauen mit seiner Tanzkunst beeindruckt und ausnimmt:
Wenn das Geld schon knapp wird, erzähle ich meiner Süßen ein Märchen, dass sie die schlaueste Frau ist, die jemals im südlichen Stadt-Viertel erschienen ist. |
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Und wie vom Himmel gefallen kommt Nickel in den Geldbeutel rein, und zum Takt einer Drehorgel tanze ich den Tango auf ihr Wohl. |
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„El Porteñito“! (Video siehe oben)
Es folgt eine Romantik-Schnulze, die Carlos Gardel, der legendäre Tangosänger, 1935 auch in seinem gleichnamigen Film darbot: „El día que me quieras“ – „Der Tag, an dem die mich liebst“.
Im Text von Alfredo Le Pera heißt es:
„Es streichelt meine Träume das liebliche Murmeln deines Seufzers. Wie lacht das Leben, wenn deine schwarzen Augen mich anschauen möchten und der Schein deines zarten Lächelns mir gehört.“
https://www.youtube.com/watch?v=EYAaA34YzUU
Nun wird es kühler – ein Tango aus nördlichen Regionen: Der dänische Geiger Jakob Gade schrieb Musik für Stummfilme. 1925 verfasste er seinen Welthit „Jalousie“ („Eifersucht“). Er war sein einziger großer Erfolg. Die Tantiemen reichten aber für ein sorgenfreies Leben und Gründung einer Stiftung für junge Musiker.
https://www.youtube.com/watch?v=1Gqn5vinAGw
Von Kurt Weill, dem Komponisten der „Dreigroschenoper“, stammt „Youkali“. 1934 schrieb er die Tango-Habanera für die Oper „Marie Galante“ – das Wort steht für eine Insel der Träume:
Dies ist das Land unserer
Sehnsüchte.
Es ist Glück, es ist Vergnügen.
Dies ist das Land, in dem wir alle Sorgen vergessen
Es ist in unserer Nacht wie ein Lichtstrahl.
Der Stern, dem wir folgen.
Es ist Youkali.
https://www.youtube.com/watch?v=Fl3hBEeeZXo
Zum Schluss herzlichen Dank an unser Publikum und die beiden Damen des „Duo Tango Varieté“:
Bettina Kollmannsberger (Akkkordeon und Refraingesang)
Karin Law Robinson-Riedl (Violine und Gesang)
sowie an Manuela Bößel für die technische Unterstützung.
Ein Stück haben wir noch – es ist nicht direkt ein Tango:
Bei uns wenig bekannt ist der französische Schauspieler, Sänger und Komponist Charles Trenet – in seinem Heimatland aber gehören seine Chansons immer noch zum kulturellen Allgemeingut.
In „La Mer“ meditiert Trenet über die verschiedenen Stimmungen der See und wie er durchsie berührt wird. Obwohl er das 1943 geschriebene Stück anfangs nicht besonders mochte,
wurde es sein größter Erfolg. Typisch ist ein völlig assoziativer Text:
Das Meer
Man sieht es tanzen entlang klarer Golfküsten
In silbernem Glanz
Das Meer
Schillernde Lichtreflexe
Bei Regen
Das Meer
Bei Sommerhimmel vermischt es
seine weißen schäfchengleichen Schaumkronen
Mit den Engeln so rein
Das Meer, Schäferin des endlosen Blaus
https://www.youtube.com/watch?v=PXQh9jTwwoA
***
So, das war’s für dieses Mal! Uns hat das Konzert große Freude gemacht – und ich glaube, auch unseren Zuschauern. Wobei ich das besondere Privileg genieße, hinter der Kamera zu einigen Titel auch tanzen zu dürfen.
Auch vor diesem Hintergrund finde ich, die Abwechslung zwischen den einzelnen Aufnahmen macht viel Lust aufs Tanzen. Vielleicht sollte man dies bei der Zusammenstellung von Tandas einmal bedenken.
Ich hoffe, das Reinhören in die einzelnen Stücke ist auch für die wenigen Tangomenschen interessant und anregend, die sich untypischerweise für Musik interessieren.
Bis bald und hoffentlich demnächst live auf dem Pörnbacher Parkett!
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