Backpfeife gegen „psychische Gewalt“?
Über die Ohrfeigen-Affäre zwischen dem Schauspieler Will Smith und dem Komiker Chris Rock habe ich bereits berichtet. Was mich nochmals zur Feder greifen lässt: Während in den meisten deutschen Medien Artikel erschienen, die Smith für seine Handgreiflichkeit kritisieren, sieht es in den Kommentaren dazu anders aus. Eine Mehrzahl findet, der Oskargewinner habe richtig reagiert. Als Begründung wird die „Verteidigung der Ehre seiner Frau“ angeführt – und zudem sei „psychische Gewalt“ nicht minder schlimm als die physische. Vereinfacht gesagt: „Wer meine Frau beleidigt, kriegt verdientermaßen eine aufs Maul.“
Als Beispiel einige Kommentare zu einem Artikel im „ZEIT Magazin“ mit dem Titel „Will Smith: Das Patriarchat ohrfeigt zurück“:
„Mir persönlich würde eine Ohrfeige weniger weh tun als wiederkehrende Witze über meinen Krankheitszustand.“
„Meine und andere Kinder klagen und leiden mehr bei Beleidigung oder anderen verbalen Verletzungen als über eine Schlägerei oder körperliche Auseinandersetzung... Beide Formen der Gewalt sollten gleichermaßen verboten werden...“
„Manche Ohrfeige trägt mehr zum Verständnis eines Fehlverhalten des Menschen bei, der mit Worten jemanden verletzt hat. Dazu geht es viel schneller, und es ist eine Frage der Ehre, seine Familie zu beschützen. Da benötigt es zur Klärung auch keine Diskussion.“
„Öffentliche Frechheiten und persönliche Beleidigungen sind gesellschaftsfähig geworden! Eine Erkrankung öffentlich zur Schau zu stellen, erlaubt auch, ebenso öffentlich zu reagieren! Die Motivation dahinter ist das entscheidende. Liebe und Verteidigung seiner Frau! Ich wäre stolz auf so einen Mann! Klar muss er die Konsequenzen tragen, aber das macht er bestimmt gerne.“
„Gab es nur körperliche Gewalt? Chris Rock darf beleidigen, herabwürdigen, alles fein. Aber die Schelle, die er dafür kassiert, ist schlimm. Psychische Gewalt ist also ok, körperliche Gewalt aber bäh. Diese Doppelmoral kotzt mich an!“
„Schockiert die verbale Gewalt einer kranken Frau gegenüber Sie nicht? Wie lange mag ihr Mann sich denn schon kontrolliert haben, bis er jetzt endlich explodiert ist? Wie fühlt es sich für die Frau an, vor allen bloßgestellt zu werden, vermutlich nicht zum ersten Mal. Wie oft hat sie mit sich und ihrer Krankheit gehadert? Ich bin keine Freundin von Haudrauf. Aber bei solchen Menschen hilft es ja vielleicht. Die Ohrfeige ist doch ein Witz gegenüber dem, was der Geohrfeigte sich da erlaubt hat.“
Quelle: https://www.facebook.com/ZEITmagazin (Post vom 31.3.22)
Was ich gerne konzediere: Die Anspielung von Chris Rock auf den Haarausfall von Jada Pinkett Smith war alles andere als eine satirische Meisterleistung. Und ja – auch Worte können verletzen.
Das deutsche Recht jedenfalls bietet durchaus Abwehrmöglichkeiten. So kann es für eine öffentliche Beleidigung (§ 185 StGB) bis zu 2 Jahren Haft geben. Voraussetzung ist, dass die Herabsetzung der Ehre einer Person klar im Vordergrund steht. Zivilrechtlich könnte dann noch ein Schmerzensgeld fällig werden.
Ich fürchte, hierzulande würde im Fall Smith vs. Rock nichts dabei herausspringen. Zweifellos war der Hauptzweck der Moderation die Unterhaltung des Publikums, sie muss im Sinne der verfassungsmäßig geschützten Kunstfreiheit gegen die Ehrverletzung gewichtet werden. Zudem ist das Ehepaar Smith prominent – da muss man etwas mehr einstecken können. Vor allem auf Veranstaltungen, bei der bekanntermaßen die Stars von den Moderatoren einiges abbekommen. Es wäre auch eine schlechte Idee, wenn bayerische Politiker zuerst auf den Nockherberg und dann zum Anwalt rennen würden.
Außerdem ist die Frage, ob der Spruch von Chris Rock überhaupt eine Ehrverletzung darstellt. Er hat ja lediglich darauf angespielt, Frau Smith könne – wie vor ihr Demi Moore – durchaus eine kahlköpfige Filmrolle übernehmen. Was objektiv durchaus stimmt.
Was Will Smith betrifft, sieht die juristische Seite weniger gut aus: Die Backpfeife war eine klare Körperverletzung, auf die maximal 5 Jahre Haft stehen (§ 223 StGB). Eine Notwehrsituation bestand nicht. Zusammen mit der öffentlichen Herabwürdigung dürfte die Justiz hierzulande eine Geldstrafe um die 130 Tagessätze auswerfen. Zivilrechtlich zusätzlich ein Schmerzensgeld von mindestens 800 Euro.
Klar, auch „verbaler Gewalt“ muss man sich nicht wehrlos aussetzen. Jada Pinkett Smith gilt als kluge und selbstbewusste Frau. Warum hat sie sich eigentlich nicht mit Worten gewehrt? Ein saftiger Zwischenruf wäre ebenso verständlich gewesen wie eine spätere Presseerklärung. Oder der Gatte hätte bei der Oscar-Verleihung einige deutliche Worte gefunden. Man hätte auch einfach aufstehen und gehen können. Damit hätte man demonstriert, dass man sich irgendwelche unterirdischen Sprüche nicht gefallen lässt. Leider war das Gegenteil der Fall: Obwohl der Veranstalter Smith aufforderte, den Saal zu verlassen, blieb der sitzen.
Es hat gute Gründe, wieso unsere Rechtsordnung darauf besteht, dass man Worte mit Worten und nicht mit Schlägen beantwortet. Anschauliche Beispiele finden sich fast jeden Montag in unserer Lokalzeitung. Eine große Diskothek in der Umgebung liefert meist die Kulisse: Spätnachts missfallen dort öfters einem nicht mehr nüchternen Besucher Kommentare eines Kontrahenten (gerne auch über seine Freundin), worauf der Sprücheklopfer eine aufs Maul erhält. In der Regel haut der zurück oder zieht sogar ein Messer. Meist mischen dann noch Spezln der beiden Widersacher mit, worauf der Sanitätsdienst sowie die Polizei Arbeit kriegen. Das Nachspiel findet in der Regel einige Monate später vor dem Pfaffenhofener Amtsgericht statt.
Schrecklicher Gedanke: Wie, wenn Chris Rock dem Herrn Smith im Gegenzug auch eine gefenstert hätte? Ein guter Anwalt hätte das – eine schnelle Reaktion vorausgesetzt – erfolgreich mit Notwehr begründet.
Letztlich muss man dem Komiker noch dankbar sein, dass er nicht zurückgehauen hat und auch keine Anzeige erstattete. Inwiefern dies auch aus der Einsicht geschah, er sei mit seinem unterirdischen Spruch zu weit gegangen, kann man nur vermuten. Die Filmakademie jedenfalls entschuldigte sich bei ihm und dankte ihm für sein besonnenes Verhalten. Vielleicht führt man ja vor der nächsten Oscar-Sause auch einmal Gespräche mit den Moderatoren über qualitativ hochstehende Satire…
Im Netz wird auch immer wieder argumentiert, Leute vom Kaliber des Komikers bräuchten eine Watschn, weil sie anders die Verwerflichkeit ihres Tuns nicht kapierten. Ich weiß nicht, ob er momentan dazu Gelegenheit hat: Seine erste Comedy-Show nach dem Wochenende in Boston war ausverkauft, seine Fans feierten ihn, die Ticketpreise und der Vorverkauf nehmen rasant zu. Doch auch hier ging er nur kurz und vage auf den Vorfall ein.
Für Will Smith dagegen gestaltet sich der Nachgang geradezu katastrophal: Nachdem er sich am besagten Abend nicht bei Chris Rock entschuldigen mochte, musste er das einen Tag später nachholen. Inzwischen hat die Filmakademie sein Verhalten ausdrücklich missbilligt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Heute wird nun gemeldet, Smith habe seinen freiwilligen Rücktritt aus der Academy of Motion Picture Arts and Sciences bekanntgegeben. Sein Verhalten sei „schockierend, schmerzhaft und unentschuldbar“ gewesen. Er werde auch mögliche weitere Schritte der Akademie akzeptieren.
Fast könnte einem der Schauspieler inzwischen leidtun. Sein Ausraster könnte ihm auch etliche Filmrollen kosten. Zumindest solche, wo er sich für Frieden und Gerechtigkeit aussetzt.
Der wahre Grund seiner unüberlegten Aktion dürfte in seiner Kindheit liegen. In seiner Autobiografie „Will“ beschreibt Smith, dass sein Vater, ein Alkoholiker, öfters gewalttätig gegen seine Mutter war. Er schäme sich bis heute dafür, dass er sie nicht beschützen konnte.
Was mich wirklich alarmiert: Offenbar meinen viele bei uns immer noch – oder schon wieder – Faustrecht könne gerechtfertigt sein. Was sie nicht kapieren: Solche Männer setzten kein „Recht“ durch, sondern haben ein Aggressions-Problem. Häufig haben sie in ihrer Kindheit Gewalt erlebt. Ob sie deshalb ihre Frauen oder andere Männer vermöbeln, ist zweitrangig.
Solche Männer brauchen keine Ovationen – weder bei der Oskarverleihung noch auf Facebook – sondern eine Therapie.
https://www.youtube.com/watch?v=MnV68ltRqF8
P.S. Die Filmakademie hat nun ihre Sanktion verkündet: Will Smith wurde für 10 Jahre von allen Veranstaltungen der Akademie ausgeschlossen.
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