Wie schwer ist es, Tango zu lernen?
Zu dieser zentralen Frage findet man im Netz eine Menge unterschiedlicher Antworten. Die Suche hat mir großes Vergnügen bereitet.
Wie erwartet erfahren wir von Tangoschulen, dieser Tanz sei sehr einfach:
„Der Tango Argentino des 21. Jahrhunderts basiert auf den natürlichen Bewegungsmöglichkeiten des Körpers, so dass jeder ihn lernen kann.“
https://www.tangohamburg.com/tangolernen
Na ja, da habe ich auf dem Parkett schon
kabarettreife Aktionen erlebt… Und wieso 21. Jahrhundert?
„Muss ich tänzerisch begabt oder musikalisch sein, um Tango tanzen zu lernen? Wir sprechen aus 20 Jahren Erfahrung: Alle können Tango tanzen lernen.“
Zweifellos erlernt man in zwei Jahrzehnten das ziemlich perfekte Lügen!
„Tango ist nicht Ballett: Die Bewegungen im Tango sind einfach und organisch. Du brauchst keine Vorkenntnisse und musst auch nicht schon seit der Kindheit tanzen, um Tango zu lernen. In jedem Lebensalter kannst Du ein gutes und fortgeschrittenes Tanzniveau erreichen, je nachdem, wie oft und intensiv Du übst.“
Vorsichtshalber schreibt man nicht, wie lange und intensiv man da üben müsste. Und dass man selbst damit scheitern kann.
„In der Regel können die Paare nach einem dreistündigen Anfänger-Workshop in der Menge mitschwimmen. Nach ca. 2 Jahren machen die Füße auch zuverlässig, was der Kopf sich wünscht. Natürlich kommt auch der persönliche Anspruch an Technik und Ästhetik mit dazu. Spaß macht es eigentlich schon nach der ersten Stunde.“
https://www.medialuna-tango.de/faq/
„In der Menge mitschwimmen“ ist ein schönes Bild. Hinzufügen sollte man, dass es sich um stehendes Wasser handelt. Ich hätte „mitdümpeln“ geschrieben. Ob es Spaß macht, in den ersten Stunden zu Di Sarli im Kreis zu latschen? Aber so genau wollen wir es gar nicht wissen…
Gibt es ein „richtiges“ Alter für den Tango? Auch hier sind Tangoschulen professionell optimistisch:
„Nein, nicht wirklich. Ob Du schon ‚reif' oder noch ‚reif' für den Tango bist, hängt allein von Deiner inneren Einstellung ab. Junge und ältere Menschen können immer Tango lernen, solange sie auf ihren Beinen stehen können. Es gibt Tangostile für jedes Alter.“
https://www.lodelaura.de/tango-kurse/faq
Ja schon, wobei man in der Praxis fast nur den Tangostil für ein bestimmtes Alter erlebt!
Realistischer werden die Einschätzungen, wenn sie von Laien statt von „Profis“ kommen:
„Da ich überhaupt keine Gesellschaftstänze kann und nur begrenzt Taktgefühl habe, wäre meine Frage: Ist Tango ein guter Einstiegstanz?“
„Tango ist m.E. für absolute Neulinge, und noch dazu ohne Taktgefühl, wie Du ja selbst von Dir sagst, nicht der einfachste Tanz. (…) Ich sage damit nicht, dass Du den nie wirst lernen können, aber ich würde den Tango nicht zu Anfang nehmen. Aber versuche es doch ruhig trotzdem, wenn Du möchtest, vielleicht steckt ja ein Tangotänzer in Dir ;-).“
https://www.gutefrage.net/frage/ist-tango-fuer-ungeuebte-schwierig-zu-lernen
Bleibt zu hoffen, dass der Adressat die Ironie
dieses Rates kapiert hat!
Und wie lange wird es dauern, Tango zu lernen?
„Bis du etwas einigermaßen vernünftig und auch mit fremden Tanzpartner(inne)n tanzen kannst, dauert alles ein halbes Jahr, Minimum. Hätte am liebsten geschrieben: ein Jahr, Minimum. Aber das hätte dich frustriert.“
Nein, aber man will ja niemanden frustrieren…. Herrlich!
„Das kommt ganz darauf an wie du dich anstellst. Mit etwas Talent kann man in zwei Jahren ganz schön weit kommen. Wöchentlicher Unterricht und Training natürlich vorausgesetzt.“
https://www.gutefrage.net/frage/wie-lange-wuerde-es-dauern-tango-zu-lernen-wenn-man-mit-23-beginnt
Na, da sind wir doch schon näher an der Wirklichkeit!
Insider, die sich in eigenen Blogs äußern, sind vorsichtig:
„Der Argentinische Tango wird meist als schwieriger Tanz eingestuft. Anders als viele andere Tänze (…) ist der Tango ein Improvisationstanz. Viele Tänzer/innen fühlen sich deswegen zu Beginn etwas verloren.
Bei meinen Tango-Unterrichtsstunden in Buenos Aires war ich überrascht, wie schnell uns der Lehrer auf die Tanzfläche gelassen hat. Im Grunde reicht es schon aus, die Grundschritte zu lernen und sich anschließend führen zu lassen.
Das gilt jedoch nur für die Frauen. Die Männer müssen nämlich ihre Partnerinnen führen, sie können sich also selbst nicht führen lassen!
Das ist natürlich verflixt, Männer, die mit dem Tango anfangen, lassen sich deshalb leider oft schnell wieder demotivieren.
Frauen haben es aber auch nicht immer leicht. Einige Fußkombinationen, die sie ausführen müssen, würden selbst die besten Fußballer/innen blass werden lassen...“
https://www.superprof.de/blog/tango-tanzen-mit-deinem-partner-ein-guide/
Okay, von einer trainierten Fußballerin einen Gancho zu kriegen, könnte riskant werden. Vor allem ohne Schiedsrichter!
„Es gibt einen guten Grund, warum nur wenige Tango tanzen: Tango ist schwer. Er setzt sich nicht aus längeren Schrittfolgen zusammen wie die Standardtänze oder der Salsa, sondern aus kleinsten Schrittkombinationen. Diese Variantenfülle hält den immerfort führenden Mann auf Trab. Unablässig überlegt er, welche Schritte angesichts einer sich öffnenden Lücke zwischen anderen Paaren, des noch unbekannten tänzerischen Könnens seiner Partnerin oder einer näherkommenden Wand möglich, sinnvoll oder gar elegant sind. Er kalkuliert, welche Konsequenzen dies für die folgenden Schritte von ihm und ihr hat und wie er seine Absichten durch eine kurze Gewichtsverlagerung oder sanften Druck auf ihre Schulter vermitteln wird. Sich ansehen ist nicht: Die Körper sprechen miteinander.“
https://www.zeit.de/online/2006/07/meinlebenmitmusik_5
Na, das wird die Männer, die eh mit angezogener Handbremse zum Kurs erscheinen, sicherlich optimistisch stimmen! Grad schee is der Tango…
Und selber? War es für mich schwer, diesen Tanz zu lernen?
Ich habe mir diese Frage nie gestellt. Als wir mit dem Tango begannen, hatten wir eine ziemlich intensive Ausbildung in mindestens zehn Tänzen hinter uns. Welche speziellen Herausforderungen sollte uns dann der elfte bescheren – zumal er wieder mal mit dem Erlernen von Schritten begann? Same procedure…
Warum wir nun schon so lange am Tango hängen bleiben: Uns fasziniert immer noch die unglaubliche Menge an Gestaltungsoptionen, die Vielfalt der Musik, die Möglichkeit, seinen ganz eigenen Tanzstil zu entwickeln. Leider unternimmt man in der Szene das Möglichste, all das einzuschränken, den Tango zum „11. Standardtanz“ herabzustufen. Dennoch bleibt genug Faszination, wenn man die Enklaven kennt, wo noch Freiheiten bestehen.
Daher meine ich: Tango argentino ist anfangs nicht schwerer zu erlernen als alle anderen Gesellschaftstänze. Nach spätestens einem Jahr ist fast jeder und jede in der Lage, tangoähnliche Bewegungen auszuführen (Rose zwischen den Zähnen optional). Am besten zu einer Musik, die nicht weiter stört. Mit dem großen, entscheidenden Rest ist man sein Leben lang nicht fertig.
Man fängt nicht mit dem Tango an – der Tango entscheidet, wen er sich aussucht. Und er wird einen Bogen um diejenigen machen, welche fragen, ob er schwer zu erlernen ist!
Und schon gar wendet sich der Tango mit Grausen von denen ab, die auf den Leim von „Leidenschaft und Sinnlichkeit“ gehen. Auch wenn dieses Marketing noch so gut funktioniert – wie in folgender Buchbeschreibung:
„In den Armen des attraktiven Millionärs Don Rafael verspürt die schöne junge Isobel zum ersten Mal die Erotik des Tangos. Eine Sehnsucht regt sich in ihr - heiß und verboten. Sie darf diesen Mann nicht begehren! Sie muss woanders hinschauen, irgendwohin, nur nicht in diese verführerisch dunklen Augen. Denn auch wenn Argentiniens begehrtester Junggeselle und sie wie ein strahlendes Traumpaar scheinen, liegt ein dunkler Schatten auf Isobels Glück. Immer mehr spricht dafür, dass Rafael nur sein berechnendes Spiel mit ihr treibt. Sie aber hat schon längst ihr Herz verloren …“
https://www.cora.de/products/tango-der-leidenschaft-9783863496586
Na, hoffentlich findet sie's wieder!
Mag die Liebe so schön wie im Kino sein: Lassen wir sie dort!
https://www.youtube.com/watch?v=6lAKlYTQVKY
(Nebenbei: Mich faszinieren bei solchen Szenen stets die vielen Schnitte, damit man das ganze Gestolper nicht sieht!)
Die harte Tango-Wirklichkeit aber sieht anders aus:
(Hier hätten ein paar Schnitte gutgetan!)
Den Kommentar, der mich heute erreichte, kann ich wegen der fehlenden Identifizierung leider nicht veröffentlichen. Schade - ich finde ihn ganz interessant. Solle ich noch einen vollen und wahren Namen bekommen, lade ich den Beitrag gerne hoch!
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