Hallo, Taxi!
Zweimal im Monat bietet die Hamburger Diskothek „Starlight No. 1“ für die Besucherinnen einen besonderen Service – so jedenfalls Berichte in den Medien.
Für sie stehen einige bezahlte Eintänzer zur Verfügung, die man ohne Korbrisiko auffordern kann, die aber auch von sich aus auf herumsitzende alleinige Frauen zugehen und sie zum Tanz bitten. Erkennbar sind die Dienstleister an ihren weißen Hemden mit dem Taxi-Emblem auf dem Rücken.
Im Schnitt absolvieren die Herren drei Tänze mit jeder Dame – in vier Stunden kommen also etwa 16 Partnerinnen pro Mann aufs Parkett.
Die meisten Taxitänzer sind ledig (oder eher „glücklich geschieden“), es gibt aber auch Verheiratete, deren Partnerin ihnen den Spaß an dieser Tätigkeit gönnt. Ein weitergehender „Service“ ist nicht erlaubt – der Club am Hamburger Stadtrand legt großen Wert darauf, nichts mit dem Rotlichtmilieu zu tun zu haben. Das Ganze ist eine Art Retro-Disco fürs reifere Publikum. Ein Türsteher wacht darüber, dass sich nur Gäste einstellen, die zum Stil des Ladens passen.
Seine Taxitänzer müssten nicht unbedingt gut aussehen, so der Clubchef. Verlangt werden aber Charme und Kontaktfreudigkeit. Und natürlich seien Tanzfähigkeiten Bedingung – nicht nur im vorherrschenden Discofox. Auf Wunsch muss auch ein Walzer oder Lateintanz drin sein.
Für die Damen ist der Service bereits im Eintrittspreis enthalten. Für die Taxitänzer gibt es nur eine bescheidene Aufwandsentschädigung. Nach eigenen Aussagen sind es Tanzverrückte, die schon viele Jahre auf dem Parkett unterwegs sind. An solchen Abenden könne man den „Kopf freibekommen“ und einfach seinem Hobby frönen.
Und die Frauen? Das Geschäftsmodell scheint zu funktionieren. Obwohl schon im Omi-Alter, macht man sich schick und reist oft von Weither an. Und über die Jungs vom Taxistand ist man des Lobes voll. Schließlich sind sie die Garantie für etliche schöne Tänze.
Vom Chef des Ladens hört man einige ziemlich lebenskluge Erkenntnisse: Männer würden halt oft mit einem Tanz weitergehende Ziele verfolgen, während Frauen die Bewegung auf dem Parkett meist reiche, um glücklich nach Hause zu gehen. Insofern seien die Damen den Herren überlegen.
Vom NDR gibt es ein ziemlich ausführliches, zweiteiliges Porträt dazu. Und obwohl ich natürlich weiß, dass man nicht alles sagt oder tut, wenn das Fernsehen dabei ist, bleibt doch mein Gesamteindruck: So viele zufriedene Frauen habe ich im Tango nur selten erlebt.
In der für mich anrührendsten Szene berichtet ein weiblicher Gast, ihr habe ein Taxitänzer beigebracht, ohne Angst aufzufordern. Also einfach nett zu fragen…
Wenn ich da an die Verhältnisse im Tango, das Gespreize mit dem Cabeceo, den allfälligen Machismo denke, fühle ich mich in eine andere Welt versetzt: Einfach offen und freundlich miteinander umgehen, ohne jedes Status- oder Genderdenken.
Kriegen die angestellten Eintänzer Körbe? Na klar, manchmal schon. Das gehöre zum Geschäft – und oft klappe es später am Abend dann doch.
Lange Zeit war ich bei dem Thema „Gigolos“ ziemlich skeptisch. Die hier dargestellte Version allerdings halte ich für interessant. Gerade auf größeren Tangoevents sollten es die Veranstalter einmal ausprobieren.
Wichtig finde ich schon einmal, dass die Damen nicht dazu gezwungen werden, die Tänzer direkt zu entlohnen. Die Option ist halt im Eintrittspreis enthalten.
Würden sich auf den Milongas Männer für diesen Job finden, obwohl sie dann „mit jeder“ tanzen müssten? Ich bin da optimistisch. Die Hamburger Taxitänzer jedenfalls sind stolz darauf, es auf dem Parkett mit allen Damen hinzukriegen – „Profis“ halt. Öfters bleiben sie länger als die vereinbarten vier Stunden, weil es ihnen Spaß macht. Als „Tanzknechte“, wie mir jüngst ein Kommentator schrieb, kommen sie sich sicher nicht vor.
Und ich habe einmal von einer hiesigen „Nacht der Gigolos“ berichtet, in denen die Akteure sich durchaus toll fühlten:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/12/die-nacht-der-gigolos.html
Weiterhin müssten Tango-Eintänzer ja nur einen Tanz beherrschen. Na gut – mit den Varianten Vals und Milonga theoretisch drei. Aber davon sieht man auf den üblichen Tangoevents eher wenig.
In einer Zuschrift las ich, es sei ein „Konstruktionsfehler", dass Tango für Frauen deutlich attraktiver wirke als für Männer. Ich sehe es eher als Mangel in der Bauweise, dass die Herren weniger gern tanzen. Aber das wäre ja mit Taxitänzern ausgleichbar. Gespannt wäre ich, ob sich dann bei den durchschnittlichen Tangueros Eifersucht einstellte. Verdient hätten sie es!
Für mich ist es ein wunderbarer Gedanke, wenn im Tango das Gekrampfe mit dem Auffordern, das Problem mit den „Mauerblümchen“ wegfiele. Und wenn viele der Herren mit der „hohen Anspruchshaltung“ erfahren würden, wie manche Frau plötzlich in den Armen eines routinierten Gigolos aufblüht. Ich hoffe, das noch zu erleben!
Und nachdem Veranstalter ja gnadenlos voneinander abkupfern, müsste nur mal ein Mutiger damit anfangen – dann könnte das zum Erfolgskonzept werden. Und der Tango geriete zum Hort zufriedener Frauen…
Hier noch einmal der NDR-Zweiteiler:
https://www.youtube.com/watch?v=1yIo8VNi3TA
https://www.youtube.com/watch?v=24wUrx8twNE
Eine kürzere Fassung gibt es dort:
https://www.youtube.com/watch?v=fdDhusHFGpU
Zum Weiterlesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/man-zahlt-und-du-musst-tanzen.html
Gerhard, ich bin echt überrascht, dass eine Kommerzialisierung der Tanzpartner Dich so begeistern kann. Sicher kann man das bei Festivals mal versuchen. Vielleicht weniger plump als bei Animateuren für eine Diskothek?
AntwortenLöschenIch denke aber es ist effektiver, es skaliert besser, wenn Frauen führen können und dann letztendlich überwiegend mit Frauen tanzen. Es gibt schon jetzt eine Reihe Events die voll darauf setzen.
Und wo Du gefragt hast, ich kann mein Tanzen selbst finanzieren. Wenn das mal nicht der Fall sein sollte ... das werde ich dann sehen. Und ein paar Taxitänzer werden mich schon nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Lieber Martin,
Löschenich habe dich nicht gefragt, ob du dein Tanzen finanzieren kannst. Sondern, wieso du fast jedes Thema im Tango unter ökonomischen Aspekten siehst.
Jetzt auch wieder: Ich betrachte es nicht als „Kommerzialisierung“, wenn ein paar tanzverrückte Männer für eine Unkostenpauschale als Taxitänzer agieren.
Aber klar, es ist natürlich einfacher, mühsame Aufgaben nun wieder den Damen zuzuschieben. Die machen das gratis. So wie es halt im Tango üblich ist…
Und sitzende Berufe wie DJ sind dem sicherlich vorzuziehen.
Beste Grüße
Gerhard
Hallo Gerhard, da wird eine Story fürs Fernsehen erzählt. Finanzamt&Co haben aber keinen Sinn für diese Story, der Service wird auf der Website beworben, die würden Lohnsteuerhinterziehung und Lohndumping im Gastronomiegewerbe unterstellen. Also geh mal davon aus, dass diese Tanzhelden einen Arbeitsvertrag und Mindestlohn haben, auch wenn der Minijob eher was für die Reisekasse sein könnte. Der nette Schwungtänzer mit dem (nach eigener Ansicht) kleinen Bauch sagt doch auch, was er bei privaten Engagements nimmt: realistische 40€/Stunde.
LöschenDu möchtest also, dass Veranstalter einen Service anbieten, bei dem sich nach Deiner Hoffnung bei "durchschnittlichen Tangueros" Eifersucht einstellt und die "Herren mit der hohen Anspruchshaltung" endlich mal düpiert werden. Tja, warum tun Veranstalter das wohl nicht? Natürlich kann man das Tanzen für Männer noch unattraktiver machen, als es das offenkundig schon ist, aber dann bleiben folglich noch mehr weg. Tango ist nur ein Freizeitbereich, die ganz überwiegende Mehrheit kommt völlig ohne aus.
In der hiesigen Praxis kann ein Tangoveranstalter doch nur ein paar "durchschnittliche Tangueros" für die Funktion und einen schönen Titel ("Tangobotschafter"?) begeistern, maximal auf den Eintritt verzichten. Da sollte man aber die "durchschnittlichen Tangueras" mal fragen, wie viele dieser Herren sie abgeben möchten.
Anders sieht das bei Auslands-Events mit einem gewissen Wohlstandsgefälle aus. Ich weiß aus guter Quelle, dass bei Tangofestivals in der Türkei lokale Tangeros freien Eintritt bekommen, den sich sowieso nicht alle leisten könnten, weil alleinreisende Damen üppig für Hotel&Festival bezahlen.
Oder man braucht einen anderes Serviceverständnis. Bei Tangofestivals in den USA lese ich bisweilen, dass Taxitänzer engagiert werden. Wenn man einen Service möchte, bezahlt man dort dafür.
Lieber Martin,
Löschenna gut, die Berichte des NDR sind 10 Jahre alt. Inzwischen hatte die Steuerfahndung wohl genügend Gelegenheit, das Ganze (was ja öffentlich dargestellt wurde) zu überprüfen.
Für die Überwachung des Mindestlohns sind übrigens nicht die Finanzämter, sondern die Zollbehörden zuständig.
Bist du Steuerberater oder Ähnliches? Als Laie, der allerdings seit vielen Jahren seine Steuererklärungen selbst verfasst, ist mir bekannt, dass es die Rubrik „Liebhaberei“ gibt: Tätigkeiten, die man ohne „Gewinnerzielungsabsicht“ ausübt. Nach den Medienberichten arbeiten die Herren dort zweimal im Monat vier Stunden und haben ja auch Aufwendungen wie Fahrt, Kleidung etc. Vielleicht sogar Kosten für eigenen Tanzunterricht, Musikdateien etc. Ob dann ein steuerlich relevantes Einkommen herausschaut, wäre zu prüfen.
Keine Sorge: Noch ist dieses Modell im hiesigen Tango ja kaum üblich. Ich finde es aber eine interessante Idee, die man einmal testen könnte. Veranstalter haben schon größeren Blödsinn ausprobiert.
Wenn das eine bestimmte Sorte von Männern aus den Milongas vertriebe, könnte ich gut damit leben. Ich glaube, viele Frauen auch. Und der Rest kann sich ja ein solches Exemplar (aus heimischem Anbau) mitbringen.
Tja, die Welt ist bunt. Vermutlich werden wir die Lösung im Ausland finden. Am besten in Buenos Aires.
Grüße
Gerhard