Argentinien und die Frauen

Seit einem Jahr ist der rechtspopulistische und ultraliberale Javier Milei (bekannt mit seiner Kettensäge) argentinischer Präsident. Durch radikale Sparmaßnahmen hat er die Inflation in den Griff bekommen. Bezahlen müssen das vor allem die Unterprivilegierten: Inzwischen leben nicht mehr 40, sondern über 50 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Beispiel Frauen: Als eine der ersten Amtshandlungen hat Milei das Frauenministerium abgeschafft. Die Antidiskriminierungsbehörde INADI (Instituto Nacional contra la Discriminación, la Xenofobia y el Racismo) wurde geschlossen. Projekte zur Prävention von geschlechterspezifischer Gewalt, zum Schutz oder zur Unterstützung von Opfern fallen zu großen Teilen weg. Die Hilfsorganisationen müssen sich über Spenden finanzieren, die Mitarbeitenden erhalten kaum noch Gehälter.

Und das in einem Land, wo sogar der linke Ex-Präsident Alberto Fernández kürzlich angeklagt wurde: wegen häuslicher Gewalt gegenüber seiner Ex-Frau!

Die Femizide, also Tötungsdelikte an Frauen wegen ihres Geschlechts, nahmen im letzten Jahr um 11 Prozent zu (322 Fälle – bei uns übrigens letztes Jahr 360).

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/11/lagebild-gewalt-gg-frauen.html

Zum 8. März, dem internationalen Frauentag, hat Milei sich eine besondere Symbolhandlung ausgedacht: Im Präsidentenpalast ließ er den „Saal der Frauen“ (mit Porträts weiblicher argentinischer Berühmtheiten) in einen „Saal der Helden“ umwandeln: Jetzt hängen dort ausschließlich Bilder von Männern – meist Militärs.

Mileis Credo: Der Kapitalismus allein werde es richten. Da solle sich der Staat raushalten, der mit seiner Bürokratie alles nur schlimmer mache.

Den Feminismus hat er dabei als Feindbild erkannt: „Das Einzige, was die radikalfeministische Agenda bewirkt, ist mehr staatliche Intervention, um den Wirtschaftsprozess zu behindern und Bürokraten zu beschäftigen, die nichts zur Gesellschaft beitragen.“

„Das Konzept der sozialen Gerechtigkeit ist abstrus“, so ein weiteres Bekenntnis des Präsidenten. Das zeugt von grenzenloser Liberalität: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott – und wer das nicht schafft, hat eben Pech gehabt!

Seit 2015 gehen die Frauenrechtlerinnen der Organisation „Ni una menos“ („Nicht noch eine weniger“) an jedem 3. Juni auf die Straße, um gegen Gewalttaten an Frauen zu demonstrieren. Damals brachte die Ermordung der 14-jährigen Chiara Páez das Fass zum Überlaufen. Weil das schwangere Mädchen nicht abtreiben wollte, erschlug ihr drei Jahre älterer Freund sie und verscharrte ihre Leiche mit Hilfe seiner Familie im Garten des Hauses.

Quellen:

https://www.srf.ch/news/international/sparen-bei-grundrechten-argentinien-milei-spart-frauen-und-lgbtqi-rechte-weg

https://www.srf.ch/news/international/argentiniens-praesident-javier-milei-sieht-feminismus-als-feindbild

https://taz.de/Feministischer-Protest-in-Argentinien/!6015244/

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/ein-jahr-milei-in-argentinien-was-seine-politik-fuer-frauen-bedeutet

https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/mai/mileis-argentinien-der-antifeministische-backlash

Wahrscheinlich wird mir nun wieder vorgeworfen, ich würde mir Artikeln aus Quellen zusammenbasteln, ohne auf eigene Erfahrungen zurückgreifen zu können. Ich gebe das gerne zu.

Daher wäre ich froh gewesen, wenn in der deutschen Tangoszene solche Themen einmal behandelt würden – es gibt doch genug Wallfahrer*innen, die (manchmal sogar länger) in Buenos Aires weilten! Oder wurden die von den Reiseveranstaltern nur durch ein Postkarten-Argentinien geführt – also vom Hotel zur Milonga respektive Practica und wieder zurück?

Auch bei der Werbung für hiesige Veranstaltungen begnügt man sich mit Bildern erotiktrunkener Tanzpaare aus der fremden Welt. Vielleicht sollten die einmal – statt oft nutzloser Kurse – von den tatsächlichen Verhältnissen in ihrem Heimatland berichten. Dafür würde ich sogar den Eintritt berappen!

Aber klar: Solche Tatsachen sind schlecht fürs Geschäft. Schließlich ist der Katechismus der ritterlichen Rücksichtnahme aufs weibliche Geschlecht in Spanisch geschrieben. Argentinien gilt als Blaupause für die ideale tänzerische Partnerbeziehung.

An den wahren Verhältnissen im Tango-Mutterland ist man in der deutschen Ocho-Branche nicht wirklich interessiert. In der Corona-Krise ermannten sich die hiesigen „Tango-Profis“ zur „Rettung des Weltkulturerbes“. Die Menschenrechte am Rio de la Plata sind dagegen kein Thema.

Ich fände es schön, wenn sich einmal ein anderer Schreiber in unserer Szene damit befassen würde. Aber so muss ich‘s halt tun!

Vor einigen Jahren habe ich eine deutsche Tangolehrerin zitiert, welche antike Geschlechterbeziehungen pries:  

„Hier sind die unterschiedlichen Rollenbilder ein bisschen verloren gegangen. Ich glaube, das ist aber gerade der Reiz im Tango: Sich wieder als Frau und Mann zu finden. Im Alltag ist hier alles sehr gleich. In Argentinien ist es hingegen ein bisschen altmodisch. Schon wenn ich ins Flugzeug steige, habe ich das Gefühl, es ist wie eine Zeitreise. Die Männer halten einem die Türen auf, sie lassen dich zuerst in den Bus einsteigen, sie bieten dir einen Platz an, also lauter solche Gesten. Das steckt alles im Tango mit drin. Die Frauen dort kleiden sich auch ganz anders, sehr figurbetont. Es ist dort auch ganz toll, wenn man einen großen Po hat. Hier ist alles eher möglichst versteckt. Dort dagegen sind die Frauen richtig stolz auf ihren Körper.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/10/ni-una-menos-nicht-noch-eine-weniger.html

Tja, wie fühlt man sich als Frau? Na, hoffentlich nicht mit einem Messer im Rücken!

https://www.youtube.com/watch?v=nvZSFSkKYoM

Kommentare

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