Die Nacht der Gigolos

 

Möglicherweise werde ich nun vom (sehr sympathischen) Veranstalter auf Facebook „entfreundet“ – aber man muss sich stets im Klaren sein: Ab einer bestimmten Dosis an Unsinn landet man halt auf meinem Blog – da kenne ich keine Freunde…

Endlich, so der Organisator, sei es am kommenden Samstag wieder einmal so weit: Die „Nacht der Gigolos“ biete „sechs sehr tanzerfahrene Gigolo*as, welche versuchen würden, „die Tangueras auf der Tanzfläche zu verzaubern. Wie bei Ärzten oder Anwälten wird also Erfolg nicht versprochen, lediglich Bemühung

Bereits die Wortschöpfung „Gigolo*as“ hat natürlich erhebliches satirisches Potenzial. Wobei der Veranstalter dann noch Textzeilen von Julius Brammer aus einem bekannten Schlager von 1924 zitiert:

"Wenn das Herz dir auch bricht
Zeig ein lachendes Gesicht
Man zahlt und du musst tanzen..."

https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6ner_Gigolo,_armer_Gigolo_(Lied)

Als ich mich vor Vergnügen kurz auf dem Teppich wälzte, fiel mir ein: So geht es mir selber auf vielen, vorwiegend „traditionellen“ Milongas – freilich mit dem Unterschied, dass ich dort noch fürs eigene Tanzen zahlen muss!

Mir fiel ein, dass ich das Thema „Taxi-Tänzer“ schon einmal besprochen habe. Eine Passage kam mir wieder in Erinnerung:

Amüsant fand ich die Frage an einen Miet-Tänzer, ob es bei seiner Tätigkeit problematische Momente gebe. Als Antwort erwartete ich die Schilderung erotischer Attacken – aber nein:

„Es kann ein bisschen mühsam werden, wenn der Kunde oder die Kundin überhaupt nicht tanzen kann. Dann muss man als Taxitänzer die ganze Arbeit, beziehungsweise die Arbeit des Lehrers, übernehmen – aber auch das kann Spaß machen, wenn der Wille da ist, besser werden zu wollen.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/man-zahlt-und-du-musst-tanzen.html

Ja, wenn da ein Wille wäre…

Umso schöner, dass dem Veranstalter in seinem Text noch ein Freud’scher Beziehungsfehler unterläuft:

„Unsere Gigolo*as - 'Taxitänzer' - haben nichts mit den Boys/Girls vom Escort-Service gemein, die während der Nacht der Gigolos auf der Piste im Ballhaus ihr Bestes geben werden.

Nun gut, wollen wir hoffen, dass sich nicht noch zum schlechten Tanzen ebensolcher Sex gesellt! Sondern zur professionellen Betreuung junge, drahtige, möglichst südländische Tangueros (oder Tangueras) gestellt werden und nicht ältere, schwäbelnde Herren mit Glatze und Bierbauch!

Zudem gibt es eine Tombola. Ob auch Rheumadecken verkauft werden, konnte ich nicht ermitteln.

Was mir aber als regelerprobter Tangoautor auffällt: Über den Modus Operandi schweigt man sich aus:

Kriegt man als Dame auch mal einen Herrn ab oder muss sie sich (igitt!) mit Ihresgleichen begnügen? Wie läuft überhaupt der ganze „Bestellvorgang“ ab? Eintragung in Wartelisten? Per Cabeceo? Oder streifen die Bediensteten durch den Saal und suchen sich eine Partnerin aus, welche nach menschlichem Ermessen auf freier Wildbahn keinen Tänzer kriegt? Quasi als Gießkanne für Mauerblümchen? In dem Fall wäre ich als Frau echt beleidigt, zu einer Trost-Tanda aufgefordert zu werden!

Generell finde ich: So geht’s ja nun nicht! Während man ansonsten beim Tango alles mit Etikette-Reglements überzieht, bleibt man bei der Taxi-Betanze völlig unbelehrt? Cassiel, fass!   

Und die Musik scheint wieder mal das Unwichtigste zu sein. Außer dem Namen des DJ findet man dazu null Informationen (also wahrscheinlich das übliche historische Ragout).

Stattdessen verbreitet man in der Einladung den einschlägigen Retro-Schmus:

„Die Nacht der Gigolos ist eine Hommage an jene Eintänzer in den Salons der 20er Jahre, die von Zigarettenspitzen, Stirnbändern, Boas und Perlenketten geprägt waren. Accessoires, die heute beim Abendoutfit auf den Milongas zum Teil ihre Renaissance erleben. Die Damen der ‚Goldenen Zwanziger Jahre mussten (oder wollten) für ihre Tänzer damals bezahlen.

Klar, wer hätte nicht schon mal das Gefühl gehabt, mit einer Boa zu tanzen… Zigarettenspitzen aber bitte ohne Zigarette – Rauchverbot! Immerhin kostet die betreute Zehn-Minuten-Sause auf dem Parkett nur einen lumpigen Euro, den man beim (erhofften) Wiederkommen sogar erstattet erhält.

Was mir immer wieder auffällt, ist das – pardon – Geschiss, das man um die Beteiligung von Frauen auf den Milongas macht: Entweder man nagelt sie auf den Cabeceo als einzige Aufforderungs-Option fest respektive akzeptiert Anmeldungen bei drohendem Männermangel erst gar nicht. Oder man greift gar in die Mottenkiste der verarmten kaiserlichen Leutnants von einst, wo noch mehr Lametta war…

Der kleine Leutnant, er war der beste Reiter
und alle Herzen, sie flogen ihm gleich zu.
Er konnte küssen und tanzen wir kein zweiter,
er kann und sah und siegte auch im Nu.
Viel Monde hat er gekämpft in Frankreich drüben,
bald an der Weichsel, Piave, irgendwo.
Jetzt ist ihm nichts mehr geblieben, er wurde Gigolo!

https://www.lyrix.at/t/leonello-casucci-schoener-gigolo-045

Es spricht ja nichts dagegen, wenn alleinstehende Frauen sich einen bezahlten Begleiter für eine Festivität buchen. Sie können dies so diskret handhaben, wie es ihnen passend erscheint. Vor den Augen aller offenbar auf einen Eintänzer angewiesen zu sein, hielte ich als Dame für unterirdisch. Der bekäme von mir einen Korb mit dem Kommentar: „Danke, so nötig habe ich es noch nicht!“

Nach meinem Eindruck wird mit einem solchen Format wieder einmal versucht, Missstände mit organisatorischen Maßnahmen oder Vorschriften zu beseitigen, statt auf die gute Kinderstube zu setzen. Speziell hier hofft man natürlich, durch das Angebot von Gigolo(a)s einen Massenansturm von Single-Frauen zu erreichen.

Liebe Veranstalter, wenn ihr mit gutem Beispiel vorangehen würdet, müsste es keine lange herumsitzenden Damen geben – und ebenso, falls man sich auf weiblicher Seite mal mit dem Erlernen der führenden Rolle anfreunden könnte.

Was dann von dem Gigolo-Schmus bliebe, wäre der schöne Schlager aus den 1920-er Jahren – und den könnte man direkt mal zum Tanzen auflegen:

https://www.youtube.com/watch?v=DkRWZL2Z0zk

Quelle: https://www.facebook.com/events/723087429272372

P.S Hier noch ein Foto der „Gigolo-Brigade“:

https://www.facebook.com/photo/?fbid=10218370366914568&set=pcb.10218370372594710

Kommentare

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