Vortanzen gefällig?
Einer meiner Leser hätte nur zu gerne gesehen, wie ich zu einer bestimmten Piazzolla-Variation tanze. Tatsächlich habe ich sie vor fünfeinhalb Jahren mal in Pörnbach aufgelegt. Ob es davon eine Videoaufnahme gebe?
Mit Sicherheit nicht, da wir stets die Privatsphäre unserer Milonga-Gäste achteten. Ich weiß nach so langer Zeit auch gar nicht mehr, wie ich zu diesem Stück getanzt habe. Irgendwie werde ich mich mit einer Partnerin hindurchimprovisiert haben. So what?
Einen Videobeweis kann ich jedoch nicht vorlegen. Warum auch?
Mein Leser schrieb nun, er könne meine Überlegungen verstehen.
„Aber ich finde es andererseits auch sehr schade. In Deinen Blog Beiträgen hast Du oft darauf hingewiesen, dass Du auf Milongas deutlich mehr gelernt hast als im Unterricht. Da wäre es natürlich schön, wenn wir Tänzer, die noch am Lernen sind, von deinen Tänzen etwas abschauen könnten.“
Auch wenn man mich gelegentlich als „hartnäckig Lernresistenten“ bezeichnete: Ich versuche auch nach 25 Jahren, auf jeder Milonga, bei jedem Tanz dazuzulernen. Es sind ja immer wieder andere Partnerinnen, unterschiedliche Situationen und Stimmungen – und nicht mal zwangsläufig die gleiche Musik. Auch wenn sich da viele DJs große Mühe geben…
Wenn man nicht bei jedem Tanz erneut entschlossen ist, es besser zu machen, sollte man dieses Hobby aufgeben.
Man wird von mir aber keine Zeile finden, in der ich behaupte, ein besonders guter oder gar toller Tänzer zu sein, der nun irgendwie als Vorbild oder gar „Blaupause“ für andere dienen könnte. Irgendeine offizielle „Tangoausbildung“ können meine Frau und ich nicht vorweisen. Buenos Aires haben wir nie aus der Nähe gesehen. Wir boten auch keinen Tangounterricht an – im Gegensatz zu vielen, die so lange dabei sind wie wir. Und wie ich oft erstaunt feststelle, reichen anderen ein paar Jahre, um Kurse oder Workshops abzuhalten.
Ebenso wahr ist aber, dass ich den begründeten Eindruck habe, dass es eine Menge Frauen gibt, die ganz gerne mit mir tanzen – und Partnerinnen sowie Partner, denen es Spaß macht, mit Karin eine Runde zu drehen. Ich kann allerdings gut damit leben, dass sicherlich manche Damen lieber auf einen Tanz mit mir verzichten. Das beruht erstens auf Gegenseitigkeit und ist zweitens nicht schlimm. Die „Chemie“ muss nicht immer stimmen – ebenso wenig wie eine gemeinsame tänzerische Grundeinstellung.
Was nun das Ansinnen des Lesers angeht: Es gibt im Internet und auch in einigen Blogbeiträgen durchaus Videos, in denen man mich tanzen sieht.
Allem voran habe ich 2015 einen Tanz mit Manuela Bößel ins Netz gestellt (ab 5:50):
https://www.youtube.com/watch?v=fX4SXOPa4cY&t=348s
Wie die Aufnahme damals zustande kam, habe ich vor einiger Zeit beschrieben:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/05/zu-besagtem-video.html
Dort kann man auch einen Teil der oft bösartigen Kritik nachlesen, welche dieser Tanz immer wieder erntete. Immerhin ist er mit über 3700 Zugriffen eines meiner meistgesehenen Videos. Wohl auch dank der Musikerinnen.
Ich beschloss damals, weitere Bilddokumente so zu gestalten, dass man meine Tanzpartnerinnen nicht identifizieren konnte. Wenigstens die wollte ich von Häme und Spott verschonen. Und nur noch sehr sparsam neue Videos veröffentlichen.
Einen weiteren kleinen Film drehten wir, als ein damals bekannter Blogger behauptete, ich könne unmöglich zu einem bestimmten Titel von Biagi tanzen. Wir wollten das Gegenteil beweisen:
https://www.youtube.com/watch?v=gWMf_1AXvvw
Auch dazu bekamen wir wieder einen Schwall von Abwertungen mit.
Dennoch Spaß gemacht haben uns zwei Videos, mit denen wir uns nach der Corona-Pandemie zurückmeldeten:
https://www.youtube.com/watch?v=xim9hjOF4bc
https://www.youtube.com/watch?v=HbAv9z0vOuY
Im Rahmen einer „Tanzbarkeits-Prüfung“ probierten wir einmal einen meiner Lieblingstitel: „Mariposita“.
http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/12/tanzbarkeits-prufung.htmlKlar, wenn man etwas veröffentlicht, muss man Kritik ertragen. Insgesamt muss ich aber schon fragen, welcher der Kollegen Lust hätte, weiterhin im Netz vorzutanzen – nur damit irgendwelche Idioten verbale Amokläufe veranstalten, die nur vom Hass gegen einen unliebsamen Autor getrieben sind!
Dasselbe Ergebnis, als ich versuchte, zu den Phrasierungen im Tango einige Erfahrungen weiterzugeben. Das Video erzielte zwar an die 400 Zugriffe, aber auch jede Menge schlimmer Attacken von vermeintlichen oder tatsächlichen Musikexperten. Fazit: Ich verstünde mal wieder gar nichts von der Sache.
https://www.youtube.com/watch?v=rV-8omaKqUw
Ich freue mich natürlich trotzdem, wenn es Leute gibt, die sich von meinen Tänzen etwas abschauen wollen. Tatsächlich habe ich selber viel dabei gelernt, andere Paare zu beobachten. Aber das kann man auf jeder Milonga machen. Wobei es zugegeben früher interessanter war, da man mehr unterschiedliche Stile sah.
Aber ich nun mit 73 Jahren als „Role Model“ fürs perfekte Tangotanzen? Nein, wirklich nicht! Es laufen in der Szene schon genügend Abziehbilder herum, die meinen, an ihrem Tango müsse die Welt genesen. Da bin ich völlig überflüssig!
Ich kann nur jedem und jeder raten, sich die Entwicklung
nicht mit geistigen Barrieren wie „untanzbar“ zu verbauen. Jeder
Berg war irgendwann mal unbestiegen, und die ersten am Gipfel waren nicht die,
welche mit Begriffen wie „unbesteigbar“ operierten – sondern Leute, die es
trotz allem versuchten und erfolgreich waren.
Was in der heutigen Tangoszene fast völlig fehlt, ist die Freude am Experiment – und der Mut, ein Scheitern zu ertragen. Laufen lernt man nur, indem man unzählige Male auf die Fresse fällt – und nicht durch theoretische Erwägungen. Tanzen ebenso. Kein Kleinkind hält zweibeiniges Laufen für „undurchführbar". Das unterscheidet es von vielen Erwachsenen im Tango.
Was ich auf den paar tausend Milongas lernte, entstand vor allem aus dem eigenen Tanzen, weniger der Beobachtung anderer.
Was ich der nachfolgenden Tango-Generation ebenso ans Herz lege: Lasst euch von niemandem weismachen, wie der „richtige Tango“ geht! Schickt Lehrkräfte, die sich in dieser Weise wichtigmachen, in die Wüste – und findet solche, die eure individuelle Entwicklung einfühlsam begleiten.
Die alten Milongueros haben versucht, sich mit ihrem eigenen Stil positiv von anderen abzuheben – und nicht, dasselbe zu tanzen wie der Rest. Daher: Sucht euren persönlichen Tango – und lasst den anderen den ihren! Und ich verspreche euch: Ihr werdet es fühlen, wenn ihr auf dem für euch richtigen Weg seid.
In meinem Tangobuch habe ich einer dieser alten Milongueros, Osvaldo Cartery, zitiert: „Du kannst jemand Schritte vermitteln, aber nicht die innere Haltung, das Gefühl und die Liebe für das, was du tust. Nicht ‚deinen‘ Tango. Tango ist persönlich – manchmal schmerzhaft persönlich.“
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