Piazzolla zum Tanzen 12
Mein Blogger-Kollege Helge Schütt hat es nun endlich geschafft, sich das berühmte Konzert von Osvaldo Pugliese mit Astor Piazzolla („Finally together" am 29.6.1989 in Amsterdam) anzuhören – und ist begeistert. Besonders angetan hat ihn die Schlussnummer, bei der Pugliese zunächst sein legendäres „La Yumba“ (lautmalerisch für das Stampfen schwerer Maschinen) interpretiert – mit Piazzolla am Bandoneon.
Am Ende des Stücks ergreift sein Pianist Gerardo Gandini dann die Gelegenheit, zu Puglieses Erstaunen mit diesem Stück eine gigantische Improvisation hinzulegen, welche dann in „Adiós Nonino“ mündet – im furiosen Finale von allen Mitwirkenden intoniert.
Glücklicherweise gibt es von diesem Geniestreich noch ein YouTube-Video:
https://www.youtube.com/watch?v=46xiaNP8LE4
Kollege Schütt erklärte nun die überleitende Improvisation Gandinis für „absolut untanzbar“. Es ist ja im Tango nicht ungewöhnlich, seine private Sichtweise als Indikativ zu formulieren. Auf den Protest von Manuela Bößel wurde der Text nun geändert: In „seinen Augen“, so der Kollege, sei diese Fassung absolut untanzbar.
https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/04/kurznotiz-3-la-yumba.html
Nun will ich nicht darüber streiten, ob man zu diesem Behufe nicht lieber die Ohren (oder gar Beine) statt der Augen einsetzen sollte – und was dann wohl „relativ untanzbar“ bedeuten mag.
Ich möchte dieses Urteil sogar noch erweitern: Der Großteil der heutigen Tangopopulation wird sich – nach meinen Erfahrungen – schon mit der tänzerischen Interpretation von Puglieses Original sehr schwertun. Diese Fassung ist meilenweit von dem Geplürre entfernt, zu dem man sich heute auf den meisten Milonga-Tanzflächen bewegt. Wer elaborierten Tango aber dennoch hinbekommt, den stellt auch die angesprochene Überleitung vor keine großen Probleme.
Man müsste halt öfter mal die Chance haben, zu Tango nuevo zu tanzen – aber die fehlt fast flächendeckend. Und wer im Seifenkistl-Rennen geübt ist, sollte sich noch lange nicht auf die Formel 1-Rennstrecke begeben!
Wir haben zu Aufnahmen des legendären Konzerts in Pörnbach schon öfter getanzt, zum Beispiel am 2.10.2018:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/10/playlist-der-wohnzimmer-milonga-21018.html
Zweifellos stellt das Amsterdamer Konzert der beiden Meister einen Höhepunkt im modernen Tango dar. Spät genug haben die beiden zusammengefunden: Piazzolla starb 1992, Pugliese 1995.
Leider hat der getanzte Tango eine andere Entwicklung genommen. Jedes Mal, wenn ich diese Aufnahme höre, werde ich sehr traurig ob der verpassten Chancen.
Aber diese Grundstimmung passt ja zum Tango…
P.S. Und hier zum Genießen das gesamte Konzert:
https://www.youtube.com/watch?v=fxA8h4NqbE4
Herr Riedl,
AntwortenLöschenDanke für die Erinnerung an dieses Konzert, obwohl ich meine eigene Erinnerung an diese 3 prägenden Konzerte mit Osvaldo Pugliese in Amsterdam (zuletzt dann beim erwähnten mit Astor Piazzolla) habe und sie mir eigentlich nicht von Ihnen vermiesen lassen möchte: ich saß nämlich im Publikum. Doch während bei den Pugliese-Konzerten ein Tanzpaar dabei war - Vanina Bilou & Alejandr Aquino - wurde bei "Finally Together" kein Tanzpaar eingeladen. Warum wohl? Dämmert's? Offenbar hat sich kein Paar gefunden? Keiner weiß es, aber vermuten tun es wohl viele: das hat sich wohl kein ernstzunehmendes Paar zugetraut und es machte auch keinen Sinn.
Aber Sie und die Tango-Nuevo-Ikone Manuela Blöße(l) mussten ja - zum wievielten Mal eigentlich? - die Untanzbarkeit vieler Stücke von Piazzolla - insbesondere die der überleitenden Improvisation Gandinis ohne belegenden Beweis bezweifeln. Mal eine Frage: Wie soll eigentlich ein Tangopaar zu dieser Standby-Improvisation, bei der selbst die beiden Orchesterleiter A.P. & O.P. anhand der etwas entgleitenden Fantasie Gandinis ungläubig den Kopf schütteln, ad hoc ein akzeptables Tanzerlebnis herbeizaubern? Aber Frau Blößelel weiß es ja besser…?
Zum anderen ist es durchaus legitim einen Musikgeschmack zu defineren und zu bevorzugen. Ihren Geschmack kennen ja viele Leser anhand Ihrer Playlisten zur genüge. Allerdings betrachte ich es als ziemlich übergriffig und anstößig, den Tanzmusikgeschmack der überwiegenden Mehrheit der Tangoszene anzugehen und die EdO-Musik als „Geplürre" zu bezeichnen. Was soll das eigentlich noch mit Satire zu tun haben? Es ist genau das, was diese Dame im Interview gemeint hat: es ist schlichtweg nur Rumstänkerei!
Klaus Wendel
Lieber Herr Wendel,
AntwortenLöschenkeine Ahnung, welche Dame in welchem Interview Sie meinen.
Ich würde es allerdings begrüßen, wenn Sie wenigstens Namen richtig schrieben: Manuela Bößel. So viel Achtsamkeit muss ich auch Ihnen abverlangen.
Es stimmt auch nicht, dass ich die EdO-Musik pauschal als „Geplürre“ bezeichnet habe. Vielmehr schrieb ich: „Diese Fassung ist meilenweit von dem Geplürre entfernt, zu dem man sich heute auf den meisten Milonga-Tanzflächen bewegt.“
Es gibt auch sehr schöne Aufnahmen aus dem EdO-Bereich, zum Beispiel von Osvaldo Pugliese. Daneben aber auch sehr viel „Mainstream-Trash“. Sie haben mir einmal geschrieben:
„Ja, auch ich langweile mich gelegentlich, auch ich bekomme ungeliebte Stücke zu hören, die mich stimmungsmäßig in eine Zechensohle, montags, an einem kalten Novembermorgen versetzen.
Ich sitze das aus. Nur wenn der DJ das Programm nicht wechselt, fahre ich nach Hause, Schade um den Abend, um die lange Fahrt. Den anderen scheint es zu gefallen, oder sie finden sich damit ab.“
Na sehen Sie – und genau dieses Gefühl überkommt mich auch auf vielen Milongas! So what?
Ferner teilten Sie mir einmal mit: „Bei Piazzolla, liege ich, bis auf die stark taktbezogenen Stücke, daneben; ich treffe die Musik nicht. Leider! Ich muss auch zugeben, dass ich schon beim Anhören von Piazzolla-Stücken nicht zum Tanzen motiviert werde.“
Das ist bedauerlich, aber kein Grund, nun jeden anzuranzen, der mit dieser Musik besser zurechtkommt!
Meine kleine Reihe „Piazzolla zum Tanzen“ soll einfach den Irrglauben korrigieren, seine Aufnahmen seien generell „untanzbar“. Und dazu beschreibe ich halt Stücke, die Leute wie mich aufs Parkett locken – in der Hoffnung, dass manche Leserinnen und Leser eine Musik kennenlernen, die man ihnen in der Tangoszene vorenthält.
Und warum bei Konzerten meist nicht getanzt wird – dafür gibt es viele Gründe. Aber Sie waren live dabei und wissen es daher besser. Genützt hat es offenbar dennoch nichts.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Lieber Herr Wendel,
AntwortenLöschengratuliere herzlichst - Sie haben mal wieder recht, so was von recht!
Geht's Ihnen jetzt besser?
Aber worauf ich tanze und welche Musik sich für mich - tanzend - gut anfühlt, bleibt ganz allein meine Sache. Das können Sie leider nicht beurteilen. Sie dürfen das bewerten, verurteilen, was immer Sie wollen. Halt nicht ausfällig oder grob werden, gell?!
Aber den Mund verbieten? Geht leider auch nicht! Freies Land und so.
Beste Grüße
Manuela Bößel
P.S. Falls Sie meinen Namen gerne weiterhin verunstalten möchten, greifen Sie bitte auf das altbewährte "Brösel" (süddeutsch für "Krümel") zurück. Dankeschön!
Gibt es von der Milonga in Pörnbach ein Video? Mich würde wirklich interessieren, wie ihr die Improvisation von Gandini tänzerisch umgesetzt habt.
AntwortenLöschenHi Helge,
Löschenes gibt Leute, denen es um den reinen Spaß an der Freud geht, nicht darum, irgendjemandem irgendetwas beweisen zu wollen. Dann hat man solche Ideen wie "Videobeweis" einfach nicht auf dem Schirm, weil total irrelevant.
Allein der Genuss im Augenblick zählt, und nicht, was jemand, der mich nicht kennt, von mir denkt.
LG Manuela
Zu Deiner Frage, was "relativ untanzbar" bedeutet: Das bedeutet, dass ein großer Teil der Tango Tänzer (insbesondere auch der erfahrenen Tänzer, die seit mehr als 10 Jahren Tango Argentino tanzen) die Tanzfläche verlässt, wenn solche Musik gespielt wird. Das Phänomen hatten wir schon mal irgendwann auf Facebook diskutiert.
AntwortenLöschenLieber Helge,
Löschensorry, aber es gibt von den Wohnzimmer-Milongas lediglich eine einzige Videoaufnahme – und die haben wir nur veröffentlicht, weil darauf keine einzelnen Personen identifizierbar sind:
https://www.youtube.com/watch?v=QAroZ3GDepc
Wir haben nämlich stets die Privatsphäre unserer Gäste geachtet, da es keine öffentlichen Veranstaltungen waren.
Keine Ahnung, wie wir vor fünfeinhalb Jahren das Stück umgesetzt haben. Wahrscheinlich probierten wir es halt und kriegten es irgendwie hin. An Proteste kann ich mich nicht erinnern. Und klar, wir haben damals oft auf Tango nuevo getanzt und hatten mit dem „Piazzolla-Drive“ einige Erfahrung. Die fehlt den heutigen Tanzenden.
Lustig, wie sich die Zeiten verändern: Wenn wir früher ein schwieriges Stück hörten, mussten wir unbedingt rauskriegen, ob wir das auf dem Parkett hinbringen. In der heutigen Szene verlangt man erstmal einen „Videobeweis“…
Wir werden dazu auch keinen drehen. Sonst kommt Herr Wendel und erklärt genau, warum wir nicht tanzen können.
Ich halte den Begriff „untanzbar“ (den übrigens der Duden mit Recht nicht kennt) schlicht für hirnrissig. Spätestens im Ballett-Bereich wird man stets irgendwelche Leute finden, die zu den verrücktesten Klängen tanzen. Siehe auch: Contango – da muss es nicht mal Musik sein.
Klar gibt es Grenzen, an denen sich im üblichen Gesellschaftstanz viele weigern. Aber dann wollen sie halt nicht tanzen, weil ihnen die Musik nicht gefällt oder sie es sich nicht zutrauen. Ist ja okay. Nur soll man dann nicht zur Keule der „Untanzbarkeit“ greifen.
Auf den üblichen Milongas muss ich bei vielen Tandas die Zähne zusammenbeißen, wenn ich aufs Parkett gehe. Oder ich lasse eine Tanzrunde aus. Weil die Musik mich gigantisch anödet. Soll ich das dann auch „relativ untanzbar“ nennen?
Beste Grüße
Gerhard
Hallo Gerhard,
Löschenich kann Deine Überlegungen verstehen. Aber ich finde es andererseits auch sehr schade. In Deinen Blog Beiträgen hast Du oft darauf hingewiesen, dass Du auf Milongas deutlich mehr gelernt hast als im Unterricht. Da wäre es natürlich schön, wenn wir Tänzer, die noch am Lernen sind, von deinen Tänzen etwas abschauen könnten.
Liebe Grüße,
Helge
Als Antwort habe ich einen Artikel geschrieben!
LöschenGestern am frühen Abend habe ich mit zwei meiner Lieblingstänzerinnen die besagte Aufnahme je einmal durchgetanzt. Unser übereinstimmender Eindruck: durchaus machbar. Man muss sich aber schon von der üblichen "Klein-Klein-Tanzerei" in angepappter Haltung lösen, sonst wird das nix.
AntwortenLöschenUnd die geniale Musik bietet genug tänzerische Inspiration.
Aber sorry, Bilddokumente gibt es keine. Stattdessen lieber mal selber probieren!