Trachtenvereine und ihre Códigos
In seiner jüngsten Ausgabe berichtete das Satire-Magazin „Quer“ des Bayerischen Rundfunks eine Geschichte, welche auch im traditionellen Tango spielen könnte.
Wenn Trachtenvereine öffentlich auftreten, gelten fürs Erscheinungsbild strenge Regeln. Erst recht für Vortanz-Wettbewerbe. Ich habe vor vielen Jahren schon einmal eine Aufstellung der Grausamkeiten veröffentlicht:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/05/vom-traditionellen-schuhplatteln.html
Im Trachtverein Trostberg hat das nun zum Konflikt mit einer Familie geführt. Stein des Anstoßes waren die langen Haare der Söhne. Dabei sind die Eltern schon von Klein an bei der Schuhplattler-Riege aktiv. Der Vater war sogar einige Zeit Vorsitzender des Vereins und auch Jugendwart, seine Frau Schriftführerin. Die beiden Söhne, 6 und 15 Jahre alt, mochten aber von ihrer Haarpracht nicht lassen. Allenfalls versteckten sie diese unterm Sepplhut, was eigentlich den Richtlinien Genüge täte.
Tat es wohl nicht. Nachdem der ältere Sohn Anton („Done“) früher mit noch kurzen Haaren oft das „Preisplatteln“ gewann, wurde er nun mit Punktanzügen abgestraft.
Vor allem fuchste die Eltern aber die immer lautere Kritik am Erscheinungsbild der Buben: „Ständig hat jemand zu ihm gesagt, wie kommst du daher, so gschlampert, das geht nicht, das schaut scheiße aus“
Als Done im letzten Jahr beim Wettbewerb nur den Fünften machte, ging er anschließen an den gerade Brotzeit machenden Preisrichtern vorbei, nahm den Hut ab und schüttelte herzhaft seine Haarpracht. Wie Teenager halt so sind…
Bei der heurigen Jahreshauptversammlung kam es dann zum Eklat: Ein Ehrenmitglied forderte die Eltern auf, dem Sohn die Haare zu schneiden. Auf den Einwand der Mutter, laut Vereinssatzung seien lange Haare nicht verboten, kam die Antwort, es stehe auch nirgendwo, dass sie erlaubt wären. Ferner wurde gefragt, „ob man jetzt schon bei den Diversen sei“. Ja, ähnliche Debatten kenne ich vom Tango…
Am nächsten Tag trat die siebenköpfige Familie geschlossen aus dem Trachtenverein aus. Trotz vieler Presseanfragen hält sich die Vereinsführung eher bedeckt.
Die Mutter berichtet von einer irritierenden Geisteshaltung in der Szene: Beispielsweise habe sie während ihrer Schwangerschaft nicht bei einem Aufzug teilnehmen dürfen, weil sie mit dem Bauch nicht in den vorgeschriebenen Rock gepasst hätte. Und auf einem Gaufest sei ein Pfarrer öffentlich über Schwule und Lesben hergezogen.
Was den Burschen streng verboten ist, gilt für die Deandl als Pflicht: Sie müssen lange Haare haben, welche dann als Hochsteckfrisur unter dem Hut landen. So durfte bei einem Gaujugendsingen eine Gruppe nicht auf die Bühne, da ihre Gesangslehrerin kurze Haare hatte und sich weigerte, eine Perücke aufzusetzen.
Grenzt man mit solchen Regeln Menschen aus? Natürlich nicht, sagt der Gauvorsitzende Michael Hauser:
„Es ist auch nicht so, wie es manche der Trachtensache vorhalten, dass es ausgrenzend ist. Weil, wenn die Regelung vorher bekannt ist, grenzt nicht der Trachtenverein aus, sondern der grenzt sich aus, der die Regeln nicht einhält.“
Auch das ein typisches Tango-Argument! Ich würde als Vornamen allerdings statt „Michael“ lieber „Kaspar“ wählen. Wie unbeleckt von modernen Entwicklungen kann man sein?
Wahrlich: „Nicht ganz bei -Trostberg“ ist überall…
Interessant, was Alexander Karl Wandinger, Trachtenfachberater des Bezirks Oberbayern, dazu sagt:
„Trachtenvereine brauchen Regeln, das ist völlig klar. Aber wir müssen neu verhandeln: Passt das noch in unsere Zeit? Wir werden immer wieder Veränderungen haben, und das ist auch gut. Das zeigt, dass etwas lebendig ist. Kulturformen, die sich nicht von Zeit zu Zeit ändern, sterben.“
Karl-Heinz Knoll, Präsident des Festrings München, der unter anderem den großen Trachten- und Schützenzug zum Oktoberfest mit rund 9000 Trachtlern aus vielen Ländern organisiert, meint:
„Soviel ich weiß, haben sämtliche Brauchtumsgruppen große Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Ich würde halt keinen Nachwuchs frustrieren, indem ich seine Haartracht hernehme, um sein Können im Tanz, im Plattln zu minimalisieren.“
Trachtenvereine gibt es in Bayern seit etwa 1880. Fünfzig Jahre früher waren lange Haare bei Männern durchaus üblich, wie zahlreiche historische Darstellungen auch bei Trachten zeigen.
Noch lustiger finde ich es, dass beispielsweise das Dirndl oder auch Schuhplatteln zu den „erfundenen Traditionen“ gehört. Ich habe davon berichtet:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/07/erfundene-traditionen.html
In den Trachtenvereinen stehen sich wohl, wie im Tango, Konservative und Neuerer gegenüber. Die einen pochen auf überkommene, jedoch oft auch unechte Traditionen, die anderen fordern eine Anpassung an moderne Entwicklungen.
Wem meine Sympathie gilt, ist klar – ich sage aber auch: Beides ist legitim. Und nicht selten liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Was aber aufhören muss, ist, anderen aufzuzwingen, was denn der „wahre Tango“ oder die „echte Tracht“ sei. Wieso scheint manchen die Buntheit als so gefährlich?
Dürfte ein Farbiger oder Asiate mit kurzen Haaren preisplatteln? Oder ein Schwuler? In München haben sich die sogar zu einem Verein zusammengeschlossen, den „Schwuhplattlern“. Wohl deshalb, weil man sie woanders rausgeekelt hat.
http://schwuhplattler-muenchen.de/
Die Mutter, deren Söhnen eine individuelle Haartracht nicht zugestanden wurde, hat im unten verlinkten Video sehr schön formuliert, worum es eigentlich geht:
„Wir wollen nicht, dass aus unseren Kindern auch solche Leute werden, die anderen sagen, wie sie zu sein haben, damit sie richtig sind.“
https://www.youtube.com/watch?v=zjRENKZOTR8
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