In Memoriam „Tango de Neostalgia“
Im April 2007 – also vor ziemlich genau 17 Jahren – gründeten Peter Ripota und Monika Fischer ihre monatliche Milonga in Freising. 17 Jahre – das übersteigt deutlich die Lebenserwartung eines Hundes mit zirka 13 Jahren. Aber ein Hundeleben war es für die beiden manchmal durchaus.
Heute tragen sie ihre Milonga mit einem rauschenden Fest zu Grabe. Zusätzlich werden wir noch mit Sekt zu Monikas Geburtstag anstoßen. Ich sehe voraus, dass der Laden diesmal randvoll werden wird. Das war er weiß Gott nicht immer. Öfters war man froh, wenn es wenigstens 15 oder 20 Besucher wurden.
Immerhin kenne ich die mehr als 200 Veranstaltungen in Freising ziemlich gut. In unserem Tango-Wohnzimmer hängt eine „Ehrenurkunde“, die Karin und mir bescheinigt, dort zu den häufigsten Gästen gehört zu haben. In guten und weniger tollen Zeiten. Und die beiden fanden immer wieder Gelegenheiten, mich als DJ, Zauberer, Buchautor oder Conférencier zu engagieren.
Dennoch hätte ich gerne auf den heutigen Artikel verzichtet. Es macht mir wenig Spaß, nun das Ende der außergewöhnlichsten Milonga zu besprechen, die ich kenne. Und bekanntlich wird nirgends so viel gelogen wie auf Beerdigungen: Regelmäßig beschreibt man dort den Verstorbenen als geradezu einzigartigen Menschen, dessen positive Eigenschaften fast übernatürlich seien. Daher stelle ich fest: Monika und Peter haben bestimmt nicht alles richtig gemacht.
Eine ziemliche Kateridee war schon einmal, der deutschen Tangoszene eine Mixtur aus Neuem und Nostalgie zuzumuten: „Tango de Neostalgia“. Also Gotan Project plus dem „Mond von Wanne-Eickel“, Gardel nebst Rudi Schuricke und Reinhard Fendrich. Dazu manche Titel, deren Klassifizierung als „Tango“ übermenschliche Anstrengungen erfordert. Mit diesem experimentellen Anspruch hat es Peter weder sich noch seinen Gästen leichtgemacht.
Allerdings habe ich dadurch gelernt, auf alles Mögliche zu tanzen. Oft sogar zu Musik.
Ebenso unentschuldbar war es auch, den Gästen weder Latino-Showtanzpaare noch deren Workshops anzubieten, auf Kleider- und Schuhverkauf sowie internationale DJs zu verzichten. Stattdessen bot man gelegentlich hausgemachte Showeinlagen ohne argentinischen Abstammungsnachweis. Damit verprellt man zuverlässig an die 90 Prozent der potentiellen Besucher.
Normalerweise stand „Tanzen pur“ auf dem Programm. Auch das geht an den Präferenzen eines Großteils der heutigen Szene weit vorbei.
Fragwürdig war es erst recht, auf den Tischen Kärtchen aufzustellen, wonach auf dieser Milonga auch Frauen auffordern dürften – mit oder ohne Cabeceo. Glücklicherweise haben die meisten Damen dieses Angebot ignoriert.
Was ich aber an Peter schätze, ist die konsequente Verfolgung seiner persönlichen Linie. Auch und gerade, wenn sie mal von meiner abweicht.
Warum zog es mich so häufig nach Freising? Sicherlich schon einmal deshalb, weil man als bekannter „Tangorebell“ natürlich alternative Milongas zu besuchen hat. Ein schlechter Ruf verpflichtet mehr als ein guter. Es gibt aber auch Positives zu erwähnen:
Ich schätze großzügige Räumlichkeiten, wo ich genug Platz zum Tanzen habe und nicht den ganzen Abend das Paar vor mir bei seinen Standübungen bewundern muss. Parken konnte man bequem in der Tiefgarage, und in der Garderobe gab es sogar Kleiderbügel. Und als „Bardamen“ akquirierte Monika ihre beiden Töchter Melanie und Nadja, welche diesen Job stets freundlich und professionell erledigten – im Gegensatz zu studentischen Hilfskräften anderer Milongas, die zehn Minuten nach einem Korkenzieher suchen und nicht mal beim Bezahlen lächeln.
Vor allem aber verwirklichten Monika und Peter etwas, das ich in vielen anderen Fällen nur als schöne Illusion kennengelernt habe: die „Willkommenskultur“ im Tango.
Wer sich in Freising als Gast nicht bestens aufgehoben fühlte, war tatsächlich selber schuld. Auch Besucher, die alleine gekommen waren, blieben das nicht lange, da sie von den Gastgebern rasch auf die Tanzfläche entführt wurden. Oft hörte ich von Monika den Hinweis: „Dort drüben sitzt eine Frau, die noch nie bei uns war. Magst du mal mit ihr tanzen?“ Ihr Wunsch war mir natürlich Befehl. Und zum Abschied bekam jede Dame eine Rose.
Aus eigener Erfahrung wissen wir, welche Anstrengung es bedeutet, eine mehrstündige Milonga nebst allem Drum und Dran durchzuziehen. Sich dann noch Zeit für Tänze und Small Talk zu nehmen, stets ansprechbar zu sein, ist wahrlich eine besondere Leistung, die ich in dieser Intensität auf keiner anderen Veranstaltung erlebt habe.
Gedankt wurde es den beiden nicht immer. Aber auch miese Besucherzahlen, eigene Erkrankungen und sogar ein Polizeieinsatz wegen angeblicher Ruhestörung konnten die beiden Gastgeber nicht entmutigen. Und dass sie zu Pandemie-Zeiten eine sehr vorsichtige Linie verfolgten, hat einigen nicht gefallen und zu bösen Reaktionen geführt.
Daher möchte ich bei meiner Grabrede nicht unerwähnt lassen: Es ist stets besser, sich um die Lebenden zu kümmern als bei der Beerdigung Tränen zu vergießen.
Und, lieber Peter, mit 81 Jahren darf man getrost in den Ruhestand gehen! Blicken wir aber auch nach vorne: Da wir nun alle frei von Veranstalter-Pflichten sind, werden wir hoffentlich noch öfter einige private Tanzrunden auf dem Pörnbacher Parkett oder auch im Echinger Wintergarten drehen können. Und das zu Musik, die uns gefällt – und frei von allen unnötigen Tangoreglements.
„Tango geht auch anders“: Diesen Wahlspruch von mir habe ich in Freising oft genug verwirklicht gesehen. Von Zweien, die – fernab von aktuellen Tangomoden – stets ihren eigenen Weg verfolgt haben.
Daher darf ich heute feststellen: Peter und Monika haben sich um den Tango verdient gemacht.
Danke für besonders würdevolle Würdigung! Wir werden sie nächstes Mal vorlesen ... oder war das im nächsten Leben? Egal, der Tango geht weiter, irgendwo, immer.
AntwortenLöschenLieber Peter,
Löschenich habe den Text sehr gerne geschrieben und auch die Rede gehalten. Dass die Milonga so lange lief, ist euer Verdienst.
Und ja - der Tango geht weiter. Auch unserer.