Wahnsinn mit Methode

„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ (Albert Einstein zugeschrieben)

Ich hatte es längst erwartet: Wieder einmal beklagt man sich in der Münchner Tangoszene, dass vor allem „fremde“ Damen nicht aufgefordert werden. Wenn ich das dann einer größeren Öffentlichkeit zugänglich mache, kriege ich anschließend den Vorwurf, ich würde den Tango in der Isarmetropole schlechtmachen.

Diesmal ist es sogar ein Mann (der für respektvolle Diskussionen bekannte Joachim Beck), welcher sich stellvertretend für seine Begleiterin empört:

„Was ist mit dieser TangoSzene los?

Ich hatte gestern Besuch aus Berlin. Eine sehr gute, attraktive Tänzerin – aber offenbar nicht gut genug für die Münchner Tänzer. Wir waren im Lachdach, und die Frau ist mit kompletter Missachtung gestraft worden.

Sie saß auf dem Sofa, sie stand vorne an der Bar, sie stand hinten beim Pult, sie hat mit mir getanzt und konnte zeigen, dass sie eine gute Tänzerin ist – nichts. Gar nichts. Sie ist in 2 Stunden kein einziges Mal aufgefordert worden.

Es war ein totaler Frustabend. Ich habe mich geschämt für die Münchner Tangueros.“

Bereits da ergeben sich für mich einige Fragen: Wenn die Tanguera aus Berlin stammt, müssten ihr doch solche Verhältnisse vertraut sein – die Bundeshauptstadt gilt ja für Besucher von auswärts nicht gerade als leichtes Pflaster.

Und – schrecklicher Gedanke – wurde sie gar wegen ihres Begleiters nicht aufgefordert? Nein, das kann nicht sein, da Joachim Beck zumindest auf Facebook stets höflich und freundlich agiert!

In weit über hundert Kommentaren stellen gerade viele Frauen mehrheitlich fest: Wenn man öfters tanzen will, sollte man das nicht in München probieren:

„Das ist fast normal in München. Hatte ich auch schon.“

„Da versteh ich es gleich viel besser, warum ich mich in München so rar gemacht habe.“

„So ist es leider! Wenn man dich nicht kennt, wirst du auch nicht aufgefordert …“

„Total nicht verstanden, was eine Milonga sein soll; man sollte diese Bezeichnung für diese Veranstaltung streichen, aberkennen!“

„Dem kann ich nur zustimmen: Ich hatte in München auch schon des Öfteren das Gefühl, dass Gäste nicht willkommen sind. Es fehlt an Anstand und gutem Benehmen, leider.“

Fakt ist, ich habe keine Lust mehr, auf manchen Münchner Milongas immer und immer wieder zu sitzen und lächeln in der Hoffnung, irgendwann mal zu den ‚Ausgewählten‘ zu gehören. Das Leben ist zu kurz, und die Zeit mir zu wertvoll. Ich lerne weiter und tanze so oft ich kann, dort, wo ich es genießen kann.“

Mit dem Furor des Gerechten legt Joachim Beck nochmal nach:

„München ist das mit Abstand beschissenste Pflaster, wenn Du als unbekannte Tänzerin beim Tango einen angenehmen Abend verbringen willst.

Die Münchner Männer sind so sattgefressen an guten Tänzerinnen in den eigenen Reihen, die müssen keine auffordern, die sie nicht kennen, die wollen keine auffordern, die sie nicht kennen. Die haben kein Interesse, die haben keine Neugier, denen ist das komplett egal, ob da eine den ganzen Abend alleine rumsitzt.“

Und er gibt auf Nachfrage unumwunden zu: Die „kleinen Milongas“ im Münchner Umfeld besitzen eine wesentlich bessere soziale Kultur:

„Tatsächlich sind die ‚Dorf‘Milongas rings um München wesentlich freundlicher, offener, interessierter an neuen Menschen. (…) Die Veranstalter in München gehen mit dem schlechten Beispiel voran. Die tanzen nicht unter ihrem Niveau.“

Diese späte Einsicht wundert mich schon ein wenig: Ich kenne eine ganze Reihe solcher Veranstaltungen. Herrn Beck sah ich dort kaum einmal. Und schon gar nicht auf den Pörnbacher Wohnzimmer-Milongas. Im Gegenteil, 2019 stellte er mich als hoffnungsloses „Landei“ hin:

„Was das Riedl schließlich aus seinem angestammten Habitat vertrieben hat, ist in der Tango-Forschung letzgültig nicht geklärt worden. Es gilt jedoch als sicher, dass das seltene Tierchen in München ausgestorben ist. Das Riedl lebt nun im Metropol-Dreieck Maushof, Deimhausen, Puch, Insidern bekannt als tri-be-frei – triangle below Freinhausen.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/01/das-riedl.html

Na ja, vielleicht dämmert ihm wenigstens nun der Grund

Einige besonders mutige Damen stellen sogar das männliche Aufforderungs-Privileg in Frage:   

„In solchen Momenten wünschte ich mir, dass es ganz normal wäre, dass auch wir Frauen als Follower auffordern könnten …. aber dann höre ich meist von den Herren, dass das überhaupt nicht ginge …. Warum eigentlich nicht … Alles verändert sich mit der Zeit …“

„Ich fordere verbal auf. Wir leben im 21. Jahrhundert. Was soll überhaupt die ganze hochnäsige Scheiße? Die Typen denken echt, sie seien was Besonderes. Nope, Fehlanzeige. (…) Die ländlichen Milongas sind die besten. Lustig, sympathisch, attraktive Männer (nicht so schrumpelig wie in München), humorvoll, jeder Mann und jede Frau fordert auf, Mann und Frau fühlen sich willkommen.“

Auch das findet die Zustimmung Becks: „Ich sage das auch jeder Frau: Geh hin und fordere direkt auf! Was müssen wir uns darum kümmern, dass argentinische MimosenMachos nicht mit einer öffentlichen Ablehnung klarkommen?“

Doch da wird er von manchen Damen zurückgepfiffen:

„Ich sehe das nicht so. Eine direkte ‚geh hin‘ Aufforderung nehme ich nur von guten Bekannten gerne an, ansonsten ist mir die traditionelle Mirada-Cabeceo Annäherung wesentlich angenehmer.“

Und dann geistert auch noch die Uralt-Kamelle des „tänzerischen Niveaus“ durch die Kommentarspalten. Originalton Beck:

„Es geht (…) darum, ob ich bereit bin, unter meinem Niveau zu tanzen, um eine Frau glücklich zu machen – JA. Oder, ob ich verlangen kann, dass eine Frau oberhalb meines Niveaus mit mir tanzen muss – NEIN.“

Prima, dass wir nun wieder die Hierarchie im Tango beschwören! Ich kann dazu nur sagen: Ich pflege nie unterhalb meines Levels zu tanzen, egal mit wem. Und wenn es mal darüber ist, verdanke ich das der Tanzpartnerin!

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10159800503146186

Und so drehen sich die Münchner Facebook-Debatten seit vielen Jahren im Kreis: Man möchte etwas verändern, indem man alles beim Alten lässt.

Es würde sich wohl viel verbessern, wenn Frauen sich trauten, Männer auch mal direkt um einen Tanz zu bitten. Ich glaube, in den meisten Fällen würde das zum Beenden des Herumsitzens führen – auch wenn sie dann das Gedisse von Geschlechtsgenossinnen einkalkulieren müssten. Na und? Die sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern!

Und natürlich kann man als Mann Damen auch so auffordern wie früher in der Tanzstunde. Ich tue das seit vielen Jahren und habe deshalb kaum einmal einen Korb erhalten.

Auch hilft es nichts, theoretisch festzustellen, in kleinen Milongas auf dem Dorf liefe es besser, wenn man sie in Wahrheit meidet und dann doch lieber die großen Bälle und Festivals besucht. Der Tangokunde sucht den Glamour – egal um welchen Preis!

Am schlimmsten finde ich, wenn man dann auch noch mit dem „tänzerischen Niveau“ argumentiert – für mich eine weitere Ursache, im Tango Gräben aufzureißen statt zu verbinden. Und da ich die Münchner Szene doch noch ein wenig kenne, darf ich versichern: Über Niveau-Unterschiede sollte man sich dort keine Gedanken machen…   

Das alles kommt, so meine ich, Einsteins Definition von Wahnsinn ziemlich nahe.

Und was Joachim Beck betrifft: Erst vor drei Tagen haben wir uns in Pörnbach zum Tanzen getroffen – und er hätte sich ja gerne mal um eine Einladung bemühen können. Ich kann ihm versichern, seine Begleiterin (er natürlich sowieso) wäre im „Metropol-Dreieck Maushof, Deimhausen, Puch“ umfangreich zum Tanzen gekommen. Und es hätte nicht mal Eintritt gekostet. Aber das wäre wohl zu einfach…

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/12/playlist-zum-nachhoren.html

Foto: www.tangofish.de

Kommentare

  1. These: Mir scheint das ein deutsches Großstadt-Ding zu sein, das "Fremde" beim Tango nicht betanzt werden - in Berlin hab ich sogar als auffordernder Mann schon Schwierigkeiten, Tänze mit Berlinerinnen zu bekommen (während sich Besucherinnen durchweg gern auffordern ließen) und auch bei 2-3 Frankfurter Milongas hab ich das schon ähnlich erlebt.
    Aus dem Ausland kenne ich das so bisher nicht. Ebenso nicht aus vielen kleinere Städten, in denen ich schon unterwegs war.
    Jemand anderswo ähnliche Erfahrungen gemacht?

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    1. Lieber Carsten,

      ich meine, solche Erscheinungen sind eine Funktion der Größe und „Bedeutung“ von Veranstaltungen. Das ist dann für gewisse Naturen ein Anreiz, sich wichtig zu machen, Cliquen zu bilden, „Macht“ auszuüben, ein „Schaulaufen“ zu veranstalten.

      Auf kleinen Events lohnt sich die Mühe nicht. Oft kennt man einander auch persönlich, was das Klima zusätzlich verbessert. Und man freut sich, wenn Fremde den Weg zu solchen Milongas finden.

      Solche „Großstadtphänomene“ gibt es ja in vielen Bereichen.

      Danke und liebe Grüße
      Gerhard

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