Tango und Liebesbeziehung

 

„Beim nächsten Tanz spielen Erotik und Leidenschaft eine große Rolle. Daher stellt er vor allem an Ehepaare hohe Anforderungen.“ (meine Ansage, wenn wir eine Rumba vortanzten)

Da ich öfters über Nicole Nau und ihren Expartner schreibe, hat sich neulich Ricardo Klapwijk bei mir gemeldet. Es entstand ein reger Gedankenaustausch, der unter anderem in eine Sprachdatei mündete, die mir der holländische Profi kürzlich schickte. Sie bezog sich auf meinen Text „Die richtige und die falsche Rolle“, in der ich über die eher kurze Haltbarkeit von Paarbeziehungen im beruflichen Tangobereich schrieb.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/12/die-richtige-und-die-falsche-rolle.html

Ricardo hat mir erlaubt, seine Anmerkungen niederzuschreiben und zu veröffentlichen – herzlichen Dank!

Guten Morgen, Gerhard,

bei deinem letzten Artikel schneidest du, wie ich glaube, ein sehr interessantes Thema an: Wie verläuft die Intimität bei einem Tangopaar, das im Tanz sehr ausdrucksstark eine große Intimität lebt? Das gibt es übrigens im Salon wie auf der Bühne – nur auf der Bühne vielleicht etwas stärker.

Was passiert, ist Folgendes: Die größte, die tiefste Intimität wird im Tanz gelebt. Damit geht bei ganz vielen Paaren die sexuelle Aktivität zurück. Und damit bröckelt etwas von der Liebe ab. Wenn das so eine gewisse Zeit weitergeht, dann verliebt man sich auch wieder gerne in jemand anders.

Man verliebt sich in jemanden, und da ist sexuelle Anziehung, und die wird nicht mehr im eigenen Paar gelebt.

Ich glaube, dieses Phänomen ist stark verbreitet, es wird wenig darüber geredet – ich kenne das schon von mehreren Tänzern. Und ich glaube, bei Nicole und mir ist das ähnlich verlaufen. Es wäre interessant, wie das bei anderen, die vielleicht auch beruflich mit dem Tango zu tun haben, funktioniert.

Im Tango kann man ein Gefühl großer Intimität spüren, was man aber mit den Vollkommenheits-Gefühlen verwechselt wird, so wie das in einer großen Liebe und Verbundenheit stattfindet – so wie der „absolute Geist“, den Hegel beschreibt.

Und ich glaube, dass wir als Tanzpaare uns selbst manchmal schützen müssen, um genügend ins eigene Paar zu investieren und sich nicht im Tango zu verlieren. Da gibt es auch sehr gute Vorbilder, die das besser im Griff haben. (…) Die Liebe solcher Paare war deutlich stärker als das, was sie auf der Bühne gezeigt haben. Von denen könnten wir Tangotänzer viel lernen.

Das war’s – vielleicht eine schöne Idee für einen neuen Blog-Artikel?

Es grüßt dich

Ricardo

Aber gerne! Ich halte dieses Thema wirklich für spannend und danke Ricardo, dass er sich so offen dazu äußert.

Ich räume ein, dass ich bei dieser Sache nur andeutungsweise mitreden kann, da uns die Erfahrung von Leuten fehlt, die viele Jahre Shows gezeigt haben. Sicherlich ist das mega-anstrengend und prägt das gesamte Leben.

Immerhin stand ich aber auch zirka 1100 Mal auf der Bühne – und mit Karin habe ich viele Turniere getanzt. In der Zeit, wo wir noch jünger und naiver waren, präsentierten wir uns ebenfalls gelegentlich vor Publikum als Standard- und auch Tangopaar. Ein wenig mitreden können wir also schon.

Es wäre uns beiden nie eingefallen, uns zu sehr auf die Schiene „Erotik und Leidenschaft“ zu begeben. Wir hätten uns dafür mächtig geniert. Sicherlich spielt in allen Paartänzen die Anziehungskraft zwischen Mann und Frau eine Rolle – aber doch mindestens genauso die Leichtigkeit und Eleganz! Und das, worauf wir stets den meisten Wert legten: der Spaß, den wir beim Tanzen hatten. Unser Ziel war stets, diesen auszuleben – vor allem in Tänzen wie dem Jive oder der Milonga. Unser Tanz kam beim Publikum recht gut an – bei den Wertungsrichtern nicht immer in gleicher Weise.

Und gerade der Tango bietet doch mit seiner Musik eine Fülle von Ausdrucksformen: sicher auch Liebe und Eifersucht, aber doch ebenso beispielsweise Traurigkeit, Nostalgie, Sanftheit, Träumerei oder eben unbändige Freude und Fröhlichkeit.

Und jedes Paar muss sich bemühen, seinen eigenen Stil zu finden. Den würde ich nicht in der ewigen Erotik-Sülze suchen. Zudem fehlt es dann an Alleinstellungs-Merkmalen, da viele auf diesem Trip unterwegs sind.

Klar, Showpaare müssen schaupielerische Fähigkeiten besitzen – aber gerade deshalb sollten sie sich davor hüten, ihr eigenes Liebesleben auf die Bühne zu transportieren. Das ist weder nötig noch sinnvoll.

Ricardo hat sicher recht – der von ihm beschriebene Effekt tritt nicht selten auf. Dann geht die Beziehung flöten, und wenn man besonders viel Pech hat, verliebt man sich wieder in eine Tangotänzerin oder einen Tangotänzer. Was ist damit gewonnen?

Zudem ist die Tatsache, dass Verliebtheit oft nicht den Alltagstest besteht, ja weit verbreitet. Daher rate ich stets allen, welche die Krisenresistenz ihrer neuen Verbindung testen wollen, zusammen ein Zimmer (oder gleich das ganze Haus) zu renovieren. Hat man das ohne Zoff geschafft, sollte einem vor den nächsten Jahrzehnten nicht bange sein.

Aber ich gebe gerne zu: Die sinnliche Ausstrahlung einer Tänzerin kann einen gelegentlich ins Schlingern bringen. Tango wartet natürlich mit Nähe und Intimität auf. Ich merke dann aber, dass die Qualität meines Tanzes abnimmt. Klar, ich habe ja anderes im Kopf! Aber da ich über die tangotypische Eitelkeit verfüge, kehre ich sehr rasch zu meinen tänzerischen Bemühungen zurück.

Ich kenne einige hervorragende Tangueras, mit denen es auf dem Parkett wunderbar funktioniert – eine Gemeinsamkeit außerhalb des Parketts kann ich mir absolut nicht vorstellen. Das beeinflusst jedoch überhaupt nicht die Qualität des gemeinsamen Tanzes – eher im Gegenteil!

Nicht nur bei vielen Profis halten Tangobeziehungen nicht besonders lange. Auch im Salon habe ich zwar viele Paar-Neubildungen beobachtet – haltbar waren aber nur wenige. Daher würde es mir nicht reichen, dass eine neue Partnerin sehr gut tanzt. Da muss schon noch einiges andere hinzukommen! Und tanzen kann man auch hinterher noch lernen.

Vor vielen Jahren erlebte ich einmal eine gigantische Verwandlung: Eine sehr gutaussehende und wunderbar tanzende junge Tanguera beeindruckte auf einer Milonga die Männerwelt mit einem knallroten Tangokleid, welches durchaus Einblicke gewährte. Kein Wunder, dass sie keinen Moment saß, sondern ständig aufgefordert wurde.

Irgendwann wollte sie gehen und zog sich um, da draußen tiefster Winter herrschte. Aus der Garderobe erschien sie in Jeans, Fellstiefeln, dickem Mantel sowie Zipfelmütze. Ich flüsterte meiner Begleiterin zu:

„Komisch – im Märchen geht es immer andersherum…“  

Doch lassen wir nun noch Ricardo und Nicole einen Vals tanzen – eines der seltenen noch erhaltenen Bilddokumente der beiden (ab 13:20):

https://youtu.be/ATGpBh8RCLc?si=E3MbA-pE26xzb-do=813s

Kommentare

  1. Puffrot - Herr Riedl, faellt Ihnen auf, wenn sie Frauen herabwuerdigen?
    Kopfschuettelnd, Doris Lennart

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    1. Na ja, wenn schon, habe ich ja das Kleid herabgewürdigt, nicht die Frau.
      Aber gut - ich habe die Farbe nun als "knallrot" bezeichnet. Hoffentlich kommen jetzt keine Beschwerden im Zusammenhang mit dem Böllern an Silvester.
      Und dass Sie sich mal mit dem Gesamtthema des Textes auseinandersetzen, ist ja nicht zu befürchten.

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