Zeh Moll

Jüngst sah ich auf Facebook zwei Fotos eines nackerten rechten Fußes, bei dem am kleinen Zeh ein eher übersichtliches Hämatom erkennbar war. Dazu der Text:

„Ich hoffe ich kann Silvester wieder tanzen. Diesmal leider keine schöne Erinnerung vom El Corte mitgebracht es war aber kein Tänzer, sondern ‚nur‘ ein Stuhlbein “

Und, wie die Dame dann noch nachlegt: Es sei ihr bereits das zweite Mal passiert!

Erwähnenswert sicherlich, dass die Tanguera das legendäre „El Corte“ im niederländischen Nijmegen frequentiert, wo es selbstverständlich rappelvoll ist. Musste ja auch mal gesagt werden…  

https://www.elcorte.com/

Zu dieser schweren Verletzung gab es bislang über 40 Kommentare, zusätzlich noch fast 70 umarmende, staunende sowie weinende Emojis. Eine kleine Auswahl:

„So sah das bei mir aus, als die Zehe gebrochen war. Kein Stuhlbein, sondern ein Schienbein. Bei ungünstig geführtem linearen Vorwärtsboleo – gute Besserung!“

O heilige Códigos – sowas tanzt man halt auch nicht, gell?

„So einfach zu tun, so schwer zu heilen!! Gute Durchblutung für deinen armen Fuß“

„also da hab ich mal einen tip. klingt komisch, aber es hilft. pinkel einfach mal auf deinen fuß.“

Ich habe mir dazu – unterstützt von meinen anatomischen Grundkenntnissen, das Hirn zermartert, kann aber nur feststellen: Das wird nicht einfach werden…

„Gute besserung !!! Ein besuch beim osteopathen geplant ??!!“

O nein – jetzt noch einer, der an dem armen Zehlein rumzerrt? Mich schmerzt schon der Gedanke!

„Das hatte ich schon 3 Mal! Kann man nix machen außer warten und weiter tanzen sobald der Schmerz erträglich wird. Als der Liebe Gott den Menschen fertig geformt hatte und zwar mit 4 Zehen an den Füßen, machte er am Schluss doch noch eine kleine Änderung: er pappte den kleinen Zeh dazu. Sein Assistent fragt wozu das denn? Das macht doch gar keinen Sinn! Gott: stimmt, aber du wirst sehn…. Wir werden jeden Menge Spaß haben“

Quelle:

https://www.facebook.com/gabriele.vorbrodt/posts/pfbid0vxFCMz9qBGBmGYUP1qajpF2c63jDhXaSjiZ5BoPRLEFBXbEU34QM2EfqApLCREFql

Auch wenn es sich bei dem Evolutions-Experten um einen bekannten Tangolehrer handelt: Der Grundbauplan der Wirbeltier-Extremität ist schon fünfstrahlig. Ausgehend davon traten dann als Anpassung an Umweltbedingungen Reduktionen ein, beispielsweise beim Vogelflügel oder den Wal-Vorderflossen. Paarhufer schließlich kamen mit zwei Zehen aus, Unpaarhufer mit einem. Bei einem Pferd hätte sich die Kollision mit dem Stuhlbein eventuell vermeiden lassen.

Die Natur arbeitet – ausgehend von einem Grundbauplan – häufiger mit Zurückbildungen denn mit Anbauten. Sieht man ja auch beim Tango.

Interessant wäre es, ob sich die Dame ihre Verletzung beim Tanzen oder Rennen durch die Stuhlreihen zugezogen hat. Der unfallfreie Stuhlgang gehört ja bei Senioren zu den Lieblingsthemen.

Anzunehmen ist jedenfalls, dass sie keine geschlossenen Schuhe trug, sondern die tangoübliche Ausstattung aus Schuhsohle, glänzenden Riemchen sowie viel Luft. Bei einem Zossen dagegen wären die Zehenendglieder mit einer dicken Hornkapsel (Huf) geschützt. Eventuell käme sogar noch ein Hufeisen hinzu.

Ich frage mich nur, was die Menschen reitet, statt körperlicher Vorzüge eklatante Schwächen oder gar Verletzungen zu veröffentlichen. Ich finde, solche Bilder gehören in einen Arztbrief und nicht auf Facebook! Lustig, dass sich dann oft dieselben Leute über mangelnden „Datenschutz“ beklagen.

Dennoch muss man zugestehen, dass auch Religionen mit körperlichen Schäden beeindrucken – beispielsweise bei den fünf Wundmalen Jesu. Bei ihm befand sich der Nagel aber nicht am Zeh, sondern ging durch den Mittelfuß.

https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCnf_Wunden_Christi

Dass solche Manöver wirken, sieht man den vielen Kommentaren und positiven Gefühlsaufwallungen, die man selbst mit einem kleinen Bluterguss zu erzeugen vermag. Ab einem gewissen, im Tango häufigen Alter ist halt „Gesundheit“ das Sensationsthema Nummer eins. Besser noch: Krankheiten.

Selber werde ich es allerdings vermeiden, Bilder von meinen Stigmata zu posten. Schon, da ich nicht durch Tracheen atme (hochintellektueller Gag). Ich fürchte, sie würden in meinem Fall höchstens Kommentare von dieser Machart erzeugen: „Hat er sich endlich mal den Zeh angehauen, der alte Depp! Kein Wunder, wenn man nicht tanzen kann.“

Daher werde ich weiterhin bei eigenen Fotos lediglich Gesicht und Hände nackig machen. Die Quanten-Physis (oder gar noch Schlimmeres) bleibt privat.

Immerhin passt Wehklagen ja zum Tango – in den Texten oft höllisch, in der Notation eher möllisch. Ob nun in C-Moll, Zeh Moll oder gar (vor allem in Franken) zehmol.  

Und, meine Damen, tanzen Sie lieber mit einem Partner statt an der Stange!

https://www.youtube.com/watch?v=UBCH_vswYKk

P.S. Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/02/tango-passionsspiele.html